Kasabian: Viva Größenwahn! Das Interview


Sie wollten in die Stadien, die Luxussuiten, auf Platz Nummer eins. Dahin, wo niemand mehr sein wollte. Heute sind Kasabian die größte Britrock-Band der Welt. Und ein Lichtblick in Zeiten der verzagten Rauschebärte. Das Interview mit Tom Meighan und Serge Pizzorno.

Wie ist das eigentlich, wenn man eine der wenigen Rockbands zwischen all den in sich gekehrten, bärtigen Akustikgitarren-Spielern ist?
Serge Pizzorno: Es gibt wirklich merkwürdige Lineups. Letztens haben wir vor den Black Eyed Peas und Iron Maiden gespielt. Ein paar Tage vorher vor Ben Harper.
Tom Meighan: Voll verrückt.

Wer, Ben Harper?
Meighan: Nein, das Lineup. Ben Harper ist ein total netter Typ.

Meighan niest oft und entschuldigt sich hinterher. Heuschnupfen. Er macht sich eine Tasse schwarzen Tee nach der anderen, vielleicht ein Grund, warum er bald etwas zappelig auf dem Sofa vor und zurück rutscht. Sein silberner Peace-Zeichen-Kettenanhänger über seinem Sweatshirt bewegt sich dabei mit. Manchmal wiederholt er Wörter dreimal schnell hintereinander und zieht dann geräuschvoll Luft durch seine Zähne. Während sein Bandpartner redet, macht er sich einen Reim auf sein Gegenüber. Und verliert dann doch wieder das Interesse.

Wie ist das backstage auf den Festivals? Seid ihr die Saufbolde und die anderen machen Yoga?
Pizzorno: Wir machen uns auf jeden Fall eine gute Zeit, hören Musik, trinken ein paar Bier. Wir versuchen immer auch einen Funken zu entfachen. Was soll man sonst machen?

Ich habe gelesen, ihr wart auf der Hochzeit von Jamie Hince und Kate Moss?Pizzorno: Was?!

Es gibt eine Menge Geschichten in der Boulevardpresse über Kasabian. Auffällig viele. Unter anderem auch, dass jemand aus der Band mal Kate Moss mit einem Eiswürfel beworfen habe.
Meighan: Ich habe ihr einmal Hallo gesagt, auf dem Glastonbury, vor Jahren. Aber das war alles.

Waren es früher noch Handgreiflichkeiten und Bruderzwiste, die Oasis in die Magazine brachten, sind es bei Kasabian weitaus harmlosere Nachrichten. Als sie 2005 das erste Mal in den USA tourten, besuchten sie an einem freien Tag die Gefängnisinsel Alcatraz. Sie sahen sich die Bibliothek an, die engen Zellen. „ Alcatraz war furchtbar. Ein verstörender Ort“, sagte Pizzorno. Beim Sprechen betont er die langen Vokale fast kindlich, etwas verträumt. Verletzlich. Aber wenn er nachdrücklich dazu schaut, ist das auch ein wenig verstörend. Die Band schaffte es bald selbst mit Lappalien in die Presse. Da reichte eine Nachricht wie „Tom Meighan ist besessen von Ebay“ für einen mittelgroßen Artikel. „Übersetzt heißt das: Ich habe ein paar Mal etwas bei Ebay ersteigert. Ich war seit drei Monaten nicht mehr auf der Seite. Verrückt. Aber es ist gut, dass sie über uns schreiben. Was schreiben sie noch? Lies das mal vor!“

Sie schreiben, ihr seid Fans von Lady Gaga und Robbie Williams.
Pizzorno: Oh mein Gott!

Sie schreiben auch, Quentin Tarantino solle einen Film über euch drehen.Meighan: Ja. Gute Idee!
Pizzorno: Lady Gaga, Robbie Williams, mal ehrlich, was glaubst du denn? Was ich für Robbie empfinde, ist aufrichtiges Mitleid.
Meighan: Los, noch mehr!

