MENSCHMASCHINE


Das Hauptquartier von Daft Punk ist ein winziger Raum in einem ehemaligen Pferdehof. Man muss an der verschlossenen Einfahrt klingeln, zwischen Imbissläden, das Metalltor hebt und senkt sich wie die Rampe eines rostigen Raumschiffs. Wer es auf den Hof schafft, wird von Thomas Bangalter empfangen, eine Holzstiege hinaufgeführt und um Verschwiegenheit gebeten. Daft Punk gelten ja als Mythos mit ihren Roboterhelmen. Bangalter, der Mensch, sieht aus wie auf den Bildern, die man googeln kann. Ein dünner Mann von 38 Jahren, schütteres schwarzes Haar hinter der Stirn und um den Mund, zum Tweedsakko trägt er zerrissene Jeans und Turnschuhe. Müsse nicht jeder wissen, wo die „Produktionssuite“ liege, sagt er. So viel darf verraten werden: Daft Punk produzieren mitten in Paris, an einem Boulevard, der einen Fernbahnhof von einem Volkspark trennt, am Südufer der Seine.

Als Schaltzentrale dient eine Gerätekammer mit zwei Stühlen. Darauf saßen Thomas Bangalter und Guy-Manuel de Homem-Christo zuletzt, um ihr viertes Studioalbum RANDOM ACCESS MEMORIES zu mastern. Es gibt nicht nur funktionale Tontechnik im Raum. Die Wände haben sie mit Fotos ihrer Kinder dekoriert und mit Porträts verwandter Roboter, Fritz Langs Maria aus „Metropolis“ und R2D2 aus George Lucas‘ „Star Wars“-Saga. „Star Wars“ liegt als DVD bereit, neben dem Film „Tron: Legacy“ mit seinem Daft-Punk-Soundtrack. Ihre kleine Bibliothek umfasst ein Album-Cover-Buch, das Heft „The Mind“ aus der Wissenschaftsreihe des „Life“-Magazins und „Walker’s Rhyming Dictionary of the English Language“. In der Ecke steht RAISE!, das letzte Album von Earth, Wind &Fire, von 1981.

Thomas Bangalter fährt die Musik ab, aus dem Inneren der Maschinen. Es fängt an mit „Give Life Back To Music“, den Vocoder-Stimmen, der Gitarre von Nile Rodgers und allerlei Disco-Geräuschen. Später hört man Giorgio Moroder neun Minuten lang aus seinem Leben plaudern zur entsprechenden Musik. Alles klingt echt, die Bläser und die Streicher, selbst die Handclaps. Man verschwindet in den Siebzigern, im progressivem Rock. Es endet mit „Contact“, Track 13, dem berühmten Abschied der Apollo-17-Besatzung vom Mond: „We leave as we came.“ Zum Ausklang fahren Daft Punk RANDOM ACCESS MEMORIES gegen die Wand, die Filter geben ihren Geist auf, die Membranen bersten. Nach einer Gesamtlaufzeit von Einundeinerviertelstunde.

Was ist das denn für ein Album?

THOMAS: Das fragen wir uns auch. Deshalb haben wir uns gedacht: Laden wir jemanden ein, der uns das vielleicht sagen kann. Aber gut: Zunächst mal ist es, in gewissem Sinn, unser erstes Studioalbum. Bisher waren wir ja überzeugte Heimwerker. Unser aktuelles Konzept lautet: Musikmachen im Studio, Aufnehmen von Musik, Handwerk, Session. Natürlich war uns das Konzept noch nicht klar, als wir vor fünf Jahren angefangen haben. Wir haben uns damals einfach gesagt: „Mal sehen, was dabei herauskommt, wenn wir nicht mehr zu Hause arbeiten.“

Der Titel ist ein Witz, oder?

THOMAS: Nicht wirklich.

GUY: Es ist ein Wortspiel.

