Pete Townshend: Pete Townshend im Interview


Ein Mann, der eigentlich keiner Vorstellung bedarf. Der Mastermind der (nun wohl endgültig verflossenen) WHO ist einer der intelligentesten und artikuliertesten Köpfe seiner Generation. Und einer der ehrlichsten Gesprächspartner.

ME/SOUNDS: Beginnen wir mit „After The Fire“, einem Song, den du für deinen früheren Who-Kollegen Roger Daltrex geschrieben hast. Es heißt dort: „After the fire the fire still burns, the hurt grows older but never ever learns …“ Ist dies für dich das schmerzliche Fazit des Erwachsenwerdens, daß man zwar lter wird, aber durch Erfahrung nicht kluger?

TOWNSHEND: „Ich glaube schon, daß man aus Fehlern lernen kann; es dauert jedoch ungeheuer lange. Es wundert mich immer wieder, wie lange man in der Scheiße stecken muß, ehe man bemerkt, daß es fürchterlich stinkt. Es scheint fast so, als verwickle man sich willentlich in alle Fallstricke, die ausgelegt werden.

Irgendwann kommt dann aber doch die Zeit, wo die Selbstquälerei ein Ende hat. Bei mir kam diese Wende mit der Entscheidung, die Who zu verlassen: eine Entscheidung, die ich – rückblickend gesehen – viel zu lange vor mir hergeschoben habe. Erst hinterher wußte ich, wie wichtig dieser Schritt für mich gewesen ist.

Kurzum – ich glaube, man kann aus Erfahrungen lernen, aber es bleibt die Sehnsucht nach beiden Möglichkeiten: Durch schmerzliche Erfahrungen lernen und doch zur gleichen Zeit die Risiken, die dieser Prozeß beinhaltet, scheuen: das Experiment vermeiden und doch das Vergnügen genießen, das vom Experiment manchmal ausgeht. Beides zusammen geht jedoch nicht.“

ME/SOUNDS: Welche Figur hattest du vor Augen, als du den Song geschrieben hast? Dich?

TOWNSHEND: „Nein, ich schrieb das Stück speziell für Roger. Ich sage das mit dem größten Respekt – aber er ist nun mal einer von denen, die es nie begreifen. Er wollte, daß die Who weiterhin bestehen; er wollte für immer so weitermachen.“

ME/SOUNDS: Ist es richtig, daß Daltrey der mikrofonschwingende Macho, Townshend der analytische, intellektuelle Songautor ist, daß du gelitten hast und Daltrey deine Leiden herausschrie?

TOWNSHEND: „Mit großen Einschränkungen ja! Obwohl es vielleicht gelegentlich so aussah, habe ich nicht direkt gelitten. Ich habe mein musikalisches Engagement eher genossen. Ich glaubte an die Rockmusik, an den Idealismus, den sie beförderte, an die Veränderungen, die sie bewirkte. Es war gut, einen Mann wie Roger als Aushängeschild zu haben. Denn nur so konnte ich mich aufs Schreiben konzentrieren.“

ME/SOUNDS: Dennoch hast du inhaltlich den Kurs angegeben und Songs geschrieben, die den Aufbruchsgeist der Mod-Jahre, das Unbehagen an der Gesellschaft usw. widerspiegelten. Selbsterlebt oder nachempfunden?

TOWNSHEND: „Wohl beides. Es ist absolut simpel, ausschließlich über negative Erfahrungen zu schreiben, für kurzfristige Hochstimmung zu sorgen oder einen witzigen Song zu machen, über den man lacht. Selbst die nach außen hin pompös klingenden Rocksongs sind in puncto Herstellung kein Problem.

Ich persönlich habe die Songtexte meist als Auslöser verstanden, als Mittel, Gefühle an die Oberfläche zu zerren. Noch heute erhalte ich Fanpost von Leuten, die mein persönliches Leiden verständnisvoll zur Kenntnis nehmen. Sie übersehen dabei, daß ich eigentlich ein unglaublich einfaches und leichtes Leben hatte. Längst nicht alles, was ich in meinen Texten beschrieb, habe ich aus erster Hand erlebt. Ich benutze mich selbst eher als Kunstgriff.

