Love. Respect. Fuck.


Beth Ditto liegt auf den Badezimmer-Fließen ihres Londoner Hotels und rührt sich nicht. Sie trägt ein cremefarbenes Kleid und spitze, absatzlose Schuhe. Ihr blasses Gesicht wird von rabenschwarzen Haaren völlig verdeckt. Für einen Augenblick sieht es so aus, als würde der XXL-Popstar – 2006 vom „NME“ mit dem ersten Platz auf der „Cool“-Liste geadelt – schlicht und einfach schlafen. Oder sich in einen tiefen Rausch verabschiedet haben. Schlagzeugerin Hannah Blilie – hautenge Jeans, die Tolle perfekt gegelt – ist derweil in die Wanne geklettert und bringt mit ihren tätowierten Armen etwas Farbe ins triste Bad. Gitarrist Nathan Howdeshell, die Augen hinter einer riesigen 70s-Pornstar-Brille verborgen, steht neben ihr.

Für einen Augenblick ist es totenstill. Dann, ohne Vorwarnung, werfen sich Gossip für den Fotografen in Pose. Ditto, plötzlich springlebendig, schreibt mit Lippenstift das Wort „Period Stains“ („Menstruationsflecken“) auf die Wand der Badewanne. Howdeshell kann sich vor Lachen kaum halten: „Wäre ein cooler Name für eine Punk-Band!“ Ditto rafft sich vom Boden auf und wuchtet sich in die Wanne, wo sie Howdeshell mit ihrem Lippenstift zu verschönern sucht. „Du ruinierst meine göttlichen Lippen“, protestiert er und windet sich weg. Also hält sie sich an die Wand, schreibt „Love. Respect. Fuck.“ darauf und malt noch das Symbol für das weibliche Geschlecht. Sie lacht dazu das ansteckendste dreckige Lachen, das man je gehört hat. Howdeshell und Blilie kriegen sich überhaupt nicht mehr ein und fallen einander prustend in die Arme.

Ihre hochtourige Musik mag beeindruckend sein, aber das Energie-Level dieser Gruppe ist es nicht minder. Die drei sind fast so etwas wie die fleischgewordene Disco-Punk-Hymne „Standing In The Way Of Control“ (ihre Protestnote gegen republikanische Politiker, die die Schwulen-Ehe torpedieren), mit der Gossip 2007 zu Szenestars wurden. Natürlich ist Ditto der eigentliche Star – sie dominiert die Fotosessions, sie beantwortet singend die Fragen der Journalisten und lacht ihr dreckiges Lachen, wohl wissend, dass sie damit alle Einwände niederwalzt -, doch man ist schon überrascht, dass sie eigentlich nie die klassische Diva raushängen lässt.

Gossip haben längst ihre eigene Sprache entwickelt, ihre kleinen Anspielungen und Witze – alle drei stammen ursprünglich aus Searcy/Arkansas, gründeten die Band aber 1999 in Olympia/Washington – und kommen offensichtlich bestens miteinander klar. Ditto mag im Rampenlicht stehen und mit Kate Moss und Stella McCartney abhängen, doch aus ihrem Verhalten untereinander lässt sich unschwer ablesen, dass dies eine echte Band ist, dass alle drei Stimmen zählen, dass Gossip nicht ein Vehikel für Dittos Ego ist.

Der Fotograf ordert sie ins Schlafzimmer und platziert sie nebeneinander vor der Wand. Howdeshell stöhnt: „Ich hab‘ panische Angst vor Kameras, auch wenn das natürlich völlig blödsinnig ist. Aber auf jedem Foto, das ich dann sehe, sind meine Augen geschlossen.“ Ditto und Blilie schauen einander an, kichern und äffen ihn nach, indem sie nun ebenfalls ihre Augen schließen. „Ich bin Musiker, kein Model“, sagt er schmollend. Ditto, wie eine antike Ägypterin geschminkt, steht auf und wandelt wie eine Ägypterin vor ihnen auf und ab. Es dauert nicht lange, bis alle drei wieder hemmungslos lachen. Und all diese Späßchen wollen nicht aufhören, obwohl sie nun schon seit Tagen nonstop auf Achse sind, um Promo fürs neue Album zu machen.

