Liedermacher
Als sich Wolf Biermann im letzte Jahr die Freiheit nahm, eine neue LP mit dem dennoch optimistischen Titel WIR MÜSSEN VOR HOFFNUNG VERRUCKT SEIN (EMI IC 064-46 663) zu veröffentlichen, nahm sich der Musikredakteur einer Hifi-Zeitschrift die Freiheit, bei einem Mitarbeiter keine Rezension, nein, gleich einen Verriß zu bestellen.
Was heißt: Biermann bleibt auch im tantiemensicheren Westen für manche em unsicherer Kandidat und das ist gut so. wie das Album beweist. Da er längst zu seinem Personalstil gefunden hat, wird sich niemand mehr über sein zuweilen brachialisches Gitarrenspiel und die ausdrucksstarke, unverkennbare Stimme wundern.
Neu sind manche Themen, die Erlebnisse und Innenwelt des Pendlers zwischen Paris und Hamburg -Maifete da, Segeltörn hier – beschreiben, interessant seine Version eines Aragon-Liebestextes, überraschend (für manche) ein blanker Bibeltext. Wülkommenslieder für seine Kinder und daneben „Arbeitslos -Schöner Mai in Duisburg“, „Die Spatzen vom Wachtel-Hügel“ scheinbar beziehungslos neben dem Traktat „Von den Menschen“ (frei nach Alexander Pope), in dem so viel Lebens-Erfahrung, -Weisheit und -Einsicht steckt, daß der, der Biermann immer noch nur als Roten sieht, seine Blindheit in Weißwein ertränken sollte.
Je nach Sichtweise vielseitig oder stilistisch inhomogen präsentiert Heinz Rudolf Kunze mit DER SCHWERE MUT(WEA24.0058-1) sein drittes Album. Vom Aushängeschild des wackeligen Nachwuchswettbewerbes der Phono-Akademie direkt zum Medienliebling avanciert – für den „Stern“ galt er als Der Niedermacher. „Der Spiegel“ strapazierte ihn als Randy Newman-Porträtist, bewegt sich der 26jährige musikalisch weniger zielstrebig. Während er die Neue Deutsche Welle als „Ölpest der Tonkunst“ degradiert, strapaziert er zugleich in zwei Titeln die modischen Pucker-Rhythmen und läßt sich in „Keine Angst“ gar zu einem „Oh-Oh“ hinreißen, das besser in den Sternenhimmel eines anderen mit K. paßt.
Ob bittere (Industne-)Kritik wie in „Geht das nicht alles noch’n bißchen schneller“ wirklich in schlagernahem Arrangement am wirksamsten, weil eingängigsten ist, daruoer ließe sich trefflich streiten.
Unbestritten gelungen sind Parodie des carpe diem als indischer Modekrankheit („Willkommen in meiner Lagune“) inklusive Hawaii-Gitarre, die auch musikalisch adäquate Beschreibung innerlicher Null-Lösungen im Titelstück und, für mich das überragende Stück, die verhaltene Beschreibung von Umwelt und Mitmenschen im „7. Juli vormittags“. Wer ein Pendant zu Degenhardts „Deutschen Sonntag“ aus den 70er Jahren sucht, hier ist es endlich. Und Kunze bleibt eines der aussichtsreichsten Talente der aktuellen Szene, dem kommende Lebenserfahrungen auch eines Tages philosophische Rundschläge in Liedform gelingen lassen werden.
Sicherlich ist es reine Spekulation, daß sich der Ex-Maffay-Manager Conrad und der Österreicher Rainhard Fendrich zu einem Zeitpunkt zusammentaten, als Conrad noch hinter den Kulissen der Medien „mmmste Fendnch, kriegste Maffay“ spielen konnte. Doch auch ohne die branchenüblichen Winkelzüge wird sich Fendnch mit ZWISCHEN EINS UND VIER (Nature 60.56B) durchsetzen, weil musikalischer Rahmen, Themen und Typ zusammenpassen. Er kommt ohne sprachliche Ausrutscher durch zigmal angebotene Themen wie „Alter Mann in Klinik“ und „Mutter Erde stirbt“, die er wie andere nicht minder ernste Themen mit viel Einführungsvermögen und musikantischer Finesse (dank Christian Kolonovits) behandelt.
Drei Ventile erlaubt er sich aus der wohligen Verhaltsamkeit dieser LP: die hitlisten-geprüften „Oben ohne“, „Es lebe der Sport“ (möcht ich mal im ZDF-Sportstudio hören) und die punktgenaue Karikatur der „Feinen Damen“ im immergrünen Tangotakt.
Wenn Erich Virch „ein Newcomer gewiß“ ist, wie ihn seine Promotionleute ankündigen dann ist der „Playboy“ eine Schülerzeitschrift. Der Wahl-Lübecker mit sauerländischem Zungenschlag mag wenig bekannt sein, doch das ist auch des Publikums Schaden. Wer so gekonnt locker mit dem ALLTAGSWAHNSINN (RCA PL 28515) umzugehen vermag, beherrscht Sprachkniffe, Saitengriffe und kann souverän auf aktuelle Themenriffe zusteuern.
Der klingende Bilderbogen, zuweilen mit dem bereits durch Thommie Bayer bekannt gewordenen Texter Bernhard Lassahn und einer exzellenten Crew von Studiomusikern montiert, enthält die Blitzlichtaufnahme unseres Landes („Guten Morgen“, bestimmt nie in den ARD-Frühsendungen) ebenso wie ein Röntgenbild heutiger Sprachverbieger („Alles Blödsinn“) und die Persiflage des Kunstmarkt-Rummels („Aktion Galerie Coyote“). Virchs „Frauen als Gurke“ leistet für die Frauenbewegung mehr als jede Kreuzung von „Schneewittchen“ und Ina Deter, sein „Voll Stoff Null“ über die Life total-Kreuzzügler setzt den „Einsamen Wolf der ersten LP typologisch fort, und in der regenbogengepreßten Geschichte „Prinzen, Sterne und Ekzeme“ tragen „Rex Gildo und ein gestrickter Osterhase die Schleppe“ für die Hochzeit von Professor Grzimek und Vico Tornam…
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