THOMAS: Technologie und Neurologie, Speichern und Erinnern. Das menschliche Gehirn ist fragmentiert wie eine Festplatte. Erinnerungen sind Fragmente, sie sind zufällig. Jeder Computerbegriff hat seine menschliche Konnotation. Das sagt viel darüber aus, was Computer für uns sind. Das hat noch nichts mit künstlicher Intelligenz zu tun. Es macht uns nur bewusst, dass unsere Beziehungen zur Technik intimer werden. Das wäre die Metaebene von RANDOM ACCESS MEMORIES.

Das Album selbst ist also vollkommen ernst gemeint?

THOMAS: Nein. Das nun auch wieder nicht. Das Verhältnis von Mensch und Maschine ist ja auch ein eher spielerisches, jedenfalls für uns als Musiker. Wir sehen das Album wie ein surrealistisches Gemälde von René Magritte. Du kannst das als Witz sehen. Ein Typ ohne Gesicht mit einem Apfel auf dem Kopf.

GUY: Oder als Traum.

Es geht auch immer um das Material, um die Mittel. Ist das Album wirklich so analog entstanden, wie es sich anhört?

THOMAS: Um ehrlich zu sein: Wir haben digitale Mittel für die Postproduktion benutzt. Aber wir haben keinerlei digitale Instrumente auf dem Album.

Was war noch mal so toll an analogen Sounds?

THOMAS: Nennen wir sie getrost organisch. Heutige Popmusik wird mit Computern erzeugt. Computer an sich sind aber keine Musikinstrumente. Dafür sind sie nicht erfunden worden, dafür werden sie nicht gebaut. Sie können alles Mögliche. Uns persönlich interessieren heute Gerätschaften, deren Bestimmung und Zweck zuallererst darin besteht, Musik zu machen. Als wir zuletzt den Soundtrack zu „Tron: Legacy“ aufgenommen haben, hat sich das Orchester auf einen einfachen C-Dur Akkord eingestimmt. Schon das erschien uns wie reine Magie. Dazu sind Computer nicht fähig. Keine Software, die einen Synthesizer simuliert, und keine Soundbank werden einen je so bewegen wie ein Steinway-Flügel. Es geht um Gefühle. Das bedeutet nicht, dass man mit digitalen Mitteln nichts erschaffen kann. Aber mit analogen Mitteln kann man sich als Musiker ausdrücken. Es ist wie beim Kochen: Man kann auch mit billigen Zutaten ein Essen zubereiten, aber kein Gericht. Analog ist kein Mythos. Wenn Nile Rodgers Gitarre spielt, spielt er einfach Gitarre und die Aufnahme fängt den Moment ein.

GUY: Seine Stimmung.

THOMAS: Es lässt sich nicht wiederholen. Mit dem Computer arbeitest du nun mal komplett im Virtuellen. Es ist alles sehr einfach, aber auch sehr traurig. Es ist wie die „Truman Show“. Du erzeugst eine künstliche Welt, speicherst alles ab und klappst den Computer zu. Wenn du ihn wieder aufk lappst, ist die Welt noch exakt dieselbe. Aber so ist das Leben nicht. Es ist keine virtuelle Realität, auch wenn das viele heute behaupten. Unser Album setzt sich aus Schnappschüssen zusammen, die sich nicht wiederholen lassen. So funktioniert die Erinnerung. Es ist noch da, wird sich aber nie wieder genauso ereignen.

Wovon hängt es ab, ob ihr Streicher mit dem Synthesizer simuliert oder echte Streicher spielen lasst?

THOMAS: Wenn auf dem Album Streicher zu hören sind, sind sie echt. Manchmal hören sie sich wie Synthesizer an, das stimmt. Aber das sagt ja auch einiges.

Von Thomas Bangalter stammt die angeblich meistverkaufte Aufnahme der House-Musik. 1998 erschien „Music Sounds Better With You“ von Stardust, einem Seitenprojekt von Daft Punk. Das Stück ließ sich tragen von Chaka Khans „Fate“ von 1981. Es blieb bei der einen Single, einem clever eingesetzten Sample. Zwei Jahre später brachten Daft Punk „One More Time“ heraus, sie setzten analoge Synthesizer ein und achteten bereits auf einen strukturierteren Songaufb au als noch auf ihrem ersten Album HOMEWORK mit „Around The World“. DIS-COVERY, das zweite Album von 2001, war eine einzige Sampling-Orgie: Sie waren die Ersten, die einen Roland VP 9000 testen durften. Damit bauten sie sich ihre Songs zusammen. Zu Samples von George Duke und Barry Manilow ließen sie Gäste singen. HUMAN AFTER ALL, die letzten Heimaufnahmen von 2005, verzichteten beinahe ganz auf Samples. Es gab keine Singles, keine Videos, keine Interviews. Nur einen Klingelton sowie die Internetbotschaft: „Wir glauben aufrichtig, dass unser Album für sich selbst spricht.“