Ein wenig später, die Fotosession ist abgeschlossen, strecken sich Blilie und Howdeshell auf dem Bett aus, während Ditto auf einem roten Stuhl daneben Platz genommen hat. Alle widmen sich ihren iPhones und scrollen durch die angesammelten Messages. Ich sitze auf der anderen Seite des Raumes und frage sie, ob dies vielleicht eine Therapie-Session für Bandmitglieder sei. „Du siehst tatsächlich wie ein Doktor aus“, quietscht Ditto und reibt an dem dicken Make-up auf ihren Augen. Howdeshell ist offensichtlich kurz davor einzuschlummern. „Ich bin drauf und dran durchzudrehen“, murmelt er. „Hab‘ seit vier oder fünf Tagen kein Sonnenlicht mehr gesehen.“ Er legt seinen Kopf auf die Tagesdecke und döst weg.

Gossip sind in London, um A Joyful Noise, ihr fünftes Album, zu promoten. Nach dem internationalen Erfolg von Standing In The Way Of Control (2006) und Music For Men (2009) sind die Erwartungen hoch gesteckt. In Deutschland hielt sich „Heavy Cross“, die Single mit ihrem langsam sich steigernden Disco-Funk, sogar unglaubliche 97 Wochen in den Charts. Irgendetwas strahlt diese Band aus, das die Leute instinktiv anspricht, das auch Außenseitern das Gefühl gibt, nicht allein und ausgeschlossen zu sein.

Die Band hat sich viel Zeit genommen für A Joyful Noise. Ditto, die leidende Kreatur spielend: „Ich bin schließlich ein Mensch – und kein Produkt.“ Blilie: „Man kann nicht mit den Fingern schnippen und Inspiration erwarten.“ Howdeshell: kein Lebenszeichen. Von den vier unfertigen Tracks, die man mir vorspielt, bleiben der majestätische Pop von „Melody Emergency“ und der Disco-Klopfer „Move In The Right Direction“ besonders hängen. Bei einigen Tracks haben sie mit Mark Ronson gearbeitet, murmeln aber etwas von „wurde dann doch nicht verwendet“, und engagierten stattdessen den englischen Produzenten Brian Higgins.

Sich ausreichend Zeit für die Produktion zu lassen, ist die eine Sache – dann aber ein Interview nach dem anderen über sich ergehen zu lassen, eine andere. Haben sie nicht langsam die Nase voll von dem Presse-Parcours? Howdeshell nickt im Schlaf. Ditto wedelt sich mit einem Notizblock Luft zu und steht dann auf, um die Klimaanlage einzuschalten. Hannah versucht sich an einer ernsthaften Antwort: „Du hast zwei Möglichkeiten: Entweder du machst dir die ganze Presse-Prozedur selbst madig – oder du versuchst einfach, damit zu leben.“ Wird sie von Journalisten denn nicht meist ignoriert, weil sich alle auf Ditto stürzen? Sie seufzt: „So ist es.“ Ditto quäkt in bester Dolly-Parton-Manier: „Yeeaah, ich bläu es ihnen schon ein. Ich sag ihnen klipp und klar:, Ihr wisst doch, wer hier gefragt ist! Es dreht sich nur um mich!‘ Wer bekommt das ganze Geld? Ich natürlich.“

Allen Faxen zum Trotz: Es muss doch eine frustrierende Erfahrung sein, offensichtlich so gut miteinander befreundet zu sein – und dann doch mitzuerleben, dass sich die Medien fast ausschließlich auf Ditto stürzen? Howdeshell rührt sich auf dem Bett: „Aber so war es doch schon immer. Man kann nun mal keine Band mit acht Morrisseys haben.“ Blilie: „Die Presse hat Beth ins Herz geschlossen – und wir haben kein Problem damit. Nathan und ich sind eh schüchtern, zumindest nicht so extrovertiert wie Beth. Sie fühlt sich im Rampenlicht weitaus wohler als wir.“ Ditto schüttelt ihre Schuhe von den Füßen und seufzt: „Ich lese grundsätzlich nicht, was über mich geschrieben wird. Ich habe in diesem Punkt eine dicke Brandmauer gezogen und all meine Freunde instruiert, mir keine Artikel oder Fotos zu zeigen. Ich möchte normal bleiben, ich möchte abschalten können, wenn ich nicht gerade mit der Band beschäftigt bin.“

Was natürlich ein frommer Wunsch bleiben wird. Beth Ditto kann nicht auf zwei Hochzeiten tanzen, kann nicht einerseits den überdimensionalen Popstar spielen, um dann auf Knopfdruck in die Anonymität abzutauchen. Schließlich hat sie nicht nur in der Musik-, sondern auch in der Modewelt ihre Spuren hinterlassen – und ist offensichtlich von beiden Welten fasziniert: Sie entwarf eine Kollektion für die britische Modefirma „Evans“, die sich auf Übergrößen spezialisiert, und arbeitet zurzeit mit der Kosmetikfirma „MAC“. Sie geht bei Karl Lagerfeld und anderen Top-Designern ein und aus. Sie ist eine bekennende Lesbe, die vom Mainstream ins Herz geschlossen wurde, eine überproportionierte Überfrau, die keinerlei Scheu hat, splitternackt für die Titelseiten von Magazinen zu posieren. Sie ist, mit anderen Worten, längst eine moderne Ikone des Mainstream geworden.

