John Lennon – Die privaten Jahre


John Lennon widmete sich in seinem Leben als Privatperson mit derselben Intensität, die er bislang in seine Musik kanalisiert hatte. Nach anderthalbjähriger Trennung war er im März 1975 zu Yoko zurückgekehrt. Nachdem sie ihn aufgenommen hatte und nachdem vielleicht noch wichtiger – am 9. Oktober (ebenfalls Johns Geburtstag) Sean Ono Lennon geboren worden war, entwickelte er sich zwar nicht zu einer gänzlich anderen Person, wurde aber endlich der gereifte Mann, der er immer hatte sein wollen.

Grund dafür war Yoko. Sie gab ihm – nein, sie verordnete ihm die Richtung, die er nach eigenem Gefühl immer benötigt hatte. Und sie schenkte ihm Sean Ono, den beide als ein Kind sahen, das die einmalige Chance besaß, unter idealen Bedingungen aufgezogen zu werden, um folglich ein ideales menschliches Wesen zu werden: frei von Rassismus und Sexismus und all den anderen Ismen, mit denen ihrer Meinung nach wehrlose Kinder allenthalben gebrandmarkt werden.

Yoko gab, nein sie ver- ordnete ihm die Rich- tung, die er nach eigenem Gefühl benötigt hatte.

Während der Schwangerschaft verhielten sich John und Yoko fanatisch gesundheitsbewußt. Sie besuchten Kurse, in denen sie natürliche Geburt studierten. Trotzdem hatte Yoko eine komplizierte Niederkunft. Als die Wehen begannen, wurde sie von heftigen Krämpfen befallen John rief nach einem Arzt, doch als dieser das Zimmer betrat, kümmerte er sich nicht etwa um Yoko, sondern eilte geradewegs auf John zu und sagte: „Wissen Sie, ich habe Ihre Musik, die Sie als Beatle gemacht haben, abgöttisch geliebt. Ich wollte Ihnen schon immer einmal die Hand schütteln!“

“ Verpissen Sie sich!“ ’schrie ihn John an. „Retten Sie Yokos Leben!“ Man betäubte Yoko, und Sean wurde mit Hilfe eines Kaiserschnitts zur Welt gebracht.

Als er sich in der Kleinkinderabteilung des Krankenhauses aufhielt, beobachtete John das Verhalten der Krankenschwestern und stellte fest, daß die schwarzen Schwestern im Radio Disco-Musik hörten, während die weißen eher Country&Western bevorzugten. John hingegen wollte, daß Sean musikalisch von vorneherein nicht eingeschränkt würde und bereitete deswegen seine eigene Auswahl vor. In Seans Kinderzimmer füllte er eine Musikbox mit den unterschiedlichsten Sachen von Elvis Presley bis Donna Summer.

Schon als sie schwanger war, hatte Yoko schrittweise die Pflichten übernommen, ihre gemeinsame und weitverzweigte Firma „Lenono“ zu führen und somit die Rolle zu übernehmen, die in früheren Zeiten die Beatles-Manager Brian Epstein und Allen Klein gespielt hatten. John war überglücklich, all diese Dinge jemandem übertragen zu können, dem er hundertprozentig vertraute, Dem er vertraute, wenn es in „Lenonos“ Büro im Erdgeschoß um den Kauf von Milchkühen oder Grundstücken in Florida ging, während er im siebten Stock mit Hilfe von zahlreichen Hausangestellten Sean aufzog.

Während dieser Zeit machten beide eine kurze Reise nach Ägypten und verbrachten eine Nacht in der Großen Pyramide. Yoko, die dem Übersinnlichen von jeher zugeneigt war, kehrte mit einer großen Sammlung von ägyptischen Kunstschätzen zurück. Sie hatte bereits die Anwälte der Plattenfirma bei offiziellen Verhandlungen dadurch schokkiert, daß sie – obwohl juristisch nicht vorgebildet – als einzige Vertreterin von John erschien. Jetzt tauchte sie bei derartigen Konferenzen gar in alten ägyptischen Roben und mit entsprechender Haartracht auf. John, der davon begeistert war, saß derweil zuhause und lernte, wie man Brot backt.

