Musik zum Sehen


Die mageren Jahre, in denen die bundesdeutschen TV-Anstalten ihr junges Publikum geradezu sträflich ignorierten, scheinen vorbei. Nachdem „Formel Eins“ wieder Einzug in die Flimmerkiste hielt, gaben die Fernsehbosse den Startschuß für nicht weniger als sieben neue Musik bzw. Jugend-Sendungen: „Flashlights“, „Klons“, „Ohne Filter“, „Ohne Filter Extra“, „Musik Convoy“, „Live aus dem Alabama“ und „45 Fieber“. ME/Sounds nahm das Septett ein wenig unter die Lupe.

Lautstark angekündigt hatte das ZDF sein Magazin „Flashlights“. bei dem die drei Moderatorinnen Dhana Moray, Ex-„Pop-Stoplerin Evelyn Seibert und die Japanerin Hiroko Murata für Schwung sorgen sollen. Daß dies leichter gesagt als getan ist, zeigte sich am 1. Februar, als „Flashlights“ Premiere feierte: Die Gespräche etwa, die die drei Damen mit so illustren Gästen wie Howard Carpendale und Drafi Deutscher führten, waren ebenso nett wie unverbindlich platt.

„Flashlights“-Macher Holm Dressler gesteht denn auch:

„Mit der ersten Sendung haben wir unser Ziel, nicht nur Hofberichterstattung zu betreiben, sondern auch Streitgespräche zu entfachen, nicht erreicht. Daß unsere Moderatorinnen schon mal Spitzen mit Charme oder – im übertragenen Sinn -Ohrfeigen mit einem Lächeln austeilen sollten, davon war nichts zu spüren. Die drei Mädchen hatten riesiges Lampenfieber und waren deshalb eine Spur zu brav. Aber beim allerersten Mal sollte man ihnen das ohne Wenn und Aber verzeihen. Mit der Zeit werden sie bestimmt mehr Sicherheit entwickeln und dann stärker aus sich herausgehen. „

Hoffentlich, denn ansonsten wird Dressler sein Ziel, „eine Pop-Illustrierte im Fernsehen zu machen, die kein reines Nummernprogramm ist, sondern in der Studiogäste auch zu Wort kommen“, kaum erreichen. Immerhin: Mit einem kritisch-ironischen Kurzbericht über die Musik-Messe in Cannes, der Oldie-Ecke und – als fester Programmbestandteil – die TV-Premiere für Newcomer. die in Zukunft die Zuschauer auswählen sollen, waren positive Ansätze da.

Und das Musikangebot der nächsten, im Sechswochen-Turnus ausgestrahlten Sendung liest sich auch schon besser: Am 14. März sollen Bette Midier, Depeche Mode, Karat, Reinhard Fendrich und Pink Floyd-Gitarrist David Gilmoure mit von der Partie sein.

Mit der Moderation stehen oder fallen wird auch „Klons“, der – nach einem Probelauf im Herbst vergangenen Jahres zweite ARD-Jugendabend. Damals fanden Bestandteile wie „Die Michael Braun Talkshow“, Interviews mit Keith Richards oder John Lydon sowie die fehlende Koordination und Konzeption der gesamten Sendung nicht gerade überall Zustimmung.

Viermal soll der Jugendabend 1984 zur besten Sendezeit zwischen „Tagesschau“ und „Tagesthemen“, 135 Minuten lang also, ins Programm gerückt werden; produziert jeweils von einer unterschiedlichen Sendeanstalt.

Den Anfang macht Radio Bremen am 1. März mit Christian Berg und der Berliner Sängerin Miko. die durchs Programm mit Talkshow und Musik führen. Letztere wird von Mike Leckebusch zusammengestellt, der verspricht: „Es wird natürlich eine etwas andere Mischung sein, als ich sie im . Musikladen‘ mache.“ Bei Redaktionsschluß standen auf seinem Programmzettel Nena, Irene Cara, Slade und Disque Bleu. Dazu, meint er, wird es noch Rock und möglicherweise Blues geben.