Die Geschichte von Daft Punk ist die Menschwerdung der Maschinen.

THOMAS: Ach, ich weiß nicht. Wir haben uns immer als Musiker verstanden. Wir haben auch nicht mit Computern angefangen, sondern mit alten Drum Machines und Synthesizern.

GUY: Und Samplern.

THOMAS: Das waren unsere Schnittstellen zwischen Mensch, Maschine und Musik. Das Roboterhafte war unsere Ästhetik, nicht unser Programm. Wenn wir jetzt mit Schlagzeugern und Bassisten arbeiten, ist es dasselbe. Unsere Musik war immer menschlich und nie so formatiert wie der computerbasierte moderne Pop. Heute geht es uns um die Performance.

Geht es um Disco?

THOMAS: Das kannst du sehen, wie du willst. Wenn du RANDOM ACCESS MEMORIES ein Discoalbum nennen möchtest, nenne es ein Discoalbum.

Ein Prog-Disco-Album.

GUY: Progressive Funk mit Rock Vibes. Wir machen Musik und schauen, was am Ende dabei herauskommt.

Die Gitarre im ersten Stück, in „Give Life Back To Music“, ist das Nile Rodgers?

THOMAS: Oh ja, das ist er.

Weil Nile Rodgers moderne Tanzmusik immer als Handwerk verstanden hat?

THOMAS: Wir wollten mit Künstlern zusammenarbeiten, wirklich zusammen arbeiten, die wir schätzen, als Musiker und Menschen. Nile ist ein unglaublicher Gitarrist, Songwriter, Produzent.

GUY: Ein feiner Kerl.

THOMAS: Eine Seele. Als wir angefangen haben, waren wir 20. Jetzt sind wir fast 40 und reif genug, um mit einem 60-Jährigen zu arbeiten. Oder mit Giorgio Moroder, der ist 72. Auch für uns verschwimmen allmählich die Altersunterschiede. Vor zehn Jahren wäre es zu früh gewesen, und in zehn Jahren wäre es möglicherweise zu spät.

Nile Rodgers wurde berühmt durch „Good Times“, und unsterblich durch das „Good Times“-Sample in „Rapper’s Delight“ der Sugarhill Gang, dem ersten kommerziellen Rap.

GUY: Der Sampler hat den HipHop erfunden!

Es gibt tatsächlich keinerlei Samples mehr auf RANDOM ACCESS MEMORIES?

THOMAS: Nein. Es sind alles Aufnahmen.

GUY: Ist nicht wahr: Es gibt zwei Samples in Track 13, im letzten Stück. Sie stammen von einer Band namens The Sherbs und aus einem Funkspruch von Apollo 17. Wir haben so viel gesampelt in den vergangenen 20 Jahren, wir haben die Samplingkultur geprägt. Jetzt haben wir ein Album gemacht, das sich selbst großartig versampeln lässt. Ich möchte ausdrücklich dazu aufrufen: Leute, füttert eure Sampler mit unseren Songs!

THOMAS: Das wäre eine weitere Art, das Album zu beschreiben. Wir hatten immer diese Linie im Kopf, die Grenze zwischen alter und aktueller Musik. Heute greifen wir auf die audiophilen Aufnahmetechnologien vor der digitalen Revolution zurück. Es ist Musik, die nur in Teamarbeit entstehen kann. Mithilfe von Musikern, Tontechnikern, Produzenten. Früher hätte man dazu moderne Klassiker gesagt. Du nennst es Disco.

Aber mit den Patterns, den Aufnahmen, geht ihr wiederum um wie mit Samples.

