Melanie C: München, Incognito


DA STEHEN ZWEI SANITÄTER MIT EINER BAHRE und Erste-Hilfe-Köfferchen. Viele Konzerte gab es schon hier im Incognito. Sanitäter sind nicht in Erinnerung. Was wird erwartet? Daß sich die 200 Leute, die den kleinen Club gerade mal halb füllen-ca. 40 Prozent davon Plattenfirmengäste-im Girlpowerwahn bewußtlos drücken? Daß der seltsame Mittfünfziger mit dem „Sporty“-T-Shirt und dem Spice-Schal da vorne in der dritten Reihe sich ins Koma freut? Jetzt wummert schon seit ca. vier Stunden ein „atmosphärisches“ Intro aus den Boxen, „What’s gonna happen?“ knarrt die Sample-Stimme. Ja, was? Man hat da so eine Ahnung durch Berichte aus England, wo ob der Solo-Inkarnation von Mel C als Indie Spice (inklusive „Anarchy In The UK“-Cover beim Glastonbury-Auftritt) seit Wochen die Alarmglocken schrillen. Das Intro hat sich beruhigt. Sie ist da. Wir sehen: ein auf Hardcore-Lesbe respektive Punkrock-Chick getrimmtes Spice Girl, das versucht, wenn schon nicht ernsthafte Rockerin, so doch Robbie Williams zu sein. Was nicht geht, weil Sporty zwar „Teenie-Entertainment“ mit Bravour, den Aufbaukurs „Ironisierung“ dafür gar nicht belegt hat, sich also schlecht trainiert auf fremdem Terrain bewegt. Und sosportelt sie zu 08/15-Rockgedöns (oder was man sich in der Spiceworld-Matrix, in der Mel gefangen ist, unter Rock vorstellt) über die Bühne, schmeißt sich ruckartig in Posen, zerrt am MikroStänder, reißt in einem fort Augen auf, rollt sie herum, läßt beschwörende Blicke wandern, macht hausbackene Grimassen, springt in Ausfallschritte…-wie Marcel Marceau bei der Rockshouter-Pantomime, nur mit Ton. Oder ein Zehnjähriger mit der Tennisschlägergitarre zu Hause vor dem Schlafzimmerspiegel, nur mit schlechterer Musik. Oder Pat Benatar ohne 80s. Was geht in der Band vor? Eine mehr schlecht als recht auf hip gestylte Combo (ein paar Frisuren angespitzt, eine Kopfsocke auf den Drummer) aus Mietmusikerinnen, die hier einen auf fetzig machen müssen? Just another Job? Mit Melanie geht derweil der kalkulierte Humor durch: sie treibt die Band in eine unnötig unanhörbare, „augenzwinkernde“ „Punk“-Version von „Wannabe“. Der Keyboarder, mitte 30, mit Glatzenansatz, singt Background beim Refrain – eigentlich müßte jetzt mal jemand die zwei kleinen Spiee Girls-Fans, die da mit ihrem Vati stehen, in Sicherheit bringen. Mel C galt mal als das coole Spice Girl, weil sie mit coolen Britpoppern abhing. Hättest Du geschwiegen, wärst Du ein Philosoph geblieben, sagt der Lateiner bei sowas. Der Lateiner hat auch leicht reden. Er ist weit weg, zeitlich und räumlich. Jetzt rüttelt der Kopfsockendrummer mit abwesendem Blick an einer Kalebasse. Zur Zugabe gibt es nämlich die bereits gespielte Single „Goin‘ Down“ nochmal – in einer Akustikversion. Die Bahre. Das Köfferchen. Die Sanitäter. Doch beruhigend, daß sie da sind.