Lennon nahm die Rolle des Hausmannes absolut ernst. Er stimmte mit Yokos Ansicht überein, daß neun Monate Schwangerschaft für die Frau eine enorme Belastung sind – und daß sich daher nach der Geburt zunächst einmal der Vater oder die Gesellschaft um das Kind kümmern müsse, John tat nicht nur das, sondern unterwarf sich uneingeschränkt Yokos Wünschen und wandte seine gesamte Aufmerksamkeit ihrem gemeinsamen Sohn zu.

Elliot Mintz, jahrelang ein intimer Freund von John und Yoko, erinnert sich daran, wie John reagierte, nachdem Hausangestellte Sean einen Schokoladenriegel gegeben hatten, damit er zu schreien aufhöre: „Zum Teufel mit diesen Leuten! Sean ißt mir keinen Zucker, Sean sieht keine Fernsehwerbung, und er wird auch nicht sehen, wie Leute einander erschießen. Er wird nicht das Fernsehen als Babysitter kennenlernen, er wird nicht zur Schule gehen, man wird ihn nicht unbeachtet lassen, er wird es nicht erleben, daß seine Fragen unbeantwortet bleiben.“

Wenn Yoko sagte: „Du solltest morgen 18000 Meilen in nordwestliche Richtung reisen“, dann reichte das für ihn.

Mintz fügt hinzu: „Er wurde jeden Abend von John gebadet, John saß mit ihm in der Wanne und wenn er eine Frage hatte, dann wurde sie beantwortet. Und wenn John einen Spaziergang machte, dann kam Sean selbstverständlich mit. Sean wurde nie bei anderen Leuten abgegeben. Obwohl John und Yoko doch alles Geld dieser Welt besitzen – einen Babysitter beschäftigten sie nicht.

Und wenn Yoko dann nach einem Arbeitstag zurückkam und davon erzählte, wie sie irgendein großes Geschäft zustande gebracht hatte, dann konnte es passieren, daß John darauf antwortete: ,Ich will davon nichts hören. Sean hat einen Pickel jemand muß ihm heimlich Zucker gegeben haben. Also, besorge bitte 20 Exemplare von ,Sugar Blues‘ (eine Makrobiotik-Fibel -Red.) und verteile sie unter den Angestellten. So was darf nicht wieder vorkommen.“

Johns neues Leben wurde überraschend asketisch, nachdem er Kokain, Alkohol-Exzesse und seine wilden Touren in Los Angeles endgültig zu den Akten gelegt hatte. Außer seiner Leidenschaft für die besonders teerhaltigen Zigaretten Gitanes und seinem ständigen Durst auf pechschwarzen Kaffee führte er für einen Rock-Star ein außergewöhnlich giftfreies Leben. Yoko und er waren gemeinsam auf Heroin gewesen (Yoko hatte später behauptet, sie hätten H genommen, um ihre künstlerischen Talente zu zelebrieren, und seien damit schlecht beraten gewesen), aber sie waren auch gememsam wieder davon runtergekommen.

John war es absolut ernst damit: Sem Leben mit Yoko und Sean im „Dakota“ war das einzige, worauf es ihm ankam. Einmal rief er mitten in der Nacht Mintz in Los Angeles an. „Mir ist heute etwas Unglaubliches passiert, Elliot“, erinnert sich Mintz an die Unterhaltung. „Und er sagte es mit einer derartigen Bedeutungsschwere, daß ich daraufgefaßt war, er werde mir ein wirklich entscheidendes spirituelles Erlebnis offenbaren. Ich setzte mich im Bett auf und sagte: ‚Ja?‘ Er fuhr fort: ,Ich habe mein erstes Brot gebacken, und du kannst dir nicht vorstellen, wie gut der Teig aufgegangen ist'“