THOMAS: Wie meinst du das? Materiell oder geistig? Ist das eine philosophische Frage?

Ihr nehmt die Aufnahme und macht damit, was ihr wollt. Schneiden und sequenzieren.

GUY: Neinneinnein! Es ist nichts geloopt. Wenn im Stück sechs Minuten lang Nile Rodgers zu hören ist, dann hat er auch sechs Minuten lang gespielt.

Woran ist Disco eigentlich gescheitert? Für Nile Rodgers war es die sogenannte „Disco Demolition“-Aktion Ende der Siebziger. Als Disco-Platten öffentlich verbrannt wurden. War es nicht der Punk, der Disco getötet hat?

GUY: Menschen haben immer Platten verbrannt. Von Elvis und von den Beatles. Aber Elvis und die Beatles sind lebendiger denn je.

THOMAS: Punk? Blondie war Disco, The Clash waren Disco. „Rock The Kasbah“!

GUY: Nichts verschwindet. Alles kehrt nur verändert zurück. Auch der Techno, zu dem wir als Kids in den Technoclubs getanzt haben, ist heute wieder da in den Clubs. Waren Disco und Funk je wirklich weg? Das wage ich zu bezweifeln. Punk ist eine Haltung, Rock ist eine Haltung. Alles ist Haltung.

THOMAS: Aber natürlich hat Punk als Haltung Disco als Haltung abgelehnt. Um diesen Distinktionsquatsch zu widerlegen, haben wir vor 20 Jahren angefangen, Musik zu machen. Als Daft Punk. Mit HOMEWORK und DISCOVERY haben wir erklärt: Wir mögen The Exploited, aber wir mögen auch AC/DC und Abba. Als wir die Platten veröffentlicht haben, war es noch unerhört, öffentlich zu verkünden, dass es keine Regeln dafür gibt, was man zu mögen hat und was nicht. Im Grunde sagen wir das heute immer noch, indem wir mit Nile Rodgers spielen, mit Julian Casablancas, Panda Bear und Giorgio Moroder.

GUY: Es gibt heute auch Schokolade mit Chili. Kling komisch, schmeckt aber. Das Musikleben ändert sich gerade radikal. Jeder hört heute alles, überall und jederzeit, Punk und Disco.

THOMAS: Vielleicht hat auch Nile Rodgers selbst Disco auf dem Gewissen, weil er nach Chic für Bowie und Madonna gearbeitet hat. Ich glaube, ihn kümmert Disco nicht im Geringsten. Ihn kümmern Arrangements.

Thomas, dein Vater war für „D.I.S.C.O.“ von Ottawan verantwortlich. Stimmt das?

THOMAS: Hier spricht Wikipedia die Wahrheit. Aber habe ich es gemocht? Die Frage habe ich mir nie gestellt. Es hatte nie etwas mit meiner eigenen Musik zu tun.

Das seltsamste Stück des neuen Albums heißt „Giorgio By Moroder“. Moroder plaudert ausführlich aus seinem Leben. Wie kam es dazu?

THOMAS: Giorgio lebt ja nicht mehr in München, sondern in Los Angeles und Paris wie wir. Er war bei uns im Studio, hat zwei Stunden lang von sich erzählt, und wir haben mitgeschnitten. Jetzt ist es ein Stück Dokumentarmusik. Während Giorgio erzählt, wird die Evolutionsgeschichte seiner Musik geschildert. Er war ja noch weit eklektischer als wir. Von Chanson und Jazz über Disco zu Techno. Uns ging es auch darum, das ewige Missverständnis auszuräumen, elektronische Musik sei per se modern. Wir haben hier einen 72 Jahre alten Mann, der davon berichtet, wie er vor langer, langer Zeit Techno produziert hat, mit Synthesizern. Wir wussten bisher nichts von seinen Einflüssen. Von Raymond Scott, einem Komponist für Werbejingles, im New York der Sechziger. Einer seiner Tracks hieß „Baseline Generator“. Das war schon Acid House. 1966, lange vor Kraftwerk. Oder nehmen wir den Vocoder. Der wurde in den 1930ern erfunden, zwischen den Kriegen. Wer sich das vergegenwärtigt, bekommt automatisch eine völlig andere musikalische Perspektive.