Und das, obwohl Gossip als eine Post-Punk-Band ins Leben gerufen wurde und sich eher den Riot Grrrls und Nirvana denn dem Mainstream verpflichtet fühlt. Vor drei Jahren sagte Ditto: „Ich repräsentiere eine ganze Szene. Die Homos und die Freaks wissen, dass unsere Band stets auf ihrer Seite stehen wird.“ Doch ist das überhaupt möglich – gleichzeitig Mainstream und Punk zu sein? Werden ihre schrilleren Fans nicht irgendwann von dem Mainstream-Erfolg befremdet sein und sich enttäuscht abwenden? Blilie setzt sich im Bett auf und legt ihr iPhone zur Seite. „Nie und nimmer. Die Beziehung zu unseren Fans hat sich nicht im Geringsten verändert. Es ist dieser Austausch mit unserem Publikum, der uns überhaupt am Leben hält. Die Bands, die uns beeinflusst haben – Nirvana, Sonic Youth, Bikini Kill – haben uns das Leben gerettet, als wir Teenager waren. Diese Bands damals – und wir heute – leben davon, sich selbst als Außenseiter zu verstehen.“ Ditto winkt mit den Händen, als wolle sie dazu auch noch was loswerden: „Und es ist auch nicht so schwer, den Kopf aus dem eigenen Arschloch zu halten – es ist wirklich nicht schwer! Man muss sich einfach nur das Ziel setzen, ein menschliches Wesen zu bleiben.“ Und dann beginnt sie zu kichern. „Eine Band zu gründen bedeutete für uns auch die Verpflichtung, nie einen“ – und hier steigt Blilie mit ein – „Scheiß-Job zu haben.“ Dann war Musik also letztlich der Ausweg, um einem beschissenen Leben den Rücken zu kehren? Ditto: „Es war eine Möglichkeit, nicht in den Fast-Food-Lokalen zu enden.“ Blilie: „Und für mich war es der Weg, nicht mehr mit Dildos herumhantieren zu müssen.“ Ditto, süffisant lächelnd: „Jawohl, sie arbeitete nämlich in einem Dildo-Laden.“ Blilie geht auf Dittos Einwurf nicht näher ein: „Wir suchten nach einem Ausweg, aber wir hatten auch nie wirkliche Ambitionen. Uns wäre nicht im Traum eingefallen, dass wir eines Tages für mehr als 200 Zuschauer spielen oder eine Million Platten verkaufen.“ Howdeshell scheint noch immer am Schlafen zu sein.

Wenn sie nach Portland zurückkehren, werden alle drei wieder mit den Post-Punk-Musikern, Künstlern und anderen Kreativen abhängen, die sie zu ihrem Freundeskreis zählen. Ditto sagt, dass sie sich bei den Punks ebenso zu Hause fühle wie bei den Modeleuten. „Ich gehöre zu denen, zu denen ich gehören will – das war etwas, das mir meine Mutter beigebracht hat. Du hast genauso das Recht, zu einer Szene zu gehören, wie jeder andere auch. Obwohl: Wenn ich mich das sagen höre, denke ich immer unweigerlich:, Wie zum Teufel konnte das alles nur passieren?‘ Und dann werde ich maßlos:, Wenn ich diese berühmte Person kennenlernen kann, warum dann nicht auch jene?‘ Ich habe die krankhafte Vorstellung, eines Tages auch einmal Mick Jagger treffen zu müssen.“

Ditto strahlt eine unglaublich positive Lebenseinstellung aus. Sie wuchs als Kind im Herzen des amerikanischen Bible Belt auf, als mittleres von sieben Kindern, die sich zwei Schlafzimmer teilten und von einer alleinstehenden Mutter großgezogen wurden. Mit der Großmutter, einer tiefgläubigen Anhängerin der Pfingstgemeinde (einer christlichen Bewegung, in der das Werk des Heiligen Geists zentrale Bedeutung hat, Anm.), ging sie jeden Sonntag zur Kirche – wobei Religion, wie man unschwer ahnt, nicht unbedingt mit Dittos sexuellen Neigungen in Einklang zu bringen war. Sie sagt, sie habe bereits mit fünf Jahren gewusst, dass sie lesbisch sei. Und doch: Wenn sie hier in ihrem Designerkleid auf dem roten Designerstuhl sitzt, macht sie einfach nicht den Eindruck, als würde eine problematische Kindheit ihre wundervolle Gegenwart überschatten können. Bei ihr ist das Glas grundsätzlich halb voll.

