Hurricane Festival, Scheeßel, Eichenring


Eat my dust:Am Eichenring regiert 2008 der Staub. Und natürlich; le rock.

Wer an diesem Wochenende auf die Idee kommt, sich die Nase zu putzen, wundert sich über das, was er da Schwarzes ins Taschenruch befördert. Auf dem Hurricane Festival regiert nämlich der Staub. Vom Wind getragen, weht er über die Zeltplätze. Auf dem Gelände selbst, früher eine Sandrennbahn, wird er vom tobenden Mob derart aufgewirbelt, dass man vor den Bühnen ständig riesige Staubwolken aufsteigen sieht. Das Wetten blauer Himmel, Sonne, es ist heiß. Ein kluger Kopf stellte einst fest, dass es gut ist, wenn auf einem Festival auch Bratwurstbands spielen. Das sind Kapellen, die einen nicht sehr interessieren. Während deren Auftritt man eine Bratwurst essen gehen kann, was ja nicht ginge, wären nur Bands da, die man sehen will. Wenn Bratwurstbands aber so gehäuft auftreten wie am Freitag (Enter Shikari, Monster Magnet, Patrice etc.), ist es auch nix. Deichkind zählen heute auch zu diesen Bands: Die haben doch tatsächlich Ferris MC in die Band aufgenommen und hüpfen wie immer in „verrückten“ Anzügen über die Bühne, spielen ihr ewiges „Remmidemmi“, so vorhersehbar wie albern.

Da sind die Beatsteaks weitaus sympathischer. Die Headliner, live eine Bank, spielen ein furioses Konzert. „2001 standen wir noch ganz weit unten auf dem Plakat“, ruft Arnim Teutoburg-Weiß ins Rund. Jetzt sind sie ganz oben angekommen, man nimmt ihm seine Freude ab. Während sich die Chemical Brothers gleichzeitig auf der blauen Bühne unsichtbar durch ein langweiliges Set bollern, wird es im Zelt noch mal voll: Die Weakerthans spielen ihre melodischen Indiepopsongs und sehen dabei ähnlich glücklich aus wie die vielen Menschen vor der Bühne.

Samstag, heiß und staubig. The Wombats sprechen gebrochenes Deutsch und verzeichnen den größten Zulauf am Nachmittag. Staubwolken steigen auf, Schweiß läuft der Band durchs Gesicht, die erstaunlich gut klingt und sich in rasanten 50 Minuten völlig verausgabt. Danach sind The Subways dran und auf der Hauptbühne die Kaiser Chiefs; trotzdem haben sich einige Leute ins Zelt verirrt, wo sie nach der Absage von Foals (Busunfall in Frankreich) die erste dicke Überraschung erleben: Operator Please. Eine stämmige, energetische Sängerin, eine blasse Geigerin, ein Schlagzeuger, der aussieht, als sei er 12, der Bassist: schick gekleidet, aber nicht viel älter, und ein unbeteiligt wirkender Keyboarder hauen die Songs ihres Debüts yes yes vindictive mit einer Wucht raus, dass im Zelt bis ganz hinten getanzt wird. Die johlenden Ovationen ringen der Band ein schüchternes Lächeln ab. Sie können’s offenbar gar nicht glauben. Die Foo Fighters spielen dann abends gewohnt souverän ihren Stiefel runter. Dave Grohl hat keine Ahnung, wo er gerade ist („Hello, äh… bigfestivalpeople!“), schreit, headbangt und rockt wie eh und je, was aber schnell langweilig wird, weil vor allem die Songs der letzten beiden Platten ja irgendwie doch alle gleich klingen.

Der Sonntag beginnt für die 75.000 mit einer Unwetterwarnung für den späten Nachmittag. Man erinnert sich klamm an 2006, als Wassermassen Zelte wegschwemmten. Noch scheint die Sonne, als um 14 Uhr The Notwist auftreten (wer diese Band für diese Zeit gebucht hat, gehört zumindest einmal ordentlich ausgeschimpft) und der Unzeit zum Trotz gewohnt wortkarg Großartiges abliefern. Als gegen 16 Uhr die ersten Tropfen vom mittlerweile dunklen Himmel fallen und auf den Leinwänden noch mal dramatisch gewarnt wird, beschleicht die Leute doch so langsam ein ungutes Gefühl. Eine halbe Stunde später betreten Tocotronic die Bühne. „Hallo Hurricane! Wir sind Tocotronic!“, ruft Dirk von Lowtzow theatralisch. „Wir schicken euch einen Hurrikaaaan!“ ‚, und GENAU in dem Moment, als er die ersten Töne von „Freiburg“ spielt, wird der Regen stärker. Es blitzt, donnert und schüttet, während die Tocs nur Rocksongs spielen (endlich wieder: „Let There Be Rock!“). Bei „Kapitulation“ fällt so viel Wasser vom Bühnendach, dass unterbrochen werden muss. Dennoch: ein unglaublich gutes Konzert. Danach: kein Staub mehr, wieder strahlende Sonne und Sigur Ros, der nächste Höhepunkt! Wie die zu dreizehnt über die Bühne wuseln, ist sehr beeindruckend. Viele Songs von alten Alben, viele vom neuen, aber alles so lebendig vorgetragen, dass Kinnladen herunterklappen. SO hätten wir uns diese Band live nicht vorgestellt. Noch einmal ziehen Gewitterwolken auf: Radiohead spielen. Die Leute jubeln schon frenetisch, als die Band nur die Bühne betritt. Das Konzert ist rein großartig, übertrifft alles, was man hier bisher gesehen hat. Der Sound glasklar, die Ansagen knapp, die Songs überwältigend, die Bühnendekoration beeindruckend. Thom Yorke in seiner kleinwüchsigen Hyperaktivität mit dieser riesigen Stimme: einzigartig. Ein großartiger Abschluss für ein tolles Wochenende. Die Gewitterwolken blitzen noch mal. Dann ziehen sie weg.

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