Elliot Mintz bekam seinen ersten Kontakt mit John und Yoko, als er 1972 für eine Radiostation ein Telefon-Interview mit Yoko führte. Wie er ihnen zum erstenmal persönlich begegnete und einer ihrer engsten Freunde wurde, sagt viel aus über die Art und Weise, wie John und Yoko lebten. Eine Geschichte, die Mintz am besten selbst erzählt:

„Yoko war von dem Live-Interview überaus angetan. Ich rief sie am nächsten Tag zurück, um mich bei ihr zu bedanken. Ziemlich schnell fanden wir heraus, daß wir beide Telefon-Freaks sind. Durchschnittlich komme ich auf sechs Stunden Telefonieren am Tag, sie auf acht. Yoko glaubt, daß man am Telefon eine größere Intimität erreichen kann als im Gespräch unter vier Augen.

Während Yoko bei Konferenzen seine Interes- sen vertrat, saß John zu Hause und lernte Brot zu backen.

Yoko und ich redeten also stundenlang und fanden heraus, daß wir eine Menge miteinander gemein hatten. So erfuhr sie schnell, daß ich jemand bin, der so gut wie nie schläft. Und sie selbst schläft auch nicht so, wie es die meisten Menschen tun. Sie macht kleine Nickerchen, praktiziert Selbsthypnose und zählt manchmal John in den Schlaf.

Wenn ich um zwei Uhr morgens von meiner Radio-Sendung nach Hause kam, machte es mir also nicht das geringste Kopfzerbrechen, bis halb fünf oder halb sechs mit Yoko zu telefonieren. Dann wachte John meist gerade auf und rief mich seinerseits an. Keiner von beiden hatte enge Freunde, denn zwischen ihnen lief so viel ab, daß sie nicht das Bedürfnis hatten, überhaupt andere Menschen zu sehen.

Einige Monate später beschlossen sie, mit dem Auto durch die USA zu fahren und fanden sich irgendwann in Santa Barbara wieder. Sie riefen mich an. Yoko sagte: ‚Wir haben Amerika gesehen, jetzt würden wir gern dich sehen.‘ Sie gaben mir Instruktionen, wo wir uns treffen sollten.

Auf einem Feld hielt ich schließlich neben einem staubbedeckten Stationwagon. Ich erinnere mich noch daran, wie aufgeregt John und Yoko aussahen. Immer wieder zeigten sie mit dem Finger auf mich und kicherten, weil sie mich aus dem Fernsehen wiedererkannten. Es war eine ziemlich absurde Umkehrung der Rollen. Ich stieg zu ihnen in den Wagen, und John sagte zu Yoko:, Nun, da ist er also. Nun gib ihm auch einen Kuß.‘ Sie hatten in Ojai in der Nähe von Santa Barbara ein Haus gemietet. Es war Sommer, und wir begaben uns an den Swimmingpool. Ich hörte hinter mir ein Rumoren. John streifte sich einen Bademantel über, damit er die Hosen aus- und seine Badehose anziehen konnte. Er grinste und sagte: ,Ich bin nun mal Engländer. ‚ „Ungefähr eine Stunde lang unterhielten wir uns über Politik. Sie erzählten, sie hätten gerade das Album SOME TIME IN NEW YORK CITY fertiggestellt und würden gern meine Meinung hören. Wir gingen also nach drinnen, John nahm die Platte und tat dann etwas, das ihn viele Jahre lang für mich charakterisierte. Wenn es um irgend etwas Technisches ging – ein Fernglas, eine HiFi-Anlage oder einen Cassettenrecorder -, erwies er sich als absolut hilflos. Hätte man ihm alles Geld dieser Welt geboten es wäre ihm nicht gelungen, eine simple Stereo-Anlage zum Laufen zu bringen.