GUY: Elektronische Musik fing nicht bei IDM an, bei Intelligent Dance Music.

THOMAS: Elektronische Musik ist älter als Disco.

Moroder hat auch die erste voll digitalisierte Platte gemacht: E=MC2 von 1979.

THOMAS: Damals war das revolutionär. Aber wie das so ist mit Revolutionen: Sie bringen auch Irrtümer hervor.

Kennt ihr Moroders „The Chase“ von 1978? Was das schon Filter House?

THOMAS: Klar. Moroder war 20 Jahre vor uns da, mit Trance und Techno. Er hat die Sounds definiert, bevor sie einen Namen hatten.

Vom Filter House ist man schnell bei French House. Was war das noch mal?

THOMAS: Lang, lang ist’s her! Das verschwimmt für mich im Nebel der Geschichte. Versuchen wir uns zu erinnern: Disco-Loops im Sampler.

GUY: Filter eben: Waoh-waoh-waoh-waoh!

THOMAS: Die Tricks kamen aus Chicago und Detroit. Wir mochten das und griffen es auf. Wurde aber auch schnell wieder langweilig. Und dann kamen Journalisten und haben es French Touch genannt.

GUY: French Fries.

2005 hieß es bei James Murphy und LCD Soundsystem: „Daft Punk Is Playing At My House“. Das war ein Witz gewesen. Daft Punk hatten sich schon zum Jahrtausendwechsel in zwei musizierende Roboter verwandelt. Der Legende nach am 9.9.99 durch einen Systemabsturz im Heimstudio. Die seltenen Stadionkonzerte wurden inszeniert als Science-Fiction-Messen. Als das Duo Justice vor zehn Jahren auftauchte, ging das Gerücht um, Justice wären Daft Punk ohne Masken. 2010 hatten die Roboter dann wieder einen Gastauftritt im Film „Tron: Legacy“, im Cyberclub End Of The Line, als Haus-DJs.

Was betrachtet ihr als euer letztes reguläres Album?

GUY: TRON: LEGACY war eine Dienstleistung am Film. Bei den Aufnahmen haben wir auf den Bildschirm gestarrt. 2007 gab es noch das Livealbum. Das letzte richtige Daft-Punk-Album war also HUMAN AFTER ALL.

Damals seid ihr hinter eurer Musik verschwunden. Jetzt sitzt ihr hier, bei Kaffee und Keksen.

THOMAS: HUMAN AFTER ALL war zornig und technologiefeindlich. Es wäre obszön gewesen, dafür zu werben. Über manche Platten möchte man einfach nicht reden. Ja, wir wollten dahinter verschwinden.

Wozu sind die Robotermasken überhaupt gut und die Legenden drumherum?

THOMAS: Wir mögen es fiktiv. Wir erfinden gern was.

GUY: Man nennt das Kreativität.

THOMAS: Natürlich steckt darin auch der Glam-Gedanke. Bowie, die Residents, Kiss.

GUY: Star Wars.

THOMAS: Die Charaktere können sich erlauben, was man uns nie durchgehen ließe. Wir sind unsere eigenen Superhelden.

GUY: Die Leute waren immer begeistert von uns. Sie sehen unsere Helme und rasten aus. Kinder lieben uns.

Die Leute können sich nie sicher sein, dass ihr leibhaftig unter den Helmen steckt.

THOMAS: Niemand will mehr Aufk lärung im Pop, sondern das Mysteriöse.

GUY: Sicher kann sich niemand sein. Gut, geben wir zu: Wir haben uns von Anfang an vertreten lassen auf der Bühne. Wir beide hier, wir sind auch gar nicht Daft Punk. Interviews waren denen doch schon immer lästig. Daft Punk sitzen gerade im Studio.

Man kann eure Gesichter googeln.

THOMAS: Ich bin’s.

GUY: Ich sage nichts mehr.

Konzerte sind dafür da, den Menschen zu beweisen, dass Stars auch nur Menschen sind.

GUY: Eben.