Das soll nun nicht heißen, ich sei ein David Bowie, der eine Marionette namens David Bowie manipuliert. Es gibt keine solche Puppe ´Pete Townshend‘. Ich wußte, daß es fürs Publikum oft so aussah, als würde ich persönlich leiden. Aber das gehört dazu, das ist Teil des Showbusiness.“

ME/SOUNDS: Okay, der Songschreiber hatte also keine Probleme. Warum ging es dann der Privatperson Townshend zu einer gewissen Zeit so dreckig?

TOWNSHEND: „Die Probleme, die ich 1979/80 hatte, waren für meine Entwicklung ungemein wichtig, aber seltsamerweise gibt es nur zwei, drei Dinge, die wirklich davon beeinflußt wurden: mein Buch `Horse’s Neck`, das Album CHINESE EYES und ein paar Songs auf der LP WHO BY NUMBERS. Ansonsten hatte ich auf der Bühne, im Studio und beim Songschreiben eine gute Zeit.“

ME/SOUNDS: Ein anderes Thema. Das WHITE CITY-Video ist noch kein abendfüllender Film, sprengt aber andererseits auch den Rahmen der üblichen Promo-Clips. Welche Überlegungen stecken dahinter?

TOWNSHEND: „Ich habe schon an anderer Stelle geäußert, daß ich mit den gängigen Videos, mit diesen Marketing-Werkzeugen nicht zufrieden sein kann. Aber wer ist das schon? Keiner vermutlich! Das sieht zwar alles ganz nett aus, aber wenn die Musiker ihren Kopf gebrauchen würden, könnten sie eine ganz andere Wirkung mit diesem Medium erzielen.

Das Ganze ist auch ein markttechnisches Problem: Kaum jemand geht ins Geschäft und verlangt nach einem Promo-Video. Der Markt dafür ist sehr klein, die Kreativität läßt folglich zu wünschen übrig. Aber man kann so etwas wie Nachfrage nur erzeugen, wenn man etwas Exklusives anbietet. Es wird keinen Markt geben, bevor man nichts Gutes kaufen kann.

Ich glaube, dem Medium Video gehört die Zukunft. Das Kino ist im Niedergang begriffen; nicht weil die Kunst, gutes Kino zu machen, nachgelassen hat, sondern weil viele Menschen einfach nicht mehr den Arsch hochkriegen.

Das Musikgeschäft steht ganz gut da, obwohl im Moment der leichte Pop den Ton angibt. Traditionelle Rockmusik, die Inhalte wie Politik, Revolution, Ökologie transportierte, trifft man selten an. Heutzutage wird das alles schon getrennt: hier inhaltsleerer, gedankenloser Pop, dort Benefizaktionen wie Live-Aid, Fashion Aid, Farm-Aid; hier seichter, flacher, oberflächlicher Spaß, dort die Informationen.“

ME/SOUNDS: Aber nehmen wir z. B. Steve van Zandts „Sun City“-Projekt. Dazu kann man doch sowohl tanzen als auch nachdenken…

TOWNSHEND: „Ja, weil van Zandt ein alter Rokker ist. der versucht, Inhalt und Musik zusammenzubringen. Genau das war und ist für mich immer das Größte an guter Rockmusik gewesen, daß nämlich Vergnügen und Aussage kombiniert werden konnten.

Aber solche Versuche sind heute die Ausnahme von der Regel; Popmusik ist absolut dominant. Leute wie Madonna, Wham oder A-Ha sind ungeheuer erfolgreich, verkaufen Millionen von Platten, machen clevere Videos – aber das ist es dann auch. Sie sind – im Gegensatz zum herkömmlichen Rockmusiker – nur Celebrities im Hollywood-Stil. Sie brauchen nicht nachdenken, tragen keine Verantwortung, müssen keine Rechenschaft ablegen und sind keine verantwortlichen Mitglieder der Gesellschaft.