Was ansonsten angeboten wird, darüber hüllten sich die Bremer in tiefes Schweigen. Dr. Mangelsen: „Geplant sind Themen, die Jugendliche interessieren.“ Schön. Und: „Wir wollen noch nichts sagen, weil wir erst gar keine großen Erwartungen schüren wollen. “ Nun denn. Nicht weniger geheimnisvoll ist übrigens der Untertitel, den die Bremer „Klons“ verpaßten: „ein Abend für erwachende Herzen“.

Erfreulich konkret ist dagegen Frank Laufenberg, der sagt: “ Wer nicht live spielen kann, hat bei uns keine Chance.“

Die Sendung, durch die er führt, heißt „Ohne Filter“, dauert eine Stunde und feierte am 25. Januar zu nachtschlafender Zeit um 23.00 Uhr ihr ARD-Debüt. Mit dabei waren Herbie Hancock, Georg Danzer, Angelo Branduardi, Carmel und Gitarrist Jan Akkerman, die allesamt im Studio tatsächlich live spielen durften und nicht – wie in fast allen anderen Musikmagazinen – zum Playback gute Miene aufsetzen mußten. Zwei Titel dürfen die Gäste in der Regel bei „Ohne Filter“ spielen, der in rein musikalischer Hinsicht sicherlich interessantesten neuen Sendung.

Redakteur Michael Au: „Wir haben uns vorgenommen, eine Altersgruppe etwa zwischen 20 und 40 Jahren zu bedienen; die Leute also, die ansonsten – was Pop- und Rockmusik im Fernsehen anbelangt – bislang viel zu kurz kamen. Mit Ausnahme von ein paar .Rockpalästen‘ hatte dieses Publikum ja überhaupt keine Sendung. Und da wollen wir endlich Abhilfe schaffen. Daß wir dabei, wie sich auf Grund der ersten Zuschauer-Post ersehen läßt, zusätzlich noch viele jüngere Leute ansprechen, freut uns natürlich um so mehr.“

Die Auswahl, die Laufenberg und Au treffen, orientiert sich nicht an den aktuellen Hitparaden und hat deshalb Platz für Geheimtips. In den nächsten beiden der insgesamt sechs 84er-Folgen werden dies unter anderem der schwarze Blues-Sänger Johnny Copeland, der ehemalige Dixie Dreggs-Gitarrist Steve Morse mit seiner Band, das Rock-Jazz-Projekt Koinonia sowie der farbige Rock-Poet Gil Scott-Heron sein.

Bei den Aufzeichnungen bekommt jeweils ein Künstler die Gelegenheit, das ganze Spektrum seines Könnens aufzuzeigen. Laufenberg: „In jeder Sendung wird ein Act sein, der bei uns im Studio volle 60 Minuten spielt – und dessen Show wir dann später als .Ohne FilterExtra‘ ausstrahlen.“

„Ohne Filter Extra“, fast so etwas wie eine Alternative zum „Rockpalast“, läuft zum ersten Mal am 31. März in der sogenannten „Südschiene“ (Saarländischer, Süddeutscher und Südwest-Funk), später dann voraussichtlich auch in anderen dritten Programmen. Den Anfang macht Herbie Hancock, danach sind Johnny Copeland und voraussichtlich Hall & Oates vorgesehen.

Live, wenn schon nicht für die Zuschauer am Bildschirm, dann doch für die Anwesenden, soll demnächst auch der „Music Convoy“ werden. Für diese Sendung reist ein Team des Kölner WDR seit einigen Wochen mit einem umgebauten US-Truck (in dem sich die Bühne befindet) durch die Provinz von Nordrhein-Westfalen, um jeden Montag vor Ort vier Interpreten der nationalen und internationalen Szene vorzustellen.