THOMAS: Ich habe mich immer gefragt, wozu Konzerte da sind. Wer zu unseren Konzerten kommt, möchte Roboter sehen. 60 000 schreiende Menschen können sich sicher sein, dass kein Mensch darauf verzichten würde, 60 000 persönlich zum Schreien zu bringen. Du würdest dir das entgehen lassen?

Ich bin mir nicht sicher.

THOMAS: Belassen wir es lieber dabei: Es gibt keine Beweise. Sonst wären Daft Punk kein Mythos. Wir haben in 20 Jahren nur zwei Tourneen unternommen. Unsere Konzerte sind kein Dienst nach Vorschrift.

Nichts ist rührender als traurige Maschinen.

THOMAS: Der Roboter ist der beste Freund des Menschen. Will der Leser vom Musikexpress etwas über uns wissen? Unsinn. Er will lesen, wie es den Robotern geht.

Wie geht es den Robotern?

THOMAS: Den Umständen entsprechend. Aber es wird keine Tour geben.

GUY: Es sei denn, es fände sich jemand, der das für uns übernimmt.

Die Vocoder-Gesänge leben auch noch. Habt ihr jemals Autotune benutzt?

THOMAS: „One More Time“ war Autotune. Haben wir kein Problem mit. Jetzt benutzen wir einen Sennheiser-Vocoder von 1976.

„Within“ singen Avatare im Duett. Ich musste an euren Film „Electroma“ von 2006 denken über zwei bedauernswerte Roboter. Ist das der Soundtrack, den es damals nicht gab?

THOMAS: Lustig, das haben wir uns, als alles fertig war, auch gefragt. Wer weiß, was das Unterbewusstsein beim Musikmachen mit einem anstellt. Für uns ist ja alles visuell. Das Album ist für uns wie ein Film. Wir waren die Regisseure, und die Musiker waren unsere Schauspieler. Und hinterher saßen wir am Schneidetisch. Daran siehst du, dass es egal ist, ob wir mit Maschinen arbeiten oder mit Menschen. Wir tun immer dasselbe. Offenbar haben wir eine künstlerische Handschrift.

Warum hattet ihr für „Electroma“ keine eigene Musik? Ich erinnere mich an Brian Eno, Curtis Mayfield und Frédéric Chopin.

THOMAS: Uns ging es allein um den Film. Ich habe ihn geschrieben und gedreht. Die Roboter waren tatsächlich Schauspieler. Und der Film hat nach analoger Musik verlangt. Damals fühlten wir uns dazu noch nicht in der Lage. Wie gesagt: Wir waren Heimwerker. Heute sind wir Tonmeister. Man kann es rückblickend auch so sehen: Die Musik für „Electroma“ bestand immer noch aus Samples, die allerdings so lang waren wie ganze Stücke.

Im ersten abendfüllenden Daft-Punk-Film, „Interstellar 555“ von Leiji Matsumoto, wurde die Musik von der Industrie zerstört. Ist die Musikindustrie böse?

THOMAS: Wir möchten uns nicht beweihräuchern: Aber das war ein prophetischer Film über das Musikgeschäft, wie wir es heute kennen. Mit Jurys und Castingkandidaten, von „American Idol“ bis „X-Factor“. Im Jahr 2000 war das noch animierte Science Fiction. Die Geschichte von „Interstellar“ über „Electroma“ zu RANDOM ACCESS MEMORIES erzählt alles über unsere Arbeitsweise: In „Interstellar“ gab es keine Dialoge, in „Electroma“ keine eigene Musik und jetzt gibt es keine Samples. Das lässt den Leuten Raum für eigene Gedanken. Sie können es als Witz sehen. Sie können es auch mit heiligem Ernst betrachten. Das ist für uns Kunst.

Wie sähe ein Film zu RANDOM ACCESS MEMORIES aus?

THOMAS: Müßig, darüber nachzudenken. Das Album ist ja eher von klassischen Alben aus den Siebzigerjahren beeinflusst, von Pink Floyd und Led Zeppelin, und damals warst du noch weitgehend allein mit dem Albumcover. Es gab Filmchen, aber noch nicht das, was wir unter Musikvideos verstehen. Das Visuelle lief auf einer anderen Ebene. Es waren Klanglandschaften, die sich jeder selbst im Kopf zu visualisieren hatte.