Ihr hattet die Schweinegrippe.
Meighan: Ja, das ist wahr.

Oh, das hier ist gut: „Die Arctic Monkeys bescherten mit ihrem Gesang dem Gitarristen von Kasabian einen flauen Magen. Die Rocker singen öfter Hits von Craig David in Karaoke-Bars. Diesmal brachten sie damit Serge Pizzorno zum Erbrechen.“
Meighan: Brillant.
Pizzorno: Daran kann ich mich nicht erinnern.

Und außerdem schreiben sie, dass Serge Pizzorno das Internet hasst.
Pizzorno: Ich bin wirklich kein Fan, aber ich benutze es natürlich.

Klatschblätter, illegale Downloads, ungesunder Lebensstil … Warum will man eigentlich heute noch Rockstar werden?
Meighan: Mir tun junge Bands auch leid.
Pizzorno: Wir haben gar keine Wahl, es ist das Einzige, das wir können.
Meighan: Es ist das Allergrößte auf der Welt. Mit einer Band zusammenzuspielen, auf die Bühne zu gehen. Rock’n’Roll pfeift auf dem letzten Loch. Aber wir hoffen, wir sind seine Rettung. Wir werden auch noch in zehn Jahren das Vergnügen haben, mit dir zu reden, lass uns wetten. In zehn Jahren sind wir drei immer noch da. Wetten?

Okay. (Wir schlagen ein)
Meighan: Wie heißt du noch mal?

Laura.
Ist das jetzt vielleicht schon der Vorteil, den man sich durch den weiblichen Interviewer verspricht? So ein wenig Menschlichkeit?

Was hat es eigentlich mit der Begeisterung für deutsche Bands auf sich? Pizzorno: Krautrock ist unglaublich, das sind die Ursprünge von Dance-Musik. Amon Tobin, Can. Es ist echt komisch, dass aus Deutschland gerade überhaupt nichts Wegweisendes kommt. Vielleicht müsst ihr mal wieder Drums rausholen, zurück an die Gitarren kommen.

Warum?
Pizzorno: Es wird einfach Zeit. Es fühlt sich an, als hätten die Leute langsam genug vom Pop. Von „X-Factor“ und Lady Gaga. Es braucht einfach wieder Energie, Explosionen. Man spürt, wie das langsam kommt.

J etzt sollen die Bilder gemacht werden. Der Fotograf drückt den Musikern Requisiten in die Hand. Pflanzen, Muscheln. Die beiden sind nicht begeistert. Der Fotograf erklärt, welches Konzept er hat. Er möchte, dass sie nicht so sehr wie Rockstars aussehen, eher nach lustigen und ironischen Jungs. „Ja, das ist doch genau, was wir sind“, sagt Serge Pizzorno. Bitte? So sehen die sich also? Wir stellen fest, dass Kasabian gar nicht so breitbeinig daherkommen, wie man gedacht hatte. Es vielleicht doch mal mit einer Musik-Frage versuchen. Auch wenn das von der Musikjournalistin ja gar nicht wirklich erwartet wurde.

Welche Alben muss man gehört haben, um Kasabian zu verstehen?
Pizzorno: Man muss die Klassiker verstehen. Rolling Stones, Beatles, The Who, Led Zeppelin. Man muss HipHop verstehen, damit sind wir aufgewachsen. Besonders Tom. Aber auch DJ Shadow, Boards Of Canada (Tom Meighan macht sich noch einen Tee und ruft „ Yeah!“ aus der Küche). Auf jeden Fall auch Can und ein wenig Serge Gainsbourg. Wenn man diese Musik hört, weiß man, woher all das kommt, was wir machen.
Meighan: Und ein wenig Rave-Musik sollte man auch noch hören.
Pizzorno: Aber nicht Happy Hardcore. Eher so Jungle. Kein Dubstep, das ist ja einfach langsam abgespielter Hardcore.

