Harmonia – Live 1974

Die frühen bis mittleren 70er-Jahre waren kein sehr erdnaher Bereich: Im Fernsehen erforschten gehörnte Schwebschiffe unendliche Weiten, die literarisch interessierte Jugend folgte der Menschheit in eine fremde Galaxis, wo sie infolge Strahlung lieblos wurde, auf dem Mond spielte man Golf und verschrottete Autos, und selbst die atomar verfeindeten Supermächte schraubten irgendwo da draußen ihre Raumschiffe zusammen und tätschelten sich die Köpfe. Die Rockmusik, zumindest die deutsche, wollte da nicht zurückstehen und bemühte sich nach Kräften um die Einswerdung mit kosmischen Schwingungen, vielleicht auch aus der Erkenntnis heraus, dass alle Versuche einer Anknüpfung an irdische Szenen von Ted Herold bis Frumpy kommerziell aussichtslos und künstlerisch unbefriedigend waren. Mit dem überkandidelten Brachialdilettantismus von Amon Düül (II) wiederum hatten Michael Rother, Dieter Moebius und Hans-Joachim Roedelius ebenso wenig am Hut wie mit der bartschuppigen Spontipädagogik von Ton Steine Scherben und Ihre Kinder vielleicht war das improvisierte, luftig melodierende, unaufdringlich pulsierende, hypnotische repetitive Fließen, das die drei Exmitglieder von Kraftwerk und Neu! bzw. Cluster gerne mit dem Rücken zum Publikum in Gang brachten (weniger zur Vermeidung popkonsumistischer Aufpeitschungs posen, sondern weil sie ihre Instrumente-neben ein paar Gitarren vor allem sperrige Elektronikkisten-kaum anders bedienen konnten), nicht einmal kosmisch gemeint, sondern so, wie Musik bestenfalls wirkt: Sie entspannt das Gehirn, hebt den Augenblick auf, erweiten den Erlebnishorizont und blendet sämtliche terroristischen Zumutungen des modernen Alltags effektiv aus- man schwebt und träumt und ist man selbst. Wäre das nicht so eine uraltdumme Phrase, könnte man von Bewusstseinserweiterung sprechen. Sprechen wir stattdessen schlicht von schönen Klängen, die dazumal nicht nur Brian Eno („die wichtigste Rockgruppe der Welt!“) und David Bowie begeisterten und prägten und heute lustigerweise eher noch neuer und futuristischer wirken als bei ihrer Entstehung am 23. März 1974.

www.michaelrother.de