Mit gemeinsamer Anstrengung gelang es uns endlich, die Platte zu hören. John bezeichnete sie als eines seiner verlorenen Alben, denn es handelte von politisch engagierten Persönlichkeiten wie Angela Davis, John Sinclair und den Black Panthers, die zu einem kommerziellen Erfolg der Platte sicher nicht beiBitte umblättern

tragen würden. Sie sagten: .Hier nimm es mit zu deiner Radio-Station und spiel es. Du bist der einzige, der es hat.‘ Das tat ich auch. Ich war müde. Ich vergaß, daß einige Schimpfwörter darauf zu hören waren und daß es um die Black Panthers gmg. Und zu jener Zeit war man in Amerika nun mal auf solche Sachen nicht besonders scharf. Ich spielte das Album ganz durch und ließ jegliche Werbung heraus. Dann hielt ich ein paar Telefonleitungen bereit, um die Reaktion der Hörer zu erfahren.

John und Yoko kamen wenig später nach Los Angeles – und ich fragte sie, ob sie die Sendung gehört hätten. John sagte, sie hätten es versucht, aber das Radio sei kaputt gewesen. Yoko blickte nur vielsagend an die Decke, denn John hatte offensichtlich versucht, das Programm auf Mittelwelle zu hören, obwohl es auf UKW lief. John fragte mich, wie man auf die Sendung reagiert habe.

Ich sagte, sie sei sehr gut angekommen – bis auf die Tatsache, daß man mich gefeuert habe und meine Karriere beim Radio zu Ende sei. ‚Das ist in Ordnung‘, sagte John. ‚Das ist in Ordnung. Du kommst mit uns. Wir fahren morgen nach San Francisco. Ich fuhr mit ihnen.“

In bestimmten Kreisen ist seit langem bekannt, daß sich Yoko stark mit weißer Magie beschäftigt und keine Entscheidungen trifft, ohne nicht vorher jemanden aus dem Kreis der Astrologen, Wahrsager, spirituellen Ratgeber, Numerologen, Interpreten des „I Ging“, Seher und dergleichen zu befragen, die das Schattenkabinett des „Lenono“-Imperiums ausmachen.

John glaubte an Yoko und stellte niemals eine Entscheidung oder einen Befehl ihrerseits in Frage. Vieles von dem, was am Ende „Runden“ oder „Richtungs-Trips“ genannt, wurde, machte er widerstandslos mit, ohne die Weisheit ihrer Befehle anzuzweifeln. In zwei Tagen machte er eine Reise um die Welt. Er begab sich nach Südafrika. Er fuhr und flog hierhin und dorthin. Sie sagte, das sei etwas, was er unter allen Umständen zu tun habe.

Als Elliot Mintz Lennon zum erstenmal danach befragte, sagte er ihm: „Sie kann Dinge sagen die du nicht verstehst. Doch richte dich danach. Sie hat immer recht. „

Jahre später sagte Mintz: „Ich weiß mit Sicherheit, daß sie übersinnliche Kräfte und außergewöhnliche Vorahnungen hat. Immer, wenn irgend etwas bevorstand, pflegte John sie anzuschauen und zu sagen: ,Ich hätte gern, daß du das mal nachprüfst.‘ Und wenn sie dann sagte: Jch bin der Meinung, es ist für dich wichtig, daß du morgen etwa 18000 Meilen in nordwestliche Richtung reist‘, dann reichte das für ihn. Oder aber sie sagte:

Wenn du dies tust, dann wird es die nächsten sechs Monate deines Lebens auf dramatische Weise zum Besseren beeinflussen ‚“ (Es bleibt die unbeantwortete Frage: Bei all den Menschen mit übersinnlichen und telepathischen Gaben, die sich im Umfeld von John Lennon befanden – warum nahm nicht einer von ihnen zumindest ansatzweise die Gefahr wahr, die sich in den Zahlen 8.12.1980 andeutete? Warum kam keine Warnung?) Mintz wurde zu einem Vertrauten und war häufig mit John und Yoko unterwegs. Eine typisehe Keise verlief folgendermaßen; Ein Kurier lieferte Mintz ein One-Way-Ticket nach Japan aus, dazu gab es noch weitere Instruktionen, die von John unterschrieben waren, und zwar mit der unverkennbaren Zeichnung von sich selbst mit Brille plus Yoko und Sean.