Sie lacht. „Ich bin immer ein optimistischer Mensch gewesen, ich habe immer diesen spirituellen Draht zu einem undefinierbaren Etwas gehabt. Ich hab nicht die blasseste Idee, woher es kommt, aber ich wusste immer, dass ich für etwas anderes bestimmt war. Bis zum heutigen Tag habe ich keine Erklärung dafür. Es gab durchaus deprimierende Zeiten in meinem Leben, aber seit meiner Kindheit wusste ich, dass ich eines Tages eine Sängerin sein würde. Und da ich nicht wirklich an einen Gott glaube, muss es wohl das Universum sein, das mich auf meinen Wegen leitet.“ Ich erwarte, dass sie jetzt wieder zu ihrem dreckigen Röhren ansetzt, doch diesmal bleibt es aus.

Es ist bereits spät am Nachmittag, aber Gossip haben noch weitere Interviews vor sich. Bevor ich mich verabschiede, sprechen sie noch über „diesen Zirkus“ der republikanischen Präsidentschaftskandidaten und wie „fucking depressing“ die kommende Wahl sein wird. Nachdem Blilie und Howdeshell sich schon verabschiedet haben, erzählt mir Ditto, dass sie manchmal glaube, selbst zum Politiker berufen zu sein. „Die Leute kommen so oft mit ihren Sorgen zu mir. Und ich liebe es! Darf ich Ihr Baby küssen? Ich würde mich geehrt fühlen, die Hand Ihrer Großmutter auf dem Sterbebett halten zu dürfen. Darf ich Ihr Baby küssen, während Ihre Großmutter stirbt …? Vielleicht habe ich ja auch nur zu viel Kaffee getrunken heute Morgen.“

Sie streift sich die spitzen Schuhe ohne Absätze über und geht ins Bad. Als ich das Zimmer verlasse, sehe ich, wie sie auf Händen und Knien auf dem gekachelten Fußboden kauert. Sie ist damit beschäftigt, mit Toilettenpapier die „Period Stains“ von der Wand zu wischen, die sie mit Lippenstift dort hingemalt hat.

Albumkritik S. 80

Mehr zu Gossip und Beth Ditto in „Das Archiv – Rewind“

ME 7/2009 Titelgeschichte: Gossip ME 11/2010 „Laut aber schüchtern“ – Beth Ditto erzählt

ME 2/2012 Studiobesuch bei Gossip

The Out-Crowd

Ein übergewichtiger, lesbischer Punk bei „Wetten, das..?“? Beth Ditto ist nicht der einzige unwahrscheinliche Popstar.

1 – Boy George

George Alan O’Dowd kam zwar aus einer Londoner Partyszene, in der wilde Verkleidungen und offen ausgelebte Homosexualität zum guten Ton gehörten. Dass sich der Sänger aber mit einer Mischung aus Pop und Reggae – wirklich kein Genre, das der LGBT-Community mit offenen Armen gegenübersteht – ins Frühstücksradio schlich und rückwärtsgerichtete Ignoranten „Karma Chameleon“ mitpfeifen ließ, war in den frühen 80er-Jahren eine Sensation – und wäre es auch heute noch.

2 – Jarvis Cocker

Der Schlaks aus Sheffield war bereits 31, als er mit der Außenseiterhymne „Common People“ zum Idol einer Generation wurde. Sechzehn erfolglose Jahre mit seiner Band Pulp lagen damals hinter ihm – das ist so lange wie die komplette Karriere von Belle & Sebastian. Deutlicher konnte der „Loser“-Stempel auf Cockers Stirn gar nicht sein. Und der Rest ist Geschichte.

3 – Susan Boyle

Auch wenn danach jedes Land seinen Paul Potts und seine Susan Boyle haben wollte und noch ekelhafter als je zuvor zum Zweck der eigenen Imagepolitur Randfiguren zu Superstars erklärte – der Moment, in dem die damals 47-Jährige in der britischen Castingshow „Britain’s Got Talent“ zum ersten Mal ihr Lied anstimmte und Millionen Spötter verstummen ließ, erteilte der von Glam und Glitter geblendeten Welt eine überfällige Lektion.

