Manie Street Preachers – Everything Must Go – 10th Anniversary Edition

„Hier“, schrieb ein junger Popkritiker 1996,“.ist das wichtigste Album dieses Jahres „.und damit meinte er sich enorm weit aus dem Fenster zu lehnen. Im Rückblick können wir sein Urteil prüfen: Dass das Album in/aus einer Situation entstand, wie sie keine Band je erlebt hat, weiß heute jeder Grundschüler in der hinteren Mongolei; wichtig ist, was man draus macht. Zunächst erstaunt, wie modern das Album klingt und dann Schluss mit der Nüchternheit: Die Songs, die sich mit Richey Edwards‘ Verschwinden (und der Zeit davor) auseinandersetzen, haben nicht ein Prozent ihrer kathartischen, befreienden, mitreißenden Wirkung verloren. Weltüberdruss, Verzweiflung, absolute Sehnsucht nach Leere, Stille, Nichts, die aus „Enola/Alone“,“.Australia“, „No Surface All Feeting“ und dem Titelsong sprechen, treffen so sehr auf den Punkt, dass jedes weitere Wort zu viel wäre. Wahrscheinlich lassen sich damit sogar Wohnungen entrümpeln: Lautstärke zehn. Fenster auf, schon ist alles blitzblank. Das ist eine Seite des Albums; eine zweite begann, als Nicky Wire den Text zu „