Und genau wie es den Hollywood-Stars erging, wird’s auch den reinen Popmusikern ergehen; Eines schlechten Tages finden sie sich in einem anonymen Hotelzimmer wieder – mutterseelenallein und völlig am Ende und äußerst verwundert darüber, daß ihre Glamour-Welt in Scherben ging.

Das haben viele Rockmusiker früh genug erkannt, weil sie den Absturz vieler Filmstars miterlebten. Es ist erstaunlich, wieviele Berühmtheiten den Weg zurück in ein normales Leben gefunden haben. Entweder ziehen sie sich an die Peripherie des Musikgeschäfts zurück, arbeiten als A&R-Chefs wie Muff Winwood, als Produzenten oder Manager. Oder aber sie steigen ganz aus. Keith Relf führte vor seinem Tod einen Lebensmittelladen und war dabei total glücklich.“

ME/SOUNDS: Kannst du dir vorstellen, eines Tages ein ähnliches Leben zu führen?

TOWNSHEND: „Das tue ich in gewisser Hinsicht schon! Ich arbeite die Woche über, nehme die Wochenenden frei, gehe abends nachhause … Das heißt zwar nicht, daß ich abends um zehn ins Bett gehe, aber ich vergeude meine Nächte nicht mehr damit, obskure Bars leerzusaufen. nach langbeinigen Blonden Ausschau zu halten oder sonstigen Blödsinn anzustellen. Ich lese Manuskripte und Bücher und nutze die Zeit damit sicherlich sinnvoller aus.“

ME/SOUNDS: Noch eine Frage zu der Figur des Jim, der im Video neben dir auftritt. Man hat den Eindruck, hier der Star, dort der Underdog.

TOWNSHEND: „Mag sein. Jim ist als Figur meine Erfindung – und mit der kann ich machen, was ich will.“

ME/SOUNDS: Aber hattest du keine Angst, daß

dieser Unterschied – Star/Underdog – gefährlich groß erscheinen wurde?

TOWNSHEND: „Aber genau darauf wollte ich ja hinaus! Der Unterschied zwischen ihm und mir ist etwas, was außerhalb meiner Kontrolle liegt. Ich habe damals meine enge Heimat verlassen und wurde erfolgreich. Mir ist bewußt, daß ich in meiner jetzigen Position niemals von dieser Gemeinschaft re-integriert werden könnte. Dies darzustellen, war eines meiner Anliegen.

Das andere: Ich wollte ein Phänomen beschreiben, unter dem die moderne, westliche Nachkriegs-Gesellschaft bis heute leidet und das von Soziologen als ,Dekonstruktion‘ bezeichnet wird.

Nimm die Figur des Jim: Er macht den Eindruck einer totalen emotionalen Fehlentwicklung. Seine Ehe ist zerrüttet, er hat keinen Job, neigt zu Gewalt, trinkt zuviel. Aber anstatt sich beim Psychoanalytiker auf die Couch zu legen und über seine Mutter zu palavern, geht er tagtäglich zu ihr in den Pub und setzt sich mit ihr auseinander. Das ist das Gegenteil von Dekonstruktion. Jim wird irgendwie von der Gemeinschaft gehalten. Er hat einen sozialen Rahmen.

Dekonstruktion begegnet uns in Form von Eltern, die glauben, ihre Söhne wären nur dann wertvolle menschliche Wesen, wenn sie etwas Heroisches leisten. Gerade auch durch die laufende feministische Diskussion ist aber wohl klar geworden, daß heroische Männer gefährliche Tiere sind: schlechte Väter, unverantwortliche Liebhaber, Leute, die permanent nach Anerkennung höherer Instanzen lechzen. Und das, obwohl diesen Instanzen der einzelne Mann vollkommen egal ist. Wenn ein neuer Churchill, ein neuer Hitler, ein neuer Mussolini, ein neuer Stalin kommt, dann sind diese Männer sofort bereit, Kanonenfutter zu sein.

