Paul braucht neue Flügel


Immer wieder tauchen in letzter Zeit die Namen der Beatles John, Paul und Ringo in den Pop-Gazetten diesseits und jenseits des grossen Teichs auf. In fetten Lettern meinte der Melody Maker‘, ein Beatles-Comeback bestätigen zu können: In Los Angeles hatten sich die drei in einem Studio getroffen, um angeblich Aufnahmen für ein gemeinsames Album zu machen. Indessen stellte sich diese Nachricht bald als umsatzstärkende ‚Ente‘, oder zumindest als pures Wunschdenken einiger Pop Journalisten heraus: die Dreiviertel der ‚Fab Four‘ hatten sich lediglich aus geschäftlichen Gründen betreffs weiterer Solovorhaben (unter gemeinsamen ‚Apple‘-Banner) und als Produzenten der neuen Harry Nilsson Scheibe ‚Son of Dracula, starring Harry Nilsson & Ringo Starr‘, getroffen. Nach London zurückgekehrt, nahm Paul Mc Cartney dann endgültig allen Wind aus den Segeln des stattlichen Beatles-Wiedervereinigungs-Geisterschiffs‘: „Ein für allemal: es gibt keine Pläne, unter dem Namen ‚Beatles‘ zukünftig zusammenzuarbeiten. Wir haben vor, weiter jeder für sich als Musiker und Produzenten zu arbeiten. Es gibt keine persönlichen Gründe, die uns trennen sondern lediglich unterschiedliche Interessen. Wir werden uns jedoch trotzdem häufiger sehen und uns gelegentlich bei unseren Alben gegenseitig unterstützen. Ausserdem liegen zur Zeit auch keine Angebote von Promotern vor, uns als Vierer-Formation zu präsentieren.“ Weiterhin liess Paul verlautbaren, dass er die Gerüchte um eine Beatles-Auferstehung als ’skandalöse Nasführerei der öffentlichkeit ansehe. Ähnliches erzählte Ringo derweil in Los Angeles Journalisten vom Rolling Stone‘.

WAS TREIBT PAUL?

Während George völlig von der Bildfläche verschwand (er nimmt gerade ein neues Album auf), Ringo in Filmprojekte und wettere Unternehmungen in der Art wie ‚Ringo‘ verwickelt ist, während John unverdrossen der ‚Weltrevolution‘ zum Siege verhüll (und dabei jeden Tag mit seiner Ausweisung aus den USA rechnen muss), fragt man sich was treibt eigentlich Paul? Sein letztes Weihnachtsgeschenk an die Wings-Fans, ‚Band on the Run‘, liegt noch immer auf den vorderen Plätzen der Charts. Wenig umstritten ist die These, dass Paul gut daran getan hat, sein musikalisches Talent wieder in eine Gruppe einzugliedern. Die ‚Wings‘ waren eine gute Band, die Paul zur Selbstkritik zwang und ihn davon abhielt ähnlich ehrgeizige ‚Do-it-yourself-Projekte wie ‚Mc Cartney‘ oder Ram‘ zu starten, auf denen er (der immerhin ‚goldene Lieder wie ‚Yesterday‘, She’s Leaving Home‘, oder Eleanor Rigby‘ schrieb und arrangierte) sich durch mangelnden Sachverstand bei der Bearbeitung zahlreicher Instrumente lächerlich machte. ‚Wildlife‘ und ‚Red Rose Speedway‘ stellten einen entschiedenen Schritt in Richtung ‚Konsum-Rock‘ dar, mit dem es Paul schaffte ein neues Publikum zu ‚fangen‘, das auf fröhlicher Beatmusik ä la Slade, Sweet und Osmonds abfährt. Paul Mc Cartney hat damit eindeutig die Kurve gekriegt: immerhin schon 32-jährig, hat er den Ring geschlossen. Während die Plattenkäufer von George, John, und Ringo sich vorwiegend aus ehemaligen Beatles-Fans rekrutieren, hat Paul wieder die Altersgruppe im Griff, die nunmehr dem Beatles-Publikum der Sechziger Jahre entspricht: die Teenager. Logisch ging er den Schritt seine Gruppe auch ‚live‘ zu präsentieren, ein weiteres Plus gegenüber den anderen Beatles. Mit einer guten Besetzung, neben ‚Piano-Linda‘ noch Henry Mc Cullough (git), Denny Laine (git) und Denny Seiwell (dr), einem nicht zu anspruchsvollen aber dennoch originellen Repertoire, konnten sich die ‚Wings‘ als eine Spitzenband profilieren. Paul hat es in der Hand, den Höhepunkt, den die Gruppe mit ‚Band on the Run‘ und ‚Jet‘ erreichte, nicht wieder zu unterschreiten.

NEUE „FLÜGEL“…

Gelassen gab Paul In seinem Londoner Office bekannt, dass er für die Elnspielung des nächsten Albums eine neue Mannschaft sucht. Ein neuer Gitarrist ist bereits gefunden: es ist Jimmy Mc Cullough (Henry’s Bruder). Tourneepläne liegen auch schon vor, zunächst allerdings nur für Afrika. ‚Lovely Linda‘, von der böse Zungen behaupten, sie hätte bei den Wings‘ die Hosen an, hat sich inzwischen zum Zeltvertrieb eine eigene Gruppe zusammengestellt. Es gibt also allerlei offene Enden bei den Mc Cartneys. Keiner weiss welchen Weg der ‚Zwilling‘ Paul (er hatte am 18. Juni Geburtstag) demnächst einschlagen wird. Die Wings boten bisher stets zwei musikalische Möglichkeiten an: neben sanften, manchmal auch schnulzigen Songs (oder gar Kinderliedern wie Mary Had A Little Lamb) bringt Paul noch immer saloppen Rock mit allerlei Anklängen an Little Richard und andere ‚Ahnen‘ der frühen Beatles. Wird Paul In Zukunft eher auf ein verwöhntes Publikum setzen, das sich an Ringo Starr-Harry Nilssons nostalgischphantasievollen Co-Produktionen erfreut, oder aber Nachschub für die Konsumenten derberer Pop-Kost im Slade- und Sweet-Stil fabrizieren? Wie soll man’s wissen . . .