Mintz: „Also flog ich nach Tokio, und natürlich holte mich niemand ab. Typisch. Obwohl John und Yoko immer Erster Klasse reisten, gab es jedesmal Pannen, Nie wurden sie abgeholt, nie hatten sie einen VIP-Aufenthaltsraum, nie eine Limousine. Das lag hauptsächlich daran, daß jede Reservierung für John Lennon stets als Witz aufgefaßt wurde. Wenn John zum Beispiel am Telefon sagte:, Hier ist John Lennon, ich möchte eine Schokoladentorte bestellen‘, dann bekam er als Antwort höchstens zu hören: ‚Aber klar doch, du Witzbold!‘ Deswegen versuchte er es erst gar nicht mehr.

Als der Zug das elftemal hielt, stieg ich aus, wie man mich angewiesen hatte. Es war drei Uhr morgens. Ich sah nur einen alten Mann mit einem grauen Bart und hoffte, er sei der Bursche, den ich treffen sollte. Ich lächelte ihn an, und er verbeugte sich. Ich sagte John Lennon‘ und er lächelte. Dann sagte ich ,Yoko Ono‘, und sein Gesicht strahlte. Er zeigte auf zwei heruntergekommene Fahrräder, und schon strampelten wir in die finstere Nacht.

Nach sieben Ewigkeiten sah ich einen See und ein japanisches Gasthaus. Eine Shoji-Schiebetür öffnete sich, und eine Frau führte mich hinein. Ich schlief, bis sich am nächsten Morgen wieder die Schiebetür öffnete.

Da waren sie. John hatte noch nie so wundervoll ausgesehen. Er trug einen unglaublich schönen antiken Kimono, Yoko neben ihm in einem weißen Seidenkimono. John sagte: ,Paß auf, du wirst Dinge hören und sehen, die du nicht verstehen kannst. Vertraue ihr nur. Du mußt ihr einfach vertrauen.

Wir fuhren nach Kyoto, der alten Stadt der Schreine und Tempel. John war Feuer und Flamme. Wir scherzten darüber, daß er paradoxerweise vor einigen Jahren gesungen hatte: .Ich glaube nicht an das I Ging, ich glaube nicht an Magie, ich glaube nicht an Buddha, ich glaube nicht an Knshna’aber ich kann nur sagen – er glaubte an all das.

Zwei Sorten Bücher bevorzugte John. Sem Lieblingsthema war Geschichte. Er verriet mir, daß er einmal mit dem Gedanken gespielt habe, unter einem Pseudonym einen; historischen Text zu verfassen. Gleich danach kam aber sein Interesse am Okkulten. Er bezeichnete sich nicht als religiösen Menschen, aber glaubte doch an den göttlichen Geist. John war in mancherlei Weise ein Schriftgelehrter und konnte alles Erdenkliche aus der Bibel zitieren.

Wir besuchten die heiligen Schreine in Kyoto, und John betete davor. Yoko wurde manchmal ungeduldig, weil sie dergleichen schon hinter sich hatte und inzwischen nicht mehr besonders beindruckt war von Schreinen und Buddhas und dergleichen. John aber war tief bewegt.“

John war ein Schriftgelehrter und konnte alles Erdenkliche aus der Bi bel zitieren.