Müssen Rockstars sich eigentlich verkleiden heutzutage?
Meighan: Wir müssen das nicht.

Von euch gibt es aber auch Bilder, auf denen ihr Leopardenprintjacken und einen Fuchskragen tragt.
Pizzorno: Keine Ahnung, war das vielleicht in Japan?
Meighan: Vermutlich während eines Fotoshootings, um das Ganze etwas aufzubrechen. Ich habe einen Mantel, der ist von 1969 und stinkt. Er sieht aus wie ein Monsterfell, den sollte ich mal tragen, oder Serge?
Pizzorno: Immer nur auf den Style zu achten, wäre doch auch langweilig.

Tom Meighan pfeift. Sowieso pfeift er ziemlich viel. Als wir später durch die Stadt laufen, um nach geeigneten Motiven für die Fotos zu suchen, pfeift er „Eleanor Rigby“ von den Beatles. Und zwar die Stelle mit „lonely people“. Tom Meighan pfeift sehr gut.

Das Infosheet vom Label benutzt oft Wörter wie „Horror“, „ Monster“, soll man sich vor der Musik von Kasabian gruseln?
Meighan: Total! (lacht)
Pizzorno: Das Wort „Monster“ meinen wir eher wie episch, groß. Nicht wie Frankenstein.

Und ist das neue Album mehr „monster“ als das zuvor?
Pizzorno: Viel mehr. Es ist direkter. Wir haben diese großen Refrains, aber wenn man sich das genau anhört, merkt man, das ist zwar keine durchschnittliche, keine kommerzielle Musik, aber die Refrains ziehen die Leute rein. Dieses Album wird echt gewaltig abgehen. Es liegt eine Menge Druck auf unseren Schultern, aber um ehrlich zu sein, wir sind eine sichere Bank.

Ihr habt euch das ein oder andere Mal sogar mit U2 verglichen.
Meighan: Das war lächerlich. Vergiss es. Das war blöd von mir. U2 ist Gottes Musik. Wenn du zu den Massen predigst, glauben sie dir. Aber versteh mich nicht falsch, U2 sind großartig.

Und Oasis?
Pizzorno: Das war über Jahre die größte Band. Und wenn dich Leute bei deinem ersten Album mit dieser Band vergleichen, findest du das super. Wir haben den gleichen Spirit, aber musikalisch ist es eine andere Welt.

In Artikeln über euch bekommt man ein anderes Bild von euch. Ziemlich großspurig und derbe. Reißt ihr euch heute nur zusammen?
Meighan: Oh, wir können auch anders. (lacht)
Pizzorno: Oft kamen die Journalisten zum Interview und hatten ihren Artikel schon fertig geschrieben. Die wollen halt sehen, dass wir Prolls sind, die gerne wie Oasis wären. Du antwortest auf eine Frage und sie schreiben auf: „Die denken, sie seien die geilste Band der Welt, sind aber totale Poser.“ Die Realität ist: Wir sind genau genommen gar nicht mehr so weit davon entfernt, die geilste Band zu sein.

Überlegt man sich solche Antworten wie „Wir sind die größte Band der Welt“ eigentlich vorher gemeinsam oder ist es tatsächlich das Gefühl, das ihr habt, wenn ihr am Morgen aufsteht?
Tom lacht kurz auf.
Pizzorno: Ich verstehe die Mentalität von Leuten nicht, die behaupten, sie würde das nicht so richtig interessieren und ich glaube ihnen auch nicht. Die versuchen nur, die Leute nicht zu verärgern. Du gehst doch nicht durch die Hölle während der Albumaufnahmen oder hängst im Tourbus rum, wenn du denkst, dass du nicht gut bist. Es ist ja kein Wettbewerb, aber man muss doch an sich glauben, was bringt das denn alles, wenn du es nicht tust?