Popkolumne, Folge 19

Karrenpower gegen YouTube, DIE PARTEI für Europa – und die komplette Popwoche im Überblick


In dieser Popkolumne präsentiert Linus Volkmann im Wechsel mit Julia Lorenz die High- und Lowlights der Woche. Welche Künstler, welche Platten, welche Filme lohnen sich (nicht) – und was war sonst noch so los? Hier die neue Folge zur KW 22. Straight outta Kroatien gibt einem Annegreat Champ Karrenpower einen analogen Zungenkuss, muss man sich wohl noch weiter an Martin Sonneborns DIE PARTEI gewöhnen, hört die Band Neufundland ... ach, und Blues-Musik, die gibt's ja auch noch!

LOGBUCH: KALENDERWOCHE 22/2019

Bei mir waren große Ferien noch diese Woche. Kroatien, dieser heiße Tiger, der fast überall aussieht wie St.Tropez in geil, leckte mir über die sonnenverbrannte Haut. Okay, 19 Grad und bewölkt – aber die Landschaft, friends! War mit einer bekannten Künstlerin sogar Bergwandern und trank jeden Abend Bier, wie man es von Männern so kennt und liebt. Konnte mein Gewicht fast verdoppeln, doch all die verschwommenen Erinnerungen sind es wert!

„Nee, ich kriege das hin mit einem Handstand im Wasser. Da werden die Einheimischen Augen machen.“

EUROPAWAHL DER WOCHE: Die Partei und Lisa Bombe

Kennt ihr DIE PARTEI? Ich auch. Als es damit losging, fand nicht nur ich diese Idee fantastisch. Eine Satire-Partei, die die Inhaltsleere der Parteipolitik höchst unterhaltsam affirmiert – mit dem linkisch verschlagenen Sonneborn von der Titanic als Kandidatendarsteller? What’s not to like! Ein Gag, der so gut war, dass er sich verselbständigte und lauter witzige und halbwitzige Typen ermutigte, sich einen grauen Anzug zuzulegen und in DIE PARTEI einzutreten beziehungsweise eine Splitterorganisation im eigenen Kaff zu gründen. Für so ein Nachwuchs-Engagement würden sich CDU und SPD alle Hufe lecken.

Doch der Spaß lief sich irgendwann ein bisschen tot und von manchen dieser dezentral organisierten PARTEI-Heinis kamen immer auch mal wieder sexistische Gag-Plakate, die bewiesen, dass es fürs Praktikum bei „Titanic“ dann doch nicht reichen würde.

Aber gerade als der Fadeout eines auserzählten Witzes DIE PARTEI runterdimmte, geschah Erstaunliches: Sonneborn erlangte ob der nicht vorhandenen 5-Prozent-Hürde einen Sitz im Europaparlament. Alles klar, der Joke bekommt vor fünf Jahren also noch mal so richtig Rückenwind. DIE PARTEI wird sichtbarer denn je zuvor. Sonneborn trägt dazu bei, hat tolle Auftritte rund um diesen seltsamen Job des satirischen Volksvertreters, schreibt ein Buch („Herr Sonneborn geht nach Brüssel“). Wo er allerdings nicht wirklich geil abliefert, ist beim Thema Sexismus. So macht er sich lustig über Frankreichs Macron und wertet jenen zum Schluss aber auch noch damit ab, dass er mit einer älteren Frau zusammen ist. Da kann dann auch mal der gemeine Protestwähler mitlachen.

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Zum Ende der Legislatur des EU-Parlaments unter der (von außen gefühlten) Leitung Sonneborns steht jedenfalls auf jeden Fall schon wieder das Gefühl: Der Witz ist erschöpft.

Doch vergesst es! Mit der Wahl vom vergangenen Sonntag belegt DIE PARTEI schon einen zweiten Sitz in Brüssel. Da rückt mit Nico Semsrott der nächste Comedian nach, gute Güte! Wenn das Schule macht in Europa und alle ihre Clowns schicken, lohnt es sich vielleicht doch, dass man so übertrieben lange an etwas eigentlich komplett Situationistischem festgehalten hat.

Schade nur, dass Lisa Bombe aus Hamburg es nicht geschafft hat. Denn der dritte Sitz für DIE PARTEI und somit für sie auf Listenplatz 3… er war ganz nah. So bleibt DIE PARTEI in der Wahrnehmung erstmal weiter hemdsärmelige Typensache. Soweit abseits von der Realpolitik ist man dann nun eben doch nicht.

INTERNET DER WOCHE: AKK vs. YouTube

„Das Internet ist Neuland“ – mit diesem Zitat hatte sich seinerzeit schon Kanzler Merkel deutlich von der jüngeren Zielgruppe abgesetzt. „Ach, die liebe Oma“, dachten die freundlichen Kids und die weniger freundlichen planten bereits, sie nach Dienstschluss mal mit dem Enkeltrick auszunehmen.

Annegreat Champ Karrenpower nun beschwerte sich offen über die Einflussnahme von sogenannten YouTubern, die sich gegen die Großparteien (CDU, SPD, AfD) positionierten. Das Video „Die Zerstörung der CDU“ klingt dabei vom Titel her wie ein regierungsfeindlicher Punk-Song – und die sind ja, freies Land sei Dank, auch nicht zu verbieten gewesen. AKK ist das egal und sie formuliert ihre Empörung einigermaßen ungeschickt, so dass das Netz sich diese Woche einen Spaß daraus macht, sie als noch mal so richtig weit abgehängt darzustellen.

