Land in Sicht


Mit behutsamen Schritten führt Herbert Grönemeyer sein Label Grönland zum Erfolg: "Ich musste lernen, völlig anders zu denken."

„das Verrückte ist, dass ich schon mal in den 8oern daran gedacht hatte, ein Label zu gründen „, sagt Herbert Grönemeyer und blickt in den Innenhof des prunkvollen EMI-Gebäudes in London, in dem er später noch an einem Meeting teilnehmen wird. Über die vielen Gründe, die damals jedoch einer Umsetzung des Projekts im Wege gestanden haben, will er heute nicht mehr sprechen. Mit etwas Abstand ist ihm sowieso klar, dass ihn zur Geduld vor allem die Erkenntnis zwang, dass er “ mindestens eine Person finden musste“, die ihm bei der Arbeit mit Künstlern zur Seite stehen könnte. Als er 1998 in dem ehemaligen EMI-A&.R Rene Renner einen perfekten Partner fand, schritt er zur Tat: Er gründete Grönland und veröffentlichte zuerst pop 2000 und dann die viel beachteten CD-Ausgaben der legendären NEU!-Alben. Heute-Grönland betreut inzwischen zehn Künstler – findet das in London beheimatete Label auch international Beachtung, erntete für seine „hochinteressanten Perspektiven“ kürzlich gar Lob von dem hochnäsigen britischen Magazin Dazed & Confused. Der Weg dahin war steinig, doch war vielleicht genau das der Grund, warum Herbert Grönemeyer mit soviel Ehrgeiz bei der Sache blieb.

Nach sechs Jahren Grönland habt ihr erst zehn Künstler unter Vertrag – warum so behutsam?

„Label“ klingt immer so dynamisch und forsch, aber letztendlich ist es ein Gebilde, das wachsen muss. Man muss sehr viel Lehrgeld zahlen. Wir haben außerdem generell einen Rhythmus eingeschlagen, der es den Künstlern erlaubt, sich in Ruhe zu entwickeln.

In diesen Zeiten ? Das klingt nach schöner Utopie…

Die Idee hinter Grönland ist ja, dass wir versuchen, einen Platz zu bieten, der anders ist. Das ist der Geist, mit dem auch die so genannten Majors in den 70erund 80er-Jahren angetreten sind: einfach mit Künstlern eine Beziehung aufbauen, um zu sehen, ob man miteinander kann. Ich war immer der Meinung, dass das sieben bis acht Jahre braucht. Man denkt immer: Da macht mal ein Künstler schnell ein Label auf. Dabei kann ein Künstler oft gar kein Label führen, weil er keine Ahnung davon hat. Ich kann nur eine Vision von dem entwickeln, was ich gerne erreichen würde. Aber bis dahin ist es ein unglaublich mühsamer Weg.

Du hast inzwischen viel Lebenserfahrung, die in deine Musik und auch deine Beurteilung von Musik einfließt. Wie arbeitest du da mit einer Künstlerin wie Kira, die viel weniger zu erzählen hat?

Da geh ich ziemlich naiv heran und versuche gleichzeitig, wieder eine Vision zu entwickeln. Kira kam bei uns ins Büro und hat auf dem Sofa Gitarre gespielt. Da hab ich nur gestaunt: Da sitzt ein Mädchen, das ist 20 und in dem Alter schon von Wuppertal nach Hamburg gezogen, um Musik zu machen. Da spürt man, die will das. Nicht, um Popstar zu werden, eher auf eine scheuere Art. Und sie ist sehr klug, stoisch und ziemlich stur. Sie textet klug und schreibt alles selbst. Wenn ich zu dem, was sie jetzt schon hat, das addiere, was da in zehn Jahren an Lebenserfahrung noch dazukommen kann, dann wird das sehr interessant.

Nach was suchst du in einem Künstler überhaupt?

Ich suche, dass er in seinem Bereich, soweit ich das einschätzen kann, murig ist. Er darf nicht versuchen, ein Genre zu bedienen. Auch wenn man das meistens bei der ersten Platte noch nicht unbedingt weiß. Du kümmerst dich bei Grönland um vieles selbst. Ist das willkommene Abwechslung zum Popstarleben?

Das ist eine völlig neue Herausforderung, weil es ein Arbeitsgebiet ist, das ich überhaupt nicht kenne. Da hab ich so eine Idylle im Kopf, die Realität aber sieht anders aus. Und während ich die Bereiche meiner Arbeit als selbstständiger Künstler gut kenne, mach ich natürlich hier beim Label auch mal gravierende Fehler. Auch wenn das ein bisschen absurd klingt: Zum Teil haben wir auch auch finanzielle Probleme, wir haben einen Apparat zu finanzieren. Ich musste lernen, völlig anders zu denken. Und es geht nicht um mich, das ist auch mal was anderes. Als Künstler bin ich viel egomanischer. Hier steh‘ ich in zweiter Reihe.

Der Sampler pop 2000 wurde vor vier Jahren viel gelobt. Blumfeld veröffentlichten kürzlich aber eine „Stellungnahme“ auf ihrer Homepage, in der pop 2000 als Beispiel für „schwärmerische[n] Deutsch-Pop-Compilations “ auftauchte, auf denen sich Bands „zum Sprachrohr eines neuen deutschen Heimatgefühls “ formieren und damit entweder Stolz, Naivität oder Erfolgsversessenheit zeigen und so mindestens „billigend in Kauf nehmen, die in deutschem Namen begangenen Verbrechen und Untaten der Vergangenheit und Gegenwart zu ignorieren und vergessen zu machen „.

Das ist doch völliger Unsinn. Das war einfach eine dokumentarische Aneinanderreihung von 50 Jahren deutscher Musik. Die Debatte, um die es jetzt geht, sollte sich mit dem „neuen deutschen Wirgefühl“ befassen – solche Singles wie „Wir sind Wir“ von Heppner zum Beispiel. Bei pop 2000 weiß ich gar nicht, wo die an Can, NEU!, Fehlfarben oder Einstürzende Neubauten ein „neues deutsches Heimatgefühl“ festmachen wollen. Bei aller Freundschaft, das ist völlig hanebüchen.