Als sie nach vier Monaten zurückflogen – John, Yoko, Sean und Mintz -, wurden vier Erste-Klasse-Tickets gekauft. John und Yoko kauften immer auch die Sitze links und rechts und vor und hinter sich. Damit wurde es unmöglich, daß irgendein Fremder sich zu John umdrehen und fragen konnte: „Wann spielen die Beatles endlich wieder zusammen'“ Auf einem Lufthansa-Flug baute John gar einmal die gesamte Lounge der Boeing 747 zu einem Spielzimmer für Sean um und stellte eine Autorennbahn darin auf.

Was seine Reisen betraf, sagte John einmal: „Ich wechsle einfach nur die Schlafzimmer. Was draußen vor sich geht, kümmert mich nicht besonders. „Ein neues Hotel bedeutete für ihn lediglich neuen Room-Service, fremdartige Speisen und ein neues Fernsehprogramm. Das liebte er. In New York sah er ununterbrochen fern.

Wenn das Fernsehen ihn einmal langweilte, hörte er Bänder, alte Tonbänder von Hank Williams, Carl Perkins, Jerry Lee Lewis und alles, was Bing Crosby je gesungen hatte. Er hörte Sir John Gielgud, der Shakespeare rezitierte. Er besaß hundert Stunden Vorlesungen des Philosophen Alan Watts über die Weisheit des Ostens.

Elliot Mintz gab John einige Bücher über Howard Hughes. Sie scherzten darüber, wie Hughes seine geheimnisvollen Jahre in Hotelzimmern verbrachte und fast nichts anderes tat, als sich Filme anzusehen. Als Witz fing Mintz damit an, John „Mr. Hughes“ zu nennen. Er trug weiße Handschuhe und eine weiße Gesichtsmaske, wenn er Johns Schlafzimmer betrat. John liebte es. Er hatte damals schon ange fangen, keine Autogramme mehr zu geben, das Telefon nicht zu beantworten und vor Fotografen zu fliehen – alles offensichtlich Folge seiner Entscheidung, sich aus dem Rock ’n‘ Roll zurückzuziehen.

John Lennons „Weißes Schlafzimmer“ im „Dakota“ wurde zum Zentrum seines Lebens, zum stillen und dunklen Allerheiligtum. John liebte es, auf dem Bett zu sitzen, zu lesen oder zu schreiben oder seine rote Stratocaster Bine umblättern

zu spielen. Neben ihm auf einem weißen Bücherregal befanden sich sein geliebter alter Scott-Empfänger, seine Kopfhörer und seine Kabelfernseher-Kontrollbox für den gigantischen Sony, der am Fuß des Betts stand. Der Kamm im Zimmer wurde nur selten benutzt, der Fernseher immer. John nannte den Fernseher seinen „elektronischen Kamm“. Alle paar Minuten ging er die Kabel-Kanäle durch, ob Yoko das gefiel oder nicht. John liebte das Fernsehen und entschied meistens auch, was gesehen wurde. Seine Gitanes und ein Aschenbecher waren in Reichweite. Am liebsten trug er Jeans und Cowboy-Hemden oder einen seiner japanischen Kimonos. 24 Stunden am Tag glommen Räucherstäbchen.

Johns Seite des Bettes war unantastbar. Das Territorium war allem ihm reserviert. „Lenono“-Assistenten wußten, daß sie das Tablett mit Tee für John erst Yoko geben mußten, die es dann weiterreichte. Niemand ging an Johns Seite des Bettes. Sie war seine letzte Zufluchtsstätte.

Johns wahrscheinlich letzter Versuch, auch etwas Eigenes zu unternehmen, war der „Club Dakota“. Er hatte von der „Blues Bar“ gehört, dem kleinen New Yorker Privatclub, den die „Blues Brothers“ John Belushi und Dan Aykroyd für sich und ihre Freunde unterhielten. Obwohl John nicht ausging, gefiel ihm die Idee einer intimen Bar – ein Club, wo er vollkommen geschützt wäre vor den Tausenden von Fans, die nichts anderes zu fragen hatten als „Wo ist Paul?“ oder „Wann vereinen sich die Beatles wieder?“.