4 – Hao Ge

Zuerst musste sich der Nigerianer Emmanuel Uwechue gegen seinen Vater durchsetzen, der die Sangesambitionen seines Sohnes verteufelte. Danach hatte es der studierte Astrophysiker mit einer Weltmacht zu tun: Über einen Freund kam er 2002 nach China und begann in Clubs auf Mandarin Soulnummern zu singen. Bei einer TV-Castingshow erreichte er den zweiten Platz, seinen Durchbruch hatte er 2007 bei einer von mehr als zweihundert Millionen Chinesen verfolgten Neujahrsgala im Fernsehen. Heute ist Hao Ge der erste afrikanische Superstar in China.

5 – Skrillex

Ganz egal, wie man zu seiner Musik steht und ob man diese überhaupt als solche begreifen will: Dass ein verschüchtertes Kid mit vielen Aknenarben, dafür wenigen Zentimetern an Körpergröße, mit einem Sound, der großenteils wie verstärkte Verdauungsgeräusche klingt, weltweit Riesenhallen ausverkauft – und dass noch bevor es ein Album draußen hat, das ist mindestens so viel Balsam auf die verstörte Teenagerseele wie die einzig verständlichen Lyrics in Skrillex‘ Hit „Scary Monsters And Nice Sprites“: „Look at this, I’m a coward, too / You don’t need to hide my friend, for I’m just like you“.

Stephan Rehm

This is the heavy, heavy Monsterhit

Die Geschichte hinter den rekordbrechenden

97 Chartswochen von Gossips „Heavy Cross“

Knappe zwei Jahre stand „Heavy Cross“, die Leadsingle aus dem letzten Gossip-Album Music For Men, in den deutschen Charts, über ein halbes Jahr davon in den Top Ten. Mehr als 500 000 Exemplare wurden verkauft. Der Song erreichte in all dieser Zeit zwar nie Platz eins, führt aber laut Media Control die Liste der erfolgreichsten international produzierten Singles in Deutschland an – noch vor Wham!s „Last Christmas“. Noch nie zuvor war eine Gossip-Single überhaupt nur gechartet in Deutschland, das Album davor, Standing In The Way Of Control, erreichte gerade mal Platz 85. Wie war dieser Erfolg möglich? Wir haben bei Alexandra Kraus-Sussitz, Gossips Produktmanagerin bei deren Plattenfirma Sony Music, nachgefragt; sie ist unter anderem für Entwurf und Durchführung von Marketing- und Promotionstrategien zuständig. Laut Kraus-Sussitz hat Modedesigner Karl Lagerfeld den Stein ins Rollen gebracht. „Er hat sich in den Medien mehrfach als Ditto-Fan geoutet. Als er die Band dann noch für eine seiner großen Partys buchte, wuchs das Interesse an Gossip schlagartig (2009 spielten Gossip auf Lagerfelds Einladung im Rahmen der Pariser Fashion Week ein Konzert für – mit Punk-Ethos eigentlich unvereinbar – das Pelzhaus „Fendi“, für das Lagerfeld designt; Anm.).“ Ab dann sei es einfach „in“ gewesen, sich mit Ditto zu beschäftigen und „über die ‚Dicke‘ mit der großen Stimme und dem riesigen Selbstbewusstsein zu berichten“. Das landesweite Interesse an der Band sei so stark gewachsen, „dass sogar das Radio Gossip nicht mehr ignorieren konnte“. Und dann kam noch das deutsche Fernsehen – in seiner damals größten Form, „Wetten, dass..?“, wo Gossip ihren Hit spielten. Kraus-Sussitz erinnert sich: „Die wollten Gossip unbedingt, obwohl die Band kurz vorher ‚Heavy Cross‘ beim ‚Echo‘ performt hatte – normalerweise ein Ding der Unmöglichkeit.“ „Wetten, dass..?“ achtet ja sehr auf Exklusivität. Backstage sei Ditto „in Unterwäsche herumgelaufen und als ich ihr erklären wollte, wer die Leute auf der Couch sind, wollte sie das gar nicht wissen, weil sie das in ihrer Spontanität eingeschränkt hätte. Ich glaube, sie weiß bis heute nicht, auf wen sie sich da eigentlich setzte, als sie auf Hansi Hinterseer Platz nahm.“ Stephan Rehm