Der Track „Touch“ klingt wie ein Science-Fiction-Soundtrack aus den Siebzigern. Das ist Retrofuturismus. Sind wir in unserer Retromanie gefangen?

THOMAS: Das ist ja auch eine Art von Zeitlosigkeit. Wir sehen uns in einem Korridor, in dem Zeit und Raum aufgehoben sind. Dort triffst du Giorgio Moroder und Pharrell Williams, du hörst Dixieland und analoge Synthesizer, die futuristischer klingen als digitale. Aber wir musizieren nicht wie 1978. Es ist wie auf SGT. PEPPER von 1967. Da gibt es Musik aus den 1940ern, die aber nie so klingt wie in den 1940ern, aber auch nicht wie 1967. „When I’m Sixty Four“ war kein Retrofuturismus, sondern der reinste Futurismus. Wo sind wir denn 2013? Überall und nirgends.

Das ganze Album klingt für mich bei allem seltsam modern. Ich weiß aber nicht, warum.

THOMAS: Vielleicht wegen der Stimmen aus der Gegenwart. Wobei Pharrell Williams ja wie ein Soulsänger aus der Disco-Ära singt. Hast du „Django Unchained“ von Tarantino gesehen? Da ist es genauso: Da holt dich der HipHop plötzlich aus dem 19. ins 21. Jahrhundert, und du weiß gar nicht, wie dir geschieht. Jeder Künstler definiert sich in seiner Zeit über seine historischen Einflüsse.

Früher sah die Zukunft schöner aus.

THOMAS: Wohl wahr. Die Menschheit war nie so zynisch und pessimistisch wie heute. Auch nicht in den Krisen der Siebziger, da schon mal gar nicht. Ich weiß auch nicht, warum RANDOM ACCESS MEMORIES so optimistisch und freundlich klingt. Ich bin es nicht.

GUY: Ich auch nicht.

THOMAS: Vielleicht ist Musik dann doch ein besserer Ort als die Welt.

Albumkritik S. 80

NILE RODGERS

Seine Anfänge als Musiker reichen zurück bis in die Sechzigerjahre. Er spielte Gitarre in Tonstudios und Tanzkapellen und war Mitglied der Sesamstraßen-Band. 1976 gründete er mit dem Bassisten Bernard Edwards die Band Chic. Mit Hits wie „Le Freak“ und „Good Times“ prägten Chic die Discokultur der Siebziger. Als das Sampling aufk am, verselbstständigten sich ihre Stücke. „Good Times“ grundierte „Rapper’s Delight“ der Sugarhill Gang, Queen spielten Erdwards‘ Bass in „Another One Bites The Dust“ naturgetreu nach. Rodgers selbst verlegte sich zunehmend aufs Produzieren. Ihm sind Discoklassiker wie „Lost In Music“ und „We Are Family“ von Sister Sledge zu verdanken. In den Achtzigern betreute er Stars wie David Bowie, Duran Duran und Madonna.

GIORGIO MORODER

In „Love To Love You Baby“, seiner revolutionären Aufnahme von 1976, erlebte Donna Summer 32 Orgasmen in 17 Minuten. Die Discomaxi war geboren. Zuvor war Giorgio Moroder als Alleinunterhalter durch die Tanzsäle der Alpen gereist und hatte Schlager produziert. Als ihm der Moog-Synthesizer in die Hände fiel, nutzte er ihn, um exakte Bassläufe zu erzeugen, eine unschätzbare Erfindung für die spätere DJ-Kultur. In seinem Musicland-Studio im Keller des Arabella-Hauses in München-Bogenhausen ließen sich später Rockbands wie Queen und die Rolling Stones den modernen „Sound Of Munic“ verpassen. Moroder selbst war sein Sound nie genug. Er experimentierte mit Filtern und den Errungenschaften digitaler Aufnahmetechniken. Nach Hollywood lieferte er zahlreiche Soundtracks, für Filme wie „American Gigolo“ und „Top Gun“.