Redakteur Dr. Ronald Grabe, der die im 3. Programm des WDR ausgestrahlte Sendung betreut: „Ab dem späten Frühjahr werden wir den Hauptact der jeweiligen Sendung live und länger spielen lassen. Davon werden zwar die Fernsehzuschauer wenig haben, denn unsere Sendezeit ist nach wie vor auf eine halbe Stunde begrenzt, wohl aber die Leute, die zu den , Music Convoy‘-Veranstaltungen kommen. „

Und die können ohne einen Pfennig Eintritt im März Nena, Achim Reichel, Chalice, Whodini, Reflex, Depeche Mode, Grandmaster Flash, Tokyo, die Spider Murphy Gang u. v. a. sehen, an Preisausschreiben und anderen Aktionen teilnehmen. Im fünfköpfigen Moderatoren-Team sind u. a. Alan Bangs und Xao Seffcheque.

Live dabeisein können auch Münchner Rockfans bei der montäglichen Sendung „Live aus dem Alabama“, die jede Woche im 3. Bayerischen Fernsehprogramm zu sehen ist. In der am Stadtrand von München gelegenen Alabamahalle bekommt man für 10 Mark Eintritt ein komplettes Livekonzert mit mal bekannten, dann wieder unbekannten Bands serviert, kann an Talkshows teilhaben und in Diskussionen einsteigen. Letztere will Redakteur Jürgen Barto und sein vierköpfiges Moderatoren-Team – bei dem bislang nur der Clown und Entertainer Eisi Gulp durch aufgesetzte Unnatürlichkeit etwas aus dem Rahmen fiel – so spontan wie möglich halten. Beispiel: Als BAP ihre DDR-Tournee absagten, wurde kurzfristig das Programm umgeworfen und der Kölner Band samt Anhang die Gelegenheit gegeben, ihre Entscheidung vor versammelter Fernsehrunde bekanntzugeben.

Barto, der „auf jeden Fall interessant“ bleiben will, plant für die Zukunft auch politische Themen. So will er vor den anstehenden Wahlen in Bayern Kinder der kandidierenden Politiker einladen und mit ihnen eine Talkrunde veranstalten. Andere Themen: Arbeitslosigkeit, Ausländerfeindlichkeit, Computerspiele, Konsumverhalten, Mode selbermachen usw. Dazu natürlich Musik, im März und April etwa von Murray Head, Thomas Dolby, Loverboy, Chris Rea und Karat.

Bliebe last, but not least das „45er Fieber“, eine ebenfalls nur regional zu empfangende Sendung, die der Sender Freies Berlin produziert. Das im Januar gestartete Magazin profilierte sich gleich mit der ersten Ausgabe als flottgemachte Mischung aus Musik, Sketchen und auch kritischen Beiträgen. Macherin Christiane Jontza:

„Bei uns soll nichts unpersönlich und höflich glatt sein.“

So durfte denn auch bei den eingeblendeten Übersetzungen der Songtitel die Anmerkung „Chauvi – die Übersetzerin“ bei Paul Youngs „Sex“ bleiben. Christiane Jontza: „Wir wollen den Leuten auch kein Mediendeutsch servieren, sondern die Sprache der Jugendlichen sprechen. „

Freche Sprüche gab’s denn auch gleich zu Beginn reichlich. So in der als „Soap Opera“ angelegten Fortsetzungsgeschichte „Die Vier aus der Zwischenzeit“, wo ein Mädchen feststellt: „Früher kamen die Typen nach Berlin, denen die Bundeswehr zu blöde war. Heute kommen nur noch die Typen nach Berlin, die sogar für die Bundeswehr zu blöde sind. „

Thematisch ist man dabei schon mal satirisch; Grenzen sollen gar nicht erst gesteckt werden. Auch politische Randgruppen sollen zu Wort kommen in der Sendung, deren musikalisches Konzept eine Mischung aus Hittruppen und Newcomern vorsieht. Christiane Jontza: „Die Musik ist in unserer Sendung allein schon als dramaturgisches Element wichtig. Wir gehen davon aus, daß die Musik das Lebensgefühl der Leute zwischen 14 und 40 immer noch mitbestimmt. Und deshalb wollen wir mit unserer Musikauswahl Atmosphäre herstellen und Überleitungen zwischen den einzelnen Beiträgen schaffen. Rein zeitlich gesehen hat die Musik in den ersten beiden Sendungen noch keinen allzu großen Raum eingenommen. Aber das wird sich ändern.“