ME/SOUNDS: White City heiß zwar Weiße Stadt, aber dort mischen sich viele Rassen und Nationalitäten. Hat dich auch dieser Aspekt interessiert?

TOWNSHEND: „Sicher. White City ist eine Siedlung, wo sich Iren, Inder. Menschen aus der Karibik, Zigeuner und stinknormale Angelsachsen mischen. Geschichtlich gesehen stehen wir an einem Scheideweg: England zeigt zwar mit dem Finger auf Südafrika, aber im Grunde haben wir die Sklaverei erfunden, die heute dort unten noch praktiziert wird. England selbst besaß früher ungeheuer viele Sklaven, aber sie waren bis zum zweiten Weltkrieg immer schön weit weg. Erst später sickerten sie nach und nach ins Land. Das ist die Situation und das Problem. In White City wird das in vielerlei Hinsicht sichtbar. Dort herrscht eine enorme Spannung.

Vielleicht vermittelt mein Video den Eindruck, White City sei ein Jammertal — ohne jede Hoffnung, nur Häßlichkeiten, nur Tristesse. Aber so habe ich es nicht empfunden. Okay, Hoffnung und Optimismus sind nicht gerade die hervorstechendsten Merkmale in dieser Umgebung – aber was sind das auch für inflationäre Begriffe: Hoffnung – eines Tages wirst du glücklich sein! Optimismus – eines Tages wird es dir gut gehen! Es ist wohl das Schwierigste, in der Gegenwart, im Jetzt zu leben.“

ME/SOUNDS: Aber sind Hoffnung und Optimismus nicht auch jene Kräfte, die uns überleben lassen ?

TOWNSHEND: „Sicher sind sie wichtig, aber zugleich auch entwertet durch die ganze Erfolgsethik von heute. Wir brauchen neue Worte. Das gilt auch für den Begriff Ego. In den Siebzigern hat man diesen Terminus in Verbindung gebracht mit indischem Spiritualismus. Das ging soweit, daß viele glaubten, man müsse das Ego überwinden. Dabei ist dieses Ego in unserer Gesellschaft enorm wichtig. Außerdem: Um das Ego zu zerstören, braucht es ein Ego.“

ME/SOUNDS: Du gibst selbst das Stichwort: Jahrelang hast du dich mit östlichen Religionen auseinandergesetzt und der Gemeinschaft des Gurus Meher Baba angehört. Hat das dir etwas gebracht?

TOWNSHEND: „Sicher. Ich war zwar nie ein blinder, unkritischer Anhänger von Meher Baba, aber ich habe durch ihn viel gelernt. Eine zentrale Einsicht indischer Philosophie besagt z.B., daß man in der Gegenwart leben soll und die Folgen Gott überlassen sollte. Auch wenn das nach Fatalismus klingt, nach dem Glauben einer primitiven Gesellschaft – in einem sehr praktischen Sinn würde diese Einstellung im Westen einige Probleme lösen.

Ein Beispiel: Jugendliche, die Drogen nehmen, geben oft vor, damit nach Antworten zu suchen. Bewußtseinserweiterung und all dieser Schwachsinn. Das ist natürlich eine plumpe Lüge. Wenn sie ganz einfach die Tatsache akzeptieren würden, daß man sich manchmal gut und manchmal schlecht fühlt, wären sie ein gutes Stück weiter. Tatsache ist doch: Selbst wenn man mit der schönsten Frau der Welt verheiratet ist, selbst wenn man den tollsten Job der Welt hat, selbst wenn man Millionen besitzt, wenn man David Bowie oder Madonna heißt — manchmal ist man gut. manchmal schlecht drauf.“

ME/SOUNDS: Aber mal ehrlich: Hat es dich nicht 40 Jahre deines Lebens gekostet, um zu dieser Einsicht zu gelangen ? Wolltest du nicht auch immer glücklich sein?

