Kritik

„King Of Stonks“ auf Netflix: Die Reichen und Dreisten kommen immer davon


Von Wirecard und alten weißen Männern: Die sechsteilige Miniserie „King Of Stonks“ erzählt nur mutmaßlich maßlos überhöht vom Aufstieg und Fall eines deutschen Fintech-Startups, seinem schmierigen CEO – und funktioniert als Satire, Kommentar und Komödie gleichermaßen.

Zwischen großem Geld und großem Bluff: Weil Start-ups gerne Geschichten über sich selbst erzählen, erzählt die Medien- und Kulturlandschaft seit Jahren gerne Geschichten über Start-ups. Von „Wolf Of Wall Street“ und „The Big Short“ über „Dopesick“ und „The Dropout“ lassen sich die gierigen Charaktere in all ihren (mitunter wenigen) Facetten zwischen Doku, Drama, Satire, Comedy und Fiktion darstellen, überhöhen und am Ende in der Regel entzaubern. Deutschland überzeugte in diesem Genre zuletzt etwa mit „Bad Banks“ – und, teilweise, mit „How To Sell Drugs Online (Fast)“. Von deren Machern, der auch für Jan Böhmermanns „Neo Magazin Royale“ verantwortlichen bildundtonfabrik aus Köln, namentlich vor allem Produzent, Showrunner und Headautor Philipp Käßbohrer, steht nun eine neue Serie auf Netflix am Start, die nochmal am Absurditätslevel dreht: „King of Stonks“.

Von Stocks und Schtonk

Der Titel „King Of Stonks“ ist ein Wortspiel. Er bezieht sich einerseits auf stocks, also Aktien, und, na klar, „Schtonk!“, Helmut Dietls 1992-er Filmkomödie, in der es um einen anderen großen deutschen Betrugsskandal ging. Und genau darum, um Aktien und Betrug, geht es in der sechsteiligen Miniserie, konkret um das Düsseldorfer Fintech-Startup Cablecash. Deren CEO Magnus Kramer – wunderbar schmierig, narzisstisch und überzogen gespielt von Matthias Brandt –  war beim Vorgängerunternehmen Networth eine graue Maus und wähnt sich nun in einer Reihe mit den Bezos´, Musks und Cooks dieser Welt. Kapitalanleger und Medien glauben ihm. Anders Felix Armand (Thomas Schubert): Der einstige Programmiernerd von Networth ist heute Fadenzieher bei Cablecash, Knopf im Ohr von Kramers Kopf und würde gerne zweiter CEO werden, wird aber Kramer kleingehalten und hat alle Hände damit zu tun, Cablecashs Dreck unter den Teppich zu kehren. Da wären nämlich noch Journalist Tom Wieland, der Verbindungen von Cablecash zur Pornoindustrie und kriminellen Hintermännern (der eine schwach gespielt von Wilson Gonzales Ochsenknecht) aufdeckt, Digital-Ministerin Maletzki (Eva Löbau), die Deutschlands Techruf im Ausland verbessern will, die italienische Mafia, ein verpatzter Auftritt beim Global Economic Forum in Genf, die Jagd nach Twitter-Followern und Viralmemes sowie eine anfangs unnötig erscheinende Liebesgeschichte featuring Shortsellerin Sheila Williams, überzeugend verkörpert von Larissa Sirah Herden aka Sängerin Lary.

Offenkundig angelehnt an den Wirecard-Skandal geht es im kurzweiligen und mit Musik von Konstantin Gropper inszenierten „King Of Stonks“ um einen Börsengang, geschönte Zahlen, erfundene Unternehmenskunden, Wirtschaftsprüfer, die zu Beratern werden und um Whistleblower. Die gut, ausladend und namhaft besetzte Satire – in Nebenrollen sind etwa Uschi Glas, Joachim Król, Christian Tramitz, Bibiana Berglau zu sehen, sogar HipHop-„Journalist“ und Mikrofonhinhalter Rooz darf einen DJ spielen –  kommt in all ihrem Exzess einerseits maßlos überzogen daher. Andererseits ahnt man als Außenstehende*r, dass die hier verschmelztiegelten Skandale nur die Spitze des Eisbergs sind. Gute Satire ist eben, wenn nach oben getreten wird und was Wahres dran ist.

Ein Möchtegern-Musk

Kramer funktioniert als exzessiver Inbegriff und Fratze des alten weißen Mannes. Als Karnevalsclown und Möchtegern-König. Ein Sexist und Patriarch, der mit seiner „dummen“ Belegschaft Komasaufgelage feiert. Der ahnungslose Blender anheuert. Der Greifvögel ins Büro holt. Der von Kolleginnen nach Trinkspielen „Ausziehen!“ fordert. Der ohne Felix Armands Knopf im Ohr eine junge Aktivistin exakt so beleidigt, wie Greta Thunberg und „Fridays For Future“-Kids seit Jahren von etlichen echten Klimawandelleugnern und „Nach mir die Sintflut“-Dudes beleidigt werden („Ihr habt noch nie gearbeitet!“, „Unterbrich nicht, wenn Erwachsene reden!“ und so weiter). Der glaubt, mit all dem davon zu kommen – und, milder Spoiler, tatsächlich mit all dem davonkommt. Mindestens so lange, wie er Rückendeckung hat. Bei der rheinischen Faschingsparty fällt von einer Kollegin der treffende Satz über Chefs wie ihn: „Die einen haben Hirn, die anderen Herz. Kramer hat Felix Armand“. Der stellenweise auch kaum besser agiert als der offensichtlichste Bösewicht in dieser Story.

Und dies ist auch das Fazit nach dieser rasanten und stellenweise ekelhaften ersten Staffel „King Of Stonks“: Am Ende gewinnen die Reichen (und Dreisten). Man wünschte sich, man hätte wirklich nur eine bissige Komödie gesehen und dass Wirtschaft und Arbeitsmarkt in der Realität anders funktionierten. So lange mächtige und gierige Männer in den Chef- und Vorstandetagen dieser Welt sitzen und auf ihrem Status quo beharren, wird sich auch am Tempo des Turbokapitalismus und unser aller Zurasen auf den Abgrund der ersten Welt, wie wir sie kennen (von der zweiten und dritten ganz zu schweigen) nichts ändern. Bis den Letzten das Lachen im Halse stecken bleibt.

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„King Of Stonks“, sechs Folgen á ca. 46 Minuten, seit 6. Juli 2022 auf Netflix im Stream