Liedermacher


Vieles von dem, was und vor allem wie es hierzulande passiert, ist mehr vom alten Preußen geprägt als manche glauben. Diesen notwendigen Spiegel der eigenen Geschichte hält uns Christof Stählin mit seinem Album SCHNEELUFT IM TREIBHAUS vor, einer Auftragsarbeit für die 81 er Berliner Festspiele zum sogenannten Preußen-Jahr. Um es kurz zu sagen: Es ist eine der wichtigsten LPs der letzten Zeit und die Mühe des Besorgens wert (über: Nomen + Omen, Gartenstr. 13, 7400 Tübingen).

Wenn die (Mikrochip-)Zukunft im Pazifik liegt, so lagert unsere (gehorsame) Gegenwart im Keller der Historie. Das mit einfachen Mitteln (Stimme solo zur Gitarre, Gedichte mit und ohne Ton) klarzumachen, ist Stählin faktenreich und humorvoll für all jene gelungen, die noch zuhören können.

Musikalische Spurensicherung hat das Folkduo Zupfgeigenhansel schon immer, betrieben, doch mit KEIN SCHÖNER LAND (EMI/ Musikant) ist es Thomas Friz und Erich Schmeckenbecher besser als je zuvor geglückt, Gestern und Heute zu verbinden. Das liegt musikalisch auch an der Hilfe durch Mic Oechsner (viol) und den in Jazzkreisen renommierten Sigi Busch (b), textlich vor allem an den vier ironisch-treffenden Texten Dieter Süverkrüps. Prägnant seine deutsche Biographie in der „Lindenballade“, täglich beobachtbar sein „Lügenlied“ aus Deutsch-Münchhausen. Und wer bisher Erich Weinert nicht kannte, höre sich mal seinen „Gesang der Edellatscher“ an, der nach 50 Jahren immer noch aktuell ist.

Österreichs meistgehaßter Liedermacher heißt Sigi Maron, der sich für sein neues Album MISS SALZBURG (Pläne) mit kompromißlosen Rocktönen made in London versorgte. Während seine prominenteren Austro-Kollegen den süßen Hitparadenhonig schlürfen, spuckt er Sachertorte, die durchaus auch Schwarzwälder Kirschkuchen sein könnte. Denn unglaubwürdige Politiker, verachtete Ausländer, ausgebeutete Frauen, Doppelmorqlisten und enttäuschte Dreamgirls (das Titelstück ist eine gelungene Übertragung von Kevin Coynes „little Miss Portobello“) hats auch; bei uns genug.

Neu auf dem deutschen Plattenmarkt ist die Finnin Arja Saijonnaa, die sich für ihre LP ES IST ZEIT; (RCA) einfach Arja nennt. Mit Natale Massara stand ihr Milvas Arrangeur, mit Otto Draeger der Produ- i zent der zweiten deutschsprachigen LP der Italienerin zur Seite -; und stimmliche Parallelen sind beim, ersten Hören unverkennbar. Arjas Theodorakis-Interpretationen haben weniger große Gesten als die Milvas, und mit den gelungenen Brei-Versionen und Songs von: Pete Seeger und Mort Shuman gewinnt die blonde Sängerin eigenes Profil. Verzichtet man in Zukunft auf den Zwang zum Zeig-mal-was-dualles-kannst (diesmal in einer Roten : Armeechor-Schnuize und in „Don-; na Nobis Pacem“ als dem Pflicht- j bißchen-Frieden einer Chanson-LP), dann wird auch für Arja genü-: gend Platz außerhalb der deutschen Schlagerparaden sein.

Die wichtigste Wiederveröffentlichung des Spätherbstes liegt als Liederbuch Wolf Biermann (Polydor) vor. Zwar verzichtete man auf die früher liebevolle Ausstattung der Doppelalben-Serie, aber beim Wolf, der beiderseits der Elbe beißt, waren hübsche Schnörkel eh kaum angesagt. Für alle Biermann-Nachholer und -Neufans: Seine ersten beiden LPs von 1974 und 1975, WARTE NICHT AUF BESSRE ZEITEN und die legendäre CHAUS-SEESTRASSE 131, zu kennen, schadet nur dem, der alles weiß, ohne etwas zu wissen…