TOWNSHEND: „Sicher. Ich war darauf abgerichtet, die definitive Befriedigung zu erlangen. Das macht, glaube ich, zum Teil einen guten Performer aus. Man ist total abgerückt und geht auf die Bühne und kriegt dort diesen Ego-Schub, diese Energie. Hinterher schlägt das Pendel zurück und man verfällt in tiefe Depressionen. Also braucht man wieder seine Injektion, bis man süchtig ist.

Für mich persönlich war es äußerst lebenswichtig, wegzukommen von dieser Befriedigungssucht, weg von Drogen, weg vom Alkohol, weg von zufälligem Sex mit zufälligen Frauen, weg von The Who und weg von großen Konzerten. Mal nur mit ein paar Freunden essen gehen, erzählen, dasitzen und wissen, daß nicht jede Nacht die größte Nacht meines Lebens werden muß. Das ist zwar schwierig, wenn man im Showbusiness ist, aber es hat mich gerettet.“

ME/SOUNDS: Hat das Schreiben dir bei der Bewältigung deiner Probleme geholfen?

TOWNSHEND: „Ganz sicher sogar. Das war ein sehr befreiender Prozeß.“

ME/SOUNDS: Es hat mich überrascht, wie du in einem Kapitel des Buches den Tod von Keith Moon verarbeitet hast. War er eine Bedrohung für dich?

TOWNSHEND: „Manchmal ja, manchmal nein. Gerade habe ich mit einem Freund scherzhaft darüber gesprochen, daß Eddie Van Halen die Band auflöst, weil er feststellen mußte, daß seine Frau ein Verhältnis mit David Lee Roth hat. Ich selbst habe heute noch den bösen Traum, daß ich nach Hause komme – und meine Frau mit Keith im Bett liegt. Und sie sagt: `Bitte mach jetzt keine Szene, sei nicht wütend, er ist einfach nur besser im Bett als Du.` Diese Unsicherheit einem Toten gegenüber!

Als Keith noch lebte, gab es zwei Möglichkeiten: Entweder er mochte dich und war auf deiner Seite, oder er mochte dich nicht und machte dich zum Element seiner Show. Und das war meist nicht sonderlich amüsant für den Betroffenen!

Eigentlich handelt das Kapitel von der Schuld, die man fühlt, wenn man überlebt.“

ME/SOUNDS: Wieso Schuld? War Keith nicht ein erwachsener, eigenverantwortlicher Mensch ?

TOWNSHEND: „Sicher war es das, aber dies ändert nichts an dem Gefühl. Es gibt Leute, die in bezug auf Lennons Tod ein schwer erklärbares, irrationales Schuldgefühl haben. Im Grunde ist das zwar eine kranke und egozentrische Regung, aber man hat sie trotzdem.

Als ich von Keith‘ Tod hörte, dachte ich: Mein Gott, und du bist noch da! Im gleichen Augenblick wußte ich jedoch, daß ich nicht so sterben würde. Nicht daß ich meinen Lebensstil geändert hätte, um mich körperlich davor zu schützen. Ich wußte nur: ich nicht!“

ME/SOUNDS: Ist „Horse´s Neck“ ein Ausdruck von Angst, von Todesangst?

TOWNSHEND: „Nein, eigentlich nicht. Sicher, alle Schreiber rühren mit Vorliebe in ihren dunklen Seiten, damit sie etwas haben, worüber sie schreiben können. Die Vorstellung des Todes hat mich aber nie geängstigt.“

ME/SOUNDS: Die meisten kennen dich nur als Musiker; die wenigsten wissen, daß du als Lektor bei dem renommierten Faber & Faber-Verlag arbeitest. Liest du immer noch gerne?

TOWNSHEND: „Aber klar, ich brauche etwa ein Buch pro Tag – von Agatha Christie bis Dylan Thomas, von Charles Dickens bis was-weiß-ich. Was ich nicht mag, sind Biografien.“

ME/SOUNDS: Schaust du auch oft in die Glotze?

TOWNSHEND: „Manchmal. Aber mein Fernsehkonsum hat sich sehr reduziert, weil ich mehr und mehr lese. Entweder ich schaue mir einen guten Film auf Video an oder Dokumentationen im Fernsehen. Aber ich kann es nicht leiden, mich auf Gedeih und Verderb dem laufenden Programm zu überlassen.

