Just Kids. Die Geschichte einer Freundschaft :: Brennende Bedürfnisse
Patti Smith war zwanzig, als sie in New York ankam. Man vergisst bei solchen archetypischen New Yorker Existenzen ja leicht, dass sie nicht als New Yorker Bohemekünstler auf die Welt kamen. Patti Smiths Leben davor endete also im Juli 1967, sie hatte ein Kind geboren und weggegeben, das Studium abgebrochen und beschlossen, Künstlerin zu werden. Das ging nicht gut in New Jersey. Das für die Busfahrt nach New York fehlende Geld findet sie in einer Telefonzelle: „Ich betrachtete das Stipendium aus der kleinen weißen Geldbörse als Fingerzeig des Schicksals, dass ich meinen Weg gehen sollte.“
Wer auch nur im Entferntesten mit Werk und Persönlichkeit der Patti Smith vertraut ist, wird es nicht erstaunlich finden, dass in ihrer Autobiografie der Jahre 1967 bis 1978 viel von Schicksal die Rede ist, von Vorhersehung, von kleinen mythischen Gegenständen und großen Schutzheiligen. Doch wem die Künstlerin Patti Smith – deren ewiger claim to fame ja nicht weniger ist, als Poesie und Rock vermählt zu haben – zu exzentrisch, zu prätentiös ist, sollte dieses Buch trotzdem nicht links liegen lassen. Denn erstens kann man ja schon schicksalsgläubig werden, wenn der erste Mensch, der einem als Provinzlerin in New York hilft, sich später als Robert Mapplethorpe herausstellt und erst zum Liebhaber und dann zum treuen Freund wird. Gegenseitig unterstützen sich beide auf ihrem langen und an Umwegen reichen Pfad zum künstlerischen Ruhm – den Mapplethorpe als grandioser Fotograf erntet, unter anderem mit spektakulären S/M-Motiven.
Diese Geschichte – und hier kommt zweitens – erzählt Patti Smith auf wirklich wunderschöne Weise. Als Robert Mapplethorpe Aids bekommen hatte und 1989 im Sterben lag, versprach ihm Smith, ihre gemeinsame Geschichte eines Tages aufzuschreiben. Deshalb liegt ein Hauch von Trauer in ihren Worten, aber auch ein gewisses Pathos: „Warum kann ich nicht etwas schreiben, das die Toten zum Leben erweckt? Das ist mir das brennendste Bedürfnis.“
Die beiden wurden bald nach ihrer Zufallsbegegnung ein Liebespaar – Mapplethorpes streng katholischen Eltern gegenüber behaupteten sie gar, verheiratet zu sein – doch auch als Mapplethorpe immer klarer seine homosexuelle Veranlagung akzeptierte und auslebte, blieben sie beieinander, wohnten und arbeiteten in benachbarten Ateliers, kritisierten und ermutigten einander: „Niemand sieht, wie wir sehen, Patti“, sagt Mapplethorpe einmal. Als er noch mit Collagen arbeitet, rät ihm Smith dazu, selbst zu fotografieren. Als sie noch zeichnet und Gedichte schreibt, rät ihr Mapplethorpe, zu singen. Mapplethorpes Porträtfoto von Smith für das Plattencover ihres Debütalbums „Horses“ ist der gemeinsame Endpunkt von Jahren der Suche. „Wenn ich das Foto heute betrachte, sehe ich nie mich“, schreibt Patti Smith: „Ich sehe uns.“
Ganz am Anfang ihrer gemeinsamen Zeit werden die beiden am Washington Square von einem älteren Paar beobachtet. Die Frau möchte ein Foto machen, das seien wohl Künstler. „Ach Unsinn“, antwortet ihr Mann. „Das sind Kids wie alle anderen.“ Diese Episode, die dem Buch seinen Titel gibt, zeigt: So besonders die beiden sind, so sind sie im New York Ende der sechziger und Anfang der siebziger Jahre auch einfach Teil einer überragend spannenden Epoche. In der Lobby des Chelsea Hotel oder im Hinterzimmer von Max’s Kansas City erlebt Smith Anekdoten mit Allen Ginsberg oder Janis Joplin. Außer der Geschichte einer Freundschaft und zweier Künstlerkarrieren ist „Just Kids“ also zum Dritten auch ein mal anrührendes, mal amüsantes Stück Sozialgeschichte. Ein herausragendes Buch.
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