Interview

Jamila Woods im Interview: „Liebe ist politisch“


Ist das Private doch politisch? Jamila Woods im Gespräch über Offenheit, Heartbreak & Selbstfindung.

Was ist Liebe? Diese Frage hat sich vermutlich jede und jeder schon irgendwann einmal gestellt. Was ist Liebe, was ist nur Lust, was fühlt sich gut an und wann sollte man vielleicht besser gehen? Niemand ist davor sicher, irgendwann sein Herz gebrochen zu bekommen – oder Herzen zu brechen. Auch eine Jamila Woods nicht.

Die Musikerin aus Chicago veröffentlichte im Oktober 2023 ihr drittes Album, WATER MADE US. Es geht um Liebe, um Selbstbetrachtung. Nicht selbstverliebt schaut Woods auf dem Cover und in den siebzehn Tracks ihr Spiegelbild auf der Wasseroberfläche an, sondern offen, selbstkritisch und introspektiv. Das Wasser ist hier eine Metapher, geliehen von der großen afroamerikanischen Autorin Toni Morrison. In einem Vortrag an der New York Public Library sprach sie 1996 von den regelmäßigen Überschwemmungen des Mississippi River als „Erinnerungen“ des Wassers, das sich die Gebiete zurückhole, die es bei der Begradigung des Flusses verlor.

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Das Wasser erinnert sich – und so möchte sich auch Jamila Woods erinnern. Erinnern, wie es sich lebt ohne den Heartbreak. Erinnern, wie es ist, Liebe zu empfinden. Wieder lernen, Freude und Offenheit zu fühlen, wie ein Kind, das auf die Welt furchtlos zugeht. „Ich hatte diese Notiz auf meinem Telefon“, erzählt sie im Spätsommer bei einem Interviewtermin in Berlin, „ich hatte aufgeschrieben, welche Stadien einer Beziehung ich immer erlebe.“ Erst still und obsessiv, dann entwickelt sich für sie ein richtiger Crush und sie fängt an, mehr und mehr Zeit mit der betreffenden Person zu verbringen. „Und dann dieser Moment der Ambivalenz oder wenn dich etwas zum ersten Mal irritiert und man sich fragt ‚mag ich diese Person wirklich?‘ Dann sich besser kennenzulernen, sich öfter zu sehen, der erste Streit, der erste Konflikt, das Ende und die Trauer darüber.“ Und vor allem: was danach kommt, zu lernen, sich wieder auf einen anderen Menschen einzulassen, ohne die Traumata der Vergangenheit mitzuschleppen. „Es geht um Beziehungen, aber auch um den inneren Weg, den ich gehen muss, um mich weiterzuentwickeln, auch in meinen Beziehungen.“

„Kleine Stückchen der Weisheit“

Diese Handynotiz sollte der Ausgangspunkt des Albums werden, und ihm Struktur geben: WATER MADE US ist nach diesen Stadien aufgebaut, der Sound verändert sich über das Album. Von anfänglicher Euphorie zu Zweifeln, zu Begeisterung, Schmerz und Wiedergeburt. Und dazwischen hat Woods gemeinsam mit ihrem Produzenten McClenney Skits eingebaut, Gespräche mit Familienmitgliedern wie ihrem Großonkel Quentin oder mit Freundinnen über die Liebe und die Suche nach ihr. „Ich bin durch die ganzen Aufnahmen auf meinem Telefon gegangen. Besonders während der Pandemie haben meine Freund:innen und ich uns viele Sprachnachrichten hin- und hergeschickt – teilweise in Podcastlänge“, erzählt sie und lacht, „also hatte ich eine Menge cooler Gespräche und Aufnahmen zur Verfügung, aus denen ich kleine Stückchen der Weisheit benutzt habe.“

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So hat WATER MADE US auch irgendwie etwas von einem Hörspiel, von einem langen Radioessay – zu dem man aber auch ganz wunderbar tanzen kann. Es ist kein Heartbreak-Album, das eine konkrete gescheiterte Beziehung verarbeitet, sondern eine fast theoretische Betrachtung von Liebesbeziehungen und auch der Liebe zu sich selbst. Und irgendwie passt das auch zu Jamila Woods, denn „einfach“ und ohne doppelten Boden war noch nie ihr Ding. Die Chicagoerin ist so viel mehr als nur eine Musikerin: Als Dichterin veröffentlichte sie mit Anfang 20 schon ihr erstes Buch, als Aktivistin arbeitete sie in Jugendprojekten, unterrichtete an Schulen und Universitäten und organisierte riesige Jugendveranstaltungen wie das Poetryslam-Festival „Louder Than Bombs“ in Chicago. Noch heute fungiert sie immer wieder als Mentorin für Studierende und Schüler:innen, teilt ihr Wissen und ihre Ressourcen.

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Geschichten in verschiedensten Formaten zu erzählen, ist also der Kern von Woods Arbeit, und ist auch immer wieder Teil ihrer Musik. Zwei Alben veröffentlichte sie gemeinsam mit ihrem Ex-Kommilitonen von der US-amerikanischen Eliteuni Brown, Owen Hill, unter dem Namen Milo & Otis. Ab spätestens 2016 trat sie solo auf, veröffentlichte ihr Solodebütalbum HEAVN. Schon zuvor entwickelte sie sich durch ihre aktivistische Arbeit und Features bei Chance the Rapper und Macklemore zu so etwas wie einem musikalischen Sprachrohr der „Black Lives Matter“-Bewegung. Mit HEAVN nahm sie diesen Status dann endgültig ein, schrieb Protestsongs für eine neue Generation, mal tanzbar, mal ganz weich – aber immer klar in ihrem Inhalt und ihrer Haltung. LEGACY! LEGACY! aus 2019 dann, der Nachfolger, befasste sich in jedem Song mit einer wichtigen Künstler:in der afro-amerikanischen Community, darunter James Baldwin, Octavia Spencer, Betty und Miles Davis, Eartha Kitt oder Muddy Waters. Durch die Geschichten dieser Vorbilder erzählte Woods von ihrem eigenen Leben, aber auch vom Struggle, den Schwarze Amerikaner:innen immer noch durchleben.