Fernsehen ist wie eine Seifenoper: Man wird nur mit Schlagzeilen gefüttert: Krankheiten, Onkel vergewaltigt seine Nichte, Kinder werden zu Drogensüchtigen, Liebesbeziehungen brechen auseinander. Alles wird reduziert, Details werden nicht berücksichtigt

und deshalb lese ich. Das terrorisiert einen nicht, es beruhigt.“

ME/SOUNDS: Live-Aid, Farm-Aid, Fashion-Aid… Was hältst du von dieser Benefiz-Wut?

TOWNSHEND: „Live-Aid war schon wichtig. Für die gestandenen Rocker war wohl das Schönste, daß sie ein 20 Jahre altes Versprechen einlösten mit diesem Konzert. `Eines Tages haben wir Power und können etwas verändern!` Ich habe das jedenfalls auch so empfunden.

Es ist auch einiges falsch gelaufen. Die Moral, die hinter der Sache steht, stimmt nicht. In naher Zukunft wird irgendeiner wohl den Mut aufbringen müssen, die Wahrheit zu sagen. Der amerikanische Schreiber Dave Marsh hat schon damit angefangen, die Sache zu durchleuchten und als komplette Verarsche eingestuft.

Es gab sowohl in Philadelphia als auch in England einige unschöne Szenen. In Amerika kamen sich Tina Turner und Madonna in die Wolle – vielleicht erwartet man das von Madonna, aber von Tina? Warum muß sie mit diesem Nichts von Popstar streiten?

Die Geschichte ist folgende: Die beiden trafen sich hinter der Bühne, begrüßten sich – und Madonna meinte: ,Wir werden ja ganz schön herumgeschubst, aber du hast das alles schon erlebt.‘ Daraufhin soll Tina von oben herab geantwortet haben: ,So wie du dich herumschubsen läßt, bin ich jedenfalls nie behandelt worden.‘ Ein Wort gab das andere, und zu guter Letzt sollen die beiden Damen wie zwei fauchende Katzen aufeinander losgegangen sein.

Aber sogar auf der englischen Bühne, wo man eigentlich sehr höflich und nett miteinander umgegangen ist, gab’s zum Schluß unschöne Szenen. Zum Finale waren Paul McCartney, David Bowie, Bob Geldof, das dicke Mädchen, wie heißt sie noch … Alison Moyet und ich auf der Bühne. Wir versuchten alle zusammen ,Let It Be‘ zu singen – und gegen Ende kamen sie alle auf die Bühne, wie eine Flutwelle. Ich wurde nach hinten gedrängt, Bowie und Freddie Mercury neben mir. (Townshend steht auf, um das folgende Gedrängsel zu demonstrieren). Die beiden kämpften sich ihren Weg nach vorne wie heiße Kater. Ellenbogen in meiner Magengrube – ach, das ist Bowie. Finger in meiner Nase – ach, das ist Freddie Mercury. Ein Bein im Kreuz – oh, das ist Paul McCartney.

Okay, wir alle sind im Showbusiness. Wie sonst käme soviel Geld zusammen! Man kann das eigentlich nur innerhalb dieses Zusammenhangs sehen – und dann fällt die Kritik wohl unter den Tisch. Aber dennoch: Wir sind wettbewerbssüchtig, Huren des Erfolges.“

ME/SOUNDS: Was hältst du nach 20 Jahren vom Musikgeschäft?

TOWNSHEND: „Nicht besonders viel. Man kann es nicht ernstnehmen. Musik ist nach wie vor eine wichtige Kunstform mit großem Potential, etwas, was einen wirklich hochbringen kann und außerdem – Hauptpunkt – enormen Spaß macht. Die Musikindustrie gibt uns die Möglichkeit, diesen Spaß miteinander zu teilen, uns wohlzufühlen.

