Annie Lennox – Diva

Visuell war Annie Lennox bei den Eurythmics zwar immer eindeutiger Mittelpunkt, aber im Studio schwang Dave Stewart das Zepter. Sie durfte an den Songs mitschreiben und ihnen mit ihrer gewaltigen Bühnenpräsenz Leben einhauchen, doch die Platten machte er — ein etwas exzentrischeres Ike-und-Tina-Turner-Gespann, wenn man so will. Jetzt, das erste Mal auf sich selbst gestellt, liefert Annie eine höchst elegante Kollektion eigenen Materials ab, und der Erfolg ist so gut wie vorprogrammiert: fünf todsichere Chart-Kandidaten („Why“, ,Cold“, „Money Can’t Buy It“, „Precious“ und „Walking Glass“), vielleicht sogar mehr. Der energische Rock des letzten Eurythmics-Albums REVENGE ist glattem Soul der hellhäutigeren Machart gewichen, akzentuiert durch Synthesizer und Sequencer. Beim ersten Anhören wirken die Arrangements etwas konservativ — obwohl Trompeter Dave Defries von den Loose Tubes auf .Precious‘ eine annehmbare Miles-Davis-Imitation hinlegt und Annie in einer Possage von .Primitive“ der großen ägyptischen Sängerin Oum Kalsoum Tribut zollt — aber durch das eher stromlinienförmige Ambiente wird die Aufmerksamkeit voll auf Annies Stimme gelenkt, und die ist besser als je zuvor. Nur wenige weiße Sänger(innen) können sich an R&B heranwagen, ohne die eigene Identität aufzugeben, und mit DIVA verschafft sich Annie Zutritt zu diesem erlesenen Kreis. Der Titel ist nur ein Beisiel für eine angenehme Selbstironie, die sich durch das ganze Album zieht. Auf „Money Can’t Buy II“ beklagt sie sich beispielsweise, daß sie abends ihren Safe nicht mehr zukriegt: zu viele Diamanten. Die einzige Cover-Version, .Keep Young And Beautiful“, ist eine wunderbar schräge Neuauflage eines Hits aus den 30er Jahren, gesungen in einem Upper-Class-Akzenl und mit einem kaum merklichen Augenzwinkern, das den grotesken Sexismus des Originals wunderbar entlarvt.