Nostalgie ist böse


iTunes-Charts, 18. Juni 2012, Platz 6: Guru Josh, „Infinity 2012“

Die Nostalgie müsste sich mittlerweile ja auch neuropsychologisch erklären lassen. Gerade dann, wenn sie an Musik klebt und an deren Wirkung aufs menschliche Hirn. Wobei man da ja wiederum trennen müsste zwischen den Gefühlsregungen, die einerseits eine gespeicherte Melodie auslöst und andererseits der Sound bestimmter Instrumente. Und wie sich dann das Gehirn daraus seine Erinnerungen zusammenbastelt und damit das, was es für sein Selbst hält, in einer jüngeren Version rekonstruiert: Ich als Musikhörer vor 20, 25 Jahren ungefähr.

Mein heutiges Ich zum Beispiel hat vor tausend Sachen Angst, komischerweise aber keine davor, sich selbst als jüngerem Plattenkäufer-Ich zu begegnen. Dieses jüngere Ich muss, – das heutige weiß bloß nicht, wie und wann es dazu gekommen ist – früh einen Geschmack entwickelt haben, der gemäß der heute allgemein akzeptierten Pop-Geschichtsschreibung ganz gut war. Erstes selbst gekauftes Vinylalbum: The Smiths, The Queen Is Dead. Erste selbst gekaufte CD, nachgeholt, als es dann eben den ersten CD-Player im Kinderzimmer gab: ABC, Lexicon Of Love. Aber war das vielleicht bloß Glück – und wie funktionierte eigentlich der Shitdetektor meines jüngeren Ichs?

Der sagte zum Beispiel in den ersten Wochen des Jahres 1990, daran glaubt das heutige Ich sich genau zu erinnern: Guru Josh ist böse. Und die Saxofonmelodie in „Infinity“ ist superböse. Wobei mein Ich im Gegensatz zu vielen anderen Ichs auf dieser Welt nie ein prinzipielles Problem mit dem Sound eines Saxofons hatte. Bei „Pacific State“ von 808 State zum Beispiel, das ja offenkundig Vorbild für Guru Joshs „Infinity“ gewesen ist, fand mein jüngeres Ich: geil, tanzen. Lag das aber nicht weniger an der Saxofonmelodie als vielmehr an den schicken Beats? Und warum ging meinem jüngeren Ich das pseudotropische Vogelgezwitscher bei „Pacific State“ nicht auf die Nerven, während es bei Guru Joshs Pseudo-Rapzeile „1990, time for the Guru“ sofort geschrien hat: Scheiße!

Mein heutiges Ich weiß es nicht. Es weiß nur, dass es irgendwann beschlossen hat, jeden Nostalgie-Impuls zu unterdrücken. Und dass es, egal wie oft Guru Josh jetzt noch ein schlimmeres Update seines schlimmen einzigen Hits veröffentlicht, immer schreien wird: Scheiße.