Interview: Coldplay über ihr neues Album „Mylo Xyloto“


Große Melodien sind ihr Geschäft. Coldplay suchen die perfekte Hymne und wollen dabei echte Musikfans bleiben. Eine heikle Mission. Brian Eno hat dabei geholfen.

Ein Hinterhofgebäude im elitären Londoner Stadtteil Hampsted. Coldplay empfangen in ihrem „Bakery“-Studio. Nach fast zweijähriger Produktionszeit holen die Meister der Rockhymne zum nächsten großen Schlag aus. Die Single „Every Teardrop is a Waterfall“ recycelt Peter Allens Cocktailclub-Klassiker „I go to Rio“ aus den Siebzigern. „Paradise“ wird schon wegen des schwelgerischen Refrains jedes Arena-Publikum erobern. Und für den Song „Princess of China“ haben sie sich mal eben Rihanna ins Studio geholt. Die Mission für ihr fünftes Album „Mylo Xyloto“ ist eindeutig: Millionen-Hits im Breitwandsound.

Hat „Xyloto“ eigentlich eine Bedeutung? 
Guy Berryman
: Uns hat gefallen, dass man kann man ihn googeln konnte, ohne ein Ergebnis zu finden. Er hat einen guten Klang und eine gewisse Mystik, die dazu zwingt, die Fantasie zu benutzen.   

Chris Martin: Eines Tages wird dieser Titel hoffentlich nur dieses Album bezeichnen. Genau wie Coca Cola, Google, Youtube, die es vorher auch nicht gab. Er passt zu unserem Bandnamen. Keiner wusste, was er bedeuten sollte.

Seid ihr denn mit einem bestimmten System an die Songs heran gegangen?  

Will Champion: Wir verfolgen eine grundsätzliche Idee und erreichen dann einen Punkt, an dem wir nicht mehr glücklich mit dem Original-Konzept sind. Wir haben etwa 50 Songs verworfen, um zu den 14 zu gelangen, die jetzt übrig sind.

Auf „Every Teardrop Is A Waterfall“ heißt es in einer Strophe, dass ihr intensiv Musik hört…

Jonny Buckland: Es ist sehr wichtig, sich seinen Enthusiasmus zu bewahren, indem man viel alte und neue Musik hört. Im Studio kann man sehr analytisch werden – und komplett den Spaß verlieren. Deshalb ist es essentiell, sich weiterhin intensiv Platten anzuhören. Fan bleiben ist wirklich wichtig.

Chris Martin: Zusammen mit Brian Eno haben wir viele Sachen gehört und sie sogar nachgespielt. Diese Zeilen sind durchaus keine Fiktion. Auch während meiner morgendlichen Fitnessübungen höre ich viel Musik. Heute waren es The Smiths. Davor Tinie Tempah und PJ Harvey.  

Wie würdet ihr die Funktion von Eno im Bandgefüge beschreiben?

Jonny Buckland: Ein Lehrer. Ähnlich wie in „Karate Kid“, als Kid Mr. Miyagi besucht und dieser bringt ihm alles bei. Trotzdem ist Kid am Ende auf sich alleine gestellt. Er muss selbst klarkommen. Und genau so hilft uns Brian,. Er zeigt uns, was getan werden muss, und dann verschwindet er wieder.

Chris Martin: So was wie ein Zauberer.

Guy Berryman: Oder Berater. Im Gegensatz zum letzten Album war er ja nicht täglich vor Ort. Aber es macht ihm Spaß, zu komponieren und Ideen zu entwickeln, die später unsere Soundbasis bilden. Er breitet halt seine Saat aus.

Und diesmal hat er euch geraten: Mehr Gitarren?

Jonny Buckland: Mehr Gitarren, mehr von allem.

Chris Martin: Mit Ausnahme von mir. Also weniger Chris – mehr von allem anderen. Das hat er definitiv gesagt. Wenn man das Album hört, wird man verstehen, was er damit meinte.

Will Champion: Brians großes Talent besteht darin, Leute zu motivieren. Und zwar dahingehend, dass sie sich die Zeit nehmen, um neue Dinge auszuprobieren. Auch auf die Gefahr hin, dass es zunächst nicht funktioniert oder sogar gruselig klingt. Wir arbeiten daran und irgendwann passt es doch. Ich bin sicher, dass er das immer gewusst hat. 

Wie nahe kommt ihr U2 mit diesem Album?

Jonny Buckland: Nicht besonders. Wir lieben sie,  keine Frage. Sie sind eine außergewöhnliche Band und  einer unserer Haupteinflüsse. Aber man kann sich nicht wirklich mit ihnen messen.

Chris Martin: Da sind sie wie The Clash, an die wir ebenfalls nicht heranreichen. Wir können uns nur bemühen, möglichst eigenständig zu klingen. Was 2011 gar nicht so leicht ist. Du wirst immer mit der Pop-Geschichte verglichen. Die Herausforderung besteht darin, sich abzugrenzen. Natürlich lieben wir diese Bands. Es bedeutet nicht, dass wir genauso sein wollen wie sie.

Was macht Coldplay zu den erklärten Lieblingen von HipHop-Stars wie Kanye West oder Jay-Z?

Will Champion: Leute wie Kanye suchen immer nach melodischen Hooks. Ihre Art HipHop will etwas finden, an dem man einen Song aufhängen kann. Dabei ist es egal, ob das ein Beat, ein Sample oder eine Hookline ist. Wir konzentrieren uns immer auf Melodien. Egal, ob Gesangsmelodie oder Gitarrenriff. Ihr Interesse ist eine Art Respekt dafür.