Die Wahrheit liegt vermutlich irgendwo dazwischen. Fest steht allerdings, dass es der analogen Politik absolut nicht gelungen ist, dass für digitale Generationen so wichtige Thema „Upload-Filter“ irgendwie konstruktiv zu besetzen. Man traut den Alten nichts als bürokratischen Regulierungseifer zu – ein Missstand, der natürlich weiter befeuert wird durch diese exemplarische Begegnung zwischen alter Politik und jungen Usern. Die Kluft ist mittlerweile wirklich irritierend groß.

FILM DER WOCHE: „Rim Of The World“

Ein Feelgood-Actionhorror mit ziemlich heftiger Monster-Interaktion, der ästhetisch und von den Figuren her die Nähe zu „Stranger Things“ sucht. Allerdings geht der Film dabei nicht in die Breite oder ins Detail, sondern in den Effekt.

Unterm Strich handelt es sich bei „Rim Of The World“um eine Kombination aus dem High-School-Film-Klassiker „Breakfast Club“ und dem Gore-Shooter-Game „Resident Evil“. Klingt wie eine explosive Mischung? Ist es auch. An vielen Stellen allerdings zu arg. Reißbrett-Dramaturgie und Krawumm-Sequenzen, die wirklich eher zu Cut-Scenes eines Computerspiels passen mögen.

In all dem Trubel (Aliens auf der Erde) sollen dann auch noch die vier Kids (ein Nerd, eine Asiatin, ein lustiger Afroamerikaner, ein Posterboy) zu sich selbst finden. Mit Verlaub, das nimmt man dieser Nummer des Regisseurs von „The Babysitter“ nun wirklich nicht ab. Zwischendurch macht es aber schon auch immer wieder Bock – was soll man machen? Truffaut steigt aus dem Grab und will einen zurecht dafür umbringen, dass man auf so einen Schrott abgeilt. Mmh, eigentlich auch schon wieder ein ganz guter Plot für den nächsten dieser Neo-Splatter-Fun-Filme im 80s-Design. #UrlaubFürsGehirn.

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MEME DER WOCHE

PLATTE DER WOCHE: Neufundland – „Scham“

Es kann ja nicht alles Gucci und Autotune sein. Neufundland aus Köln ziehen sich zwar sehr ordentlich an, Jackets, Rollkragen und so weiter. Aber hinter dem aktuellen Popper-Sound, den auch Acts wie Golf fahren, öffnen sich große Referenzräume. Ich zum Beispiel höre hier die einstige Band Kante raus, elegische, schwärmerische Songs – zwischen Flausch und Dornen. Passenderweise heißt die neueste Single dann auch noch „Disteln“. Das ist schon echt smarter Pop Next Generation: tanzbar und „männlich, blass, hetero“, wie es das gleichnamige Lied vorauseilend eingesteht. Das Album „Scham“ (Unter Schafen / Alive) erscheint am 31. Mai 2019.

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DER VERHASSTE KLASSIKER: „The Blues Brothers“

„The Blues Brothers“
(USA / 1980)

Cool, zwei weiße affige Typen, deren Coolness sich auf einer penetrant durchgezogenen Blaxploitation und pathologischem Rumgefrotzel begründet. Das war Anfang der Achtziger möglicherweise noch was. So à la: „Erstaunlich, Sven, wie locker diese ungleichen Brüder da mit den Schwarzen umgehen. Vielleicht sollten wir doch auch mal in die Staaten reisen? Wir müssen ja nicht gleich nach Harlem oder in die Bronx. Wir können ja erstmal im Hotelzimmer am Flughafen bleiben“ – oder so ähnlich halt.

In Amerika ging die um muppetmäßige Gospel-Momente angereicherte Buddy-Komödie dereinst übrigens komplett unter. Im fernen Europa reichte es allerdings zum fiesen Prädikat „Kultfilm“. Und da bei Netflix die Praktis gerade wieder ein paar Videotheken-Keller aufgekauft zu haben scheinen, taucht dieser Schrottvogel von Regisseur John Landis aus dem Jahre 1980 auch wieder auf den heimischen Sofa der Zukunft (lies: 2019) auf.
Wer nun wie ich testen möchte, wie das Ding gealtert ist, den übermüllt Schreckliches. Es ist so, als wenn man husten muss und dann aber plötzlich kotzt. Das hatte man nun doch nicht kommen sehen!

Dieser Mischung aus „Charlys Tante“, „Sister Act“ mit männlichem Cast und viel zu viel Mundharmonika-Gefiepe ist nicht die Zeit schlecht bekommen, nein, sie ist komplett toxisch geworden. Klar, unsere Großeltern hatten es schlimm mit dem Krieg und allem, aber hey, ich habe heute „Blues Brothers“ wiedergesehen. Von wegen Gnade der späten Geburt.

– Linus Volkmann („Filmjournalist“)

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Was bisher geschah? Hier alle Popkolumnentexte von Julia Lorenz und Linus Volkmann im Überblick.

ESC vs. Madonna, Fusion vs. Polizei, Vengaboys vs. Strache: Die pralle Popwoche im Rückblick