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Da wirkt es fast unpolitisch, sich diesmal mit Liebe zu befassen. Oder? „Ich hatte diesmal tatsächlich das Gefühl, gehemmt zu sein“, meint Woods, „weil ich darüber nachgedacht habe, wie es wohl da draußen aufgenommen wird, über etwas zu schreiben, was nicht so offensichtlich politisch ist.“ Aber das Private ist eben auch politisch. Ganz besonders, wenn man wie Jamila Woods eine Schwarze Frau aus Chicago ist, einer Stadt, die aufgrund mancher von Gewalt gezeichneter Bezirke auch „Chiraq“ genannt wird. Zu lieben, sich und andere, ist ein politischer Akt der Selbstbestimmung, des Selbstwerts und auch ein Zeichen der Hoffnung, der Hoffnung auf eine bessere Zukunft und eine bessere Welt.

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„Beziehungen sind ein Mikrokosmos der Welt, in der wir leben“

„Eine Person hat mir gesagt: Beziehungen sind ein Mikrokosmos der Welt, in der wir leben“, erinnert sich Woods. Die Machtverhältnisse da draußen spiegeln sich auch im intimen Nahbereich, in Familie, Liebesbeziehungen, Freundschaften. Eine andere Bekanntschaft ging sogar weiter und bestärkte Jamila Woods noch mehr, sich nicht für das vermeintlich unpolitische Thema zu genieren: „Sie sagte mir, dass wenn ich die Geschichten meiner Beziehungen erzähle, ich damit das Hals-Chakra der Frauen in meinem Stammbaum heile. Sie konnten nicht darüber sprechen, was sie erlebten, aber ich kann das – das hat mir geholfen, anders über das Projekt nachzudenken und mich aus diesem Gedankenkreislauf zu befreien, der mir sagte ‚das Thema ist nicht so wichtig‘.“ Im Grunde dreht Jamila Woods mit WATER MADE US die Vorzeichen ihrer Arbeit um: „Ich hatte bei LEGACY! schon das Gefühl, sehr intime, verletzliche Dinge zu teilen, aber ich hatte dieses Schild davor. Das Konzept war wie eine gemütliche Decke – dieser Prozess der Introspektion und das offenen Teilens von Erfahrungen war diesmal anders.“ Bislang versteckte sich unter dem Politischen das Private, diesmal zeigt sich das Politische hinter dem Privaten. Sie begreife Liebe nicht als etwas, was einem eben passiere, sondern als etwas, an dem man aktiv teilnehme, aktiv daran arbeite, die Verkrustungen des Alltags aufzubrechen und zu Liebe für sich und auch für andere zu finden. Und damit vielleicht auch: die Welt ein bisschen besser machen.

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Aber über allem steht natürlich erst einmal die Liebe zur Musik. Und dazu, sich nicht einengen zu lassen in der eigenen Kreativität. Schon immer hat Jamila Woods ihre Liebe zur Musik schon allein damit gezeigt, dass sie sich wenig um Genregrenzen schert. Aber WATER MADE US klingt noch freier, noch unbekümmerter. Sie spielt mit Soundelementen aus verschiedensten Musikwelten, bleibt ihren R’n’B- und Soulwurzeln treu, aber spielt auch mit elektrischem Gegenwartspop, Singer/Songwriter-Elementen, es wird psychedelisch, dann wieder funky. Vielleicht liegt das auch in der Freiheit, die sich Woods für dieses Album gegeben hat, gerade nach der rigiden Struktur von LEGACY! LEGACY!. „Der Weg zu diesem Album jetzt war ehrlich gesagt ein wenig unklar, manchmal hat es mich verrückt gemacht. Ich wusste lange nicht, worüber ich schreibe. Ich wollte einfach nur versuchen, so viele Songs wie möglich zu schreiben, weil ich mir noch nie dafür die Zeit genommen habe“, erinnert sich Woods. Doch Pandemie und Lockdown zwangen zur Introspektion, und auch zu einer Veränderung im Sound: während sie vorher viel gemeinsam mit einer Band aufnahm, arbeitete sie diesmal zusammen mit dem Produzenten McClenney viel vom Computer aus und entwickelte im Duo Struktur und Songs, die zusammen die Entwicklung von der Verliebtheit über die Liebe bis hin zur Trennung und Neuanfang nachfühlen lassen.

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Eine Playlist für Freund:innen nach einer Trennung

So ein ausgetüfteltes Gesamtkunstwerk wirkt wie in Zeiten von Streamingplattformen, Playlists und Tiktok fast anachronistisch. Ist Jamila Woods aber egal, WATER MADE US ist für sie eher so etwas wie eine Playlist, die man für Freund:innen nach einer Trennung zusammenstellt, um sie zu trösten: „Natürlich gibt es auf jeder Playlist die drei Songs, die man sich am meisten anhört, die am ehesten zu einem sprechen“, erklärt sie, „und das ist okay. Die Songs sollen auch für sich stehen können. Aber ich wünsche mir, dass es sich die Leute als Album anhören. Denn ich glaube, dass man ein ganz besonderes Gefühl des Triumphs fühlen kann, wenn man sich das ganze Ding anhört.“
Was ist sie also, Liebe? Auf WATER MADE US macht sich Jamila Woods mit uns auf die Suche nach einer Antwort. Und findet: sich selbst.

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