Niemand durfte an Johns Seite des Bettes. Sie war seine letzte Zufluchtsstätte.

Der Plan nahm konkrete Formen an, als Yoko John zu seinem 38. Geburtstag eine besonders schöne alte Wurlitzer-Musikbox schenkte; Elton John schickte ihm außerdem ein elektrisches Yamaha-Piano. John fand einen leeren Raum im „Lenono“-Komplex und stellte die beiden Sachen dort auf. Die Musikbox war gefüllt mit Frankie Laine, Bing Crosby, Guy Mitchell und dergleichen. Der Raum durfte von niemandem betreten werden als von John und Yoko und Mintz.

Als Mintz das nächstemal nach New York kam, sagte ihm John: „Wir sollten aus diesem Raum einen schicken Privatclub machen, einen alten englischen Gentlemen-Club. Wir kaufen noch ein paar Sachen und iLberraschen Mutter.“

Die beiden durchstreiften Manhattan, kauften billige Couches mit gehäkelten Deckchen, Standaschenbecher wie aus einer Zahnarzt-Praxis, Martini-Shaker, billige Aquarelle mit fliegenden Flamingos und einen billigen Zigarettenautomaten, damit Clubmitglieder sich etwas zu rauchen kaufen konnten, wanrend sie im Flur draußen warten mußten, daß man ihnen einen Platz anwies.

Silvester 1979 wurde der „Dakota Club“ eröffnet. Lennon und Mintz waren ordentliche Mitglieder, Yoko nur Ehrenmitglied, denn John wußte, daß sie andernfalls auf der Stelle versuchen würde, auch Frauen die Mitgliedschaft im Club zu ermöglichen. Es blieb bei drei Mitgliedern. Mintz und Lennon kamen im Frack, und John ließ Yoko auf einem silbernen Tablett die formelle Einladung zukommen, der Eröffnung des Clubs beizuwohnen. Um Mitternacht tanzten John und Yoko zusammen. Dann tranken sie und Mintz einander zu und betrachteten das Feuerwerk über dem Central Park. John schien niemals glücklicher gewesen zu sein.

Einen Monat später kam Mintz nach New York, aber der Club existierte nicht mehr. Mintz fragte Lennon, und der antwortete ihm, der Club sei ein bißchen zu populär geworden. Mehr wurde zu dem Thema nicht gesagt.

Einige Monate später schlug Yoko vor, auf die Reise im Segelboot zu gehen, von der John schon immer gesprochen habe. Sie hielt Bermuda für ein gutes Ziel. Er stimmte zu. Etwa zur gleichen Zeit hatte er angedeutet, er sei vielleicht nicht abgeneigt, es wieder mit ein bißchen Rock ’n‘ Roll zu versuchen, aber er war sich nicht ganz sicher, ob er den kreativen Funken noch in sich habe.

Als John im Sommer 1980 die Bermudas erreichte, rief er Yoko an und bedankte sich bei ihr. Das Leben verlief friedlich, und auf Johns Wunsch kamen Sean und sein Kindermädchen ebenfalls nachgeflogen. Yoko mußte sich um Geschäfte kümmern und blieb in New York. Eines Tages spazierten John und Sean durch den botanischen Garten und bewunderten eine Orchidee namens „Double Fantasy“. Regelmäßig begegneten sie am Strand einer Malerin, die schließlich ihren Mut zusammennahm und John fragte, ob sie ein Porträt von ihm und Sean machen dürfe. John erklärte sich einverstanden. Jeden Tag gingen sie in das Studio der Malerin und saßen für das Porträt. Als Überraschungsgeschenk brachten sie das Bild mit nach New York, wo es heute über Yokos Schreibtisch in „Dakota“ hängt.

John war sich nicht sicher, ob er den kreativen Funken überhaupt noch in sich habe.