Ich will auf keinen Fall als jemand enden, der weinerlich über die rauhen Geschäftsmethoden jammert. Jedes Geschäft hat seine guten und seine schlechten Seiten. Der Bonus in unserer Branche ist der, daß man das tun kann, was man will, und daß es obendrein noch relativ einfach ist.“

ME/SOUNDS: In fast jedem Land wird ein Großteil des nationalen Budgets für Rüstung ausgegeben. Glaubst du, daß die beiden Herren, die sich kürzlich in Genf getroffen haben, daran etwas ändern können?

TOWNSHEND: „Hm, heikle Frage. Ich kann das nur über Umwege beantworten. Es gibt viele kommunistische Ideen, die ich befürworte, und es gibt viele amerikanische Ideen, die mir gefallen. Aber obwohl ich große Loyalität gegenüber Amerika empfinde, basiert die dortige Friedensphilosophie anscheinend weitgehend auf Ignoranz und Mißtrauen. Wenn man sich überlegt, daß sowohl England als auch Deutschland, ganz besonders aber Rußland den Krieg aus allererster Hand erleben mußten, daß mehrere Millionen Menschen getötet wurden – und die meisten davon auf russischer Seite -, dann kann man nachvollziehen, wieviel konkreter ihr Denken bezüglich Krieg und Aufrüstung sein muß.“

ME/SOUNDS: Wie stehst du zu dem englischen Empire? Was erwartet England?

TOWNSHEND: „Unser Land ist extrem abgefuckt. Und es wird noch schlimmer werden. England ist nicht nur wissenschaftlich auf einem absteigenden Ast, viel schlimmer ist, daß man einen enormen Verlust an Würde, an Gefühl beklagen muß. Es fehlt uns mittlerweile an so etwas Altmodischem wie Nationalstolz, an dem Stolz, den man für seine Gesellschaft fühlen sollte.

Unser Stolz gründete jahrelang darauf, daß wir weltweit erfolgreich waren, daß wir ein Empire hatten, daß wir unterlegene Völker kontrollierten und ausbeuteten. Dieser Dünkel macht sich jetzt bemerkbar. Sicher gibt es auch ganz konkrete Gründe für den Wandel, den wir erleben: Computer, Maschinisierung. Aber die Hauptwurzel des Übels ist die, daß der Mensch verdammt schlecht dasteht.“

ME/SOUNDS: Was hältst du von den Bemühungen, leichte Drogen zu legalisieren ?

TOWNSHEND: „Dazu kann ich weder Gutes noch Schlechtes sagen. Ich glaube, es würde an der heutigen Situation wenig ändern.

Einige Leute können damit umgehen, andere nicht. Ich gehöre wohl zur letzten Gattung: Ich kann mit überhaupt keiner Droge umgehen. Ich würde sehr viel sicherer leben, wenn auch Alkohol illegal wäre. Aber deswegen kann man nicht sagen, Prohibition wäre das einzig Wahre.

Alles, was mir zu diesem Thema einfällt: Helft den Leuten, die süchtig sind und unter ihrer Drogenkrankheit leiden, in einem rein praktischen Sinne. Kein erhobener Zeigefinger, keine Moralpredigten, nichts. Sorgt für Aufklärung, helft den Süchtigen, egal was ihre Sucht verursacht. Okay, Heroin ist eine illegale Droge, aber – verdammt noch mal – das ganze britische Empire wurde auf den Verkauf von Opium gegründet.“

ME/SOUNDS: Eben sprachen wir über deine journalistische Tätigkeit für englische Magazine. Welche Zeitungen liest du selbst?

TOWNSHEND: „Oh, mein Gott – fast alles, was mir in die Finger fällt. Die Branchenzeitungen lese ich nicht besonders gern. Ich lese ´Face´,´Blitz´,´New Society´,´New Statesman´,´Tribune´,´Framework‘,´London Review Of Books‘, ´Time´,´Newsweek‘ – das einzige, was ich nicht mag, ist das ´People‘-Magazin, denn es interessiert mich einen feuchten Dreck, wieviel Liegestützen John Travolta allmorgendlich macht.“