Beastie Boys

Hello Nasty

EMI

Als großes, mächtiges Gewitter bricht dieses Album in die Hitze des Sommers: Wir haben lange auf HELLO NASTY erwartet. Und wir haben mitverfolgt, wie sich in den letzten Monaten etwas ganz Großes bei den Beastie Boys zusammenbraute – und dennoch ist HELLO NASTY eine große Überraschung geworden in seiner ungezügelten Urgewalt. Das Album ist ein Donnerhall, mit dem sich die Beastie Boys nach zweieinhalb Jahren wieder in die Musiklandschaft schieben – und sie werden einen Teufel tun, sich dort nur mit einem Tortenstückchen HipHop zufrieden zu geben. Die Beastie Boys wollen den ganzen Kuchen, not some of it, all of it. Nein, HELLO NASTY ist auch kein richtiges Album. Denn ein Album ist etwas fertiges, etwas geschlossenes. Dies hier ist ein großes, schwarzes Loch, das alles in seiner Umgebung schlucken will. Nein, besser: Dieses Album ist ein Babylon, ein Wohnblock im Herzen das Big Apple im Juli. Es ist schwül, alle Parteien haben die Fenster aufgerissen, die Stimmung ist schwelend, gereizt und drängt auf Entladung – Entladung durch Musik. Aus dem First Floor dröhnt unendlich phatter Oldschool HipHop, der Latino im Penthouse schlürft zum Bossa Nova seinen Caipi, der Jamaikaner ein Stockwerk weiter unten raucht sich zu seinen neuen Dubplates in den Feierabend, und irgendwo dazwischen dilettiert ein 16jähriger auf seinem neuen, alten Analog-Synthesizer. Genau so klingt HELLO NASTY – wie ein kranker, brodelnder urbaner Musiksud. Und irgendwie klingt HELLO NASTY dann doch wieder ganz anders. Wenn Adam Yauch sich beispielsweise bemüßigt fühlt, die Bossa-Ballade „I Don’t Know“zu singen.

Statt nur auf den unglaublichen Fundus von Adam Horovitz Sampling-Archiv zurückzugreifen (das mittlerweile so übersichtlich sein dürfte wie die Gänge des oben geschilderten Hochhauses), haben Ad Rock, MCA und Mike D ausgiebig gejammt und alles aufgenommen, dann die besten Stellen herausgeschnitten und so durch ihren Sample- und Mixwolf gedreht, daß niemand mehr wissen kann, wo oben, unten, links oder rechts ist. Auch geschulte Ohren können hier ursprünglich handgespieites von gesampletem, fremdem Material nicht mehr unterscheiden. Harmonie kommt trotzdem zu keiner Zeit auf: HELLO NASTY ist permanentes analoges Kratzen, Schaben und Fiepen, daß es eine reine Freude ist. Und HELLO NASTY ist ständiges Experimentieren – wie auch die abgedrehte Single „Intergalactic“, eine hybride Space Funk-Nummer mit Vocoder, die plötzlich einen Bruch bekommt. Da treffen Steel Drums auf Money Marks Orgel (die jedoch nur auf vier Stücken zu hören ist), wie bei Just A Test“. Die Rastlosigkeit ist ein hörbares Prinzip dieses Albums: Schließlich sind die Beastie Boys für HELLO NASTY zwischen nicht weniger als neun Locations (!) herumgestrolcht – zwischen Los Angeles und New York, zwischen Sean Lennons Loft und dem Haus von Mike D’s Bruder. Und wer viel reist, trifft ja bekanntlich auch viele interessante Leute: Dub-Altmeister Lee „Scratch“ Perry etwa, dem einmal ein genialer, diabolischer, und absolut dieses Album beschreibender Satz eingefallen ist: „It’s the beastly Boys. With their beastly toys“. Denn genau das sind die Beastie Boys noch immer, trotz eigener Firma und fortgeschrittenem Alter: Drei Rotzbengel, die mit diebischer Freude auf einen baldigen Einsturz Soundbausteine aufeinandertürmen.