Der „Lenono“-Assistent Fred Seaman, der auf der Reise dabei war, hatte John schon lange zuvor Kassetten von neuen Gruppen wie den Pretenders, Madness, B-52’s und Lene Lovich gegeben. John hatte sie beiseite gelegt, aber auf den Bermudas hörte er rein und sagte, er sei verblüfft über die Tatsache, daß Sachen,

die er und Yoko schon vor zehn Jahren gemacht hatten, jetzt von neuen Rockbands aufgegriffen wurden.

Eines Abends bat er Fred, ihn mit in eine Disco zu nehmen, um sich ein bißchen über neue musikalische Trends zu informieren. Seit London in den sechziger Jahren hatte John keine Disco mehr betreten. Alle Discos in New York, besonders das Studio 54, hatte er tunlichst gemieden. John und Fred besuchten mehrere Clubs, und in einem hörten sie „Rock Lobster“ von den B-52’s. John behauptete auf der Stelle, sie täten nichts anderes als Yoko vor zehn Jahren. Er sagte zu Fred: Jesus, besorg eine Gitarre und ruf Mutter an. Sie hat’s endlich geschafft. Die machen’s haargenau wie sie.“

John fing an, mit ungeheurer Geschwindigkeit Songs zu schreiben. Für „Woman“ brauchte er eine Viertelstunde. Und gleichzeitig fing auch Yoko im „Dakota“ an, Songs zu schreiben.

Er war stolz auf Yoko. Endlich seien sie ein Te- am, endlich sei das alte Bild von John und Paul vergessen.

Nachdem John eines Abends große Schwierigkeiten gehabt hatte, Yoko telefonisch zu erreichen, kam er schließlich durch und sagte; „Hör mal, ich hab‘ da gerade eine Sache geschrieben. Laß es mich mal vorsingen. Es heißt. Woman‘. „Yoko sagte: „Das ist gut Ich habe auch einen Song geschrieben. Er heißt .Beauhful Boys‘. Laß mich ihn dir vorsingen. „Tagelang sangen sie einander ihre Songs vor Als John dann schließlich wieder nach New York kam, fragte Yoko: „Willst du’s machen?“ John sagte: „Ja.“

Sie entschlossen sich, ins Studio zu gehen, ein Album aufzunehmen und sogar eine Tournee zu planen. In der „Hit Factory“ in New York verbot Yoko den Gebrauch von Drogen und ließ einen Raum in einen ägyptischen Tempel umwandeln – mit Palmen, einem antiken weißen Piano und weißen Telefonen. Die Sessionmusiker, die an Kokain und Cognac gewöhnt waren, bekamen statt dessen Tee und Sushi serviert. John befestigte ein riesiges Foto von Sean an einer Studiowand. Yoko stellte vor die Mikrofone Teller mit Sonnenblumenkernen und Rosinen. Shiatsu-Masseure standen jederzeit bereit.

Am Abend des 8. Dezember 1980, als sie Yokos „Walkin‘ On Thin Ice“ aufgenommen hatten, war John glücklich. Er hatte mehrere Male betont, wie sehr er von Genugtuung erfüllt sei, daß Yoko endlich angemessen gewürdigt wurde. Er war stolz. Auf dem Rückweg ins „Dakota“ sagte er ihr in der Limousine, sie seien endlich ein Team geworden und das alte Bild von John und Paul sei damit vergessen.

Auch wenn John und Yoko eine Limousine nahmen, stiegen sie oft an der 72. Straße aus und gingen wie normale Bewohner in den Innenhof und sagten ihren Fans auf der Straße hallo, statt sich mit der Limousine durch das hohe Eisentor in Sicherheit fahren zu lassen. Am 8. Dezember 1980 ließen sie sich einmal zu oft draußen absetzen. Als John zu Boden fiel, hatte er in seiner rechten Hand das Band von Yokos Song „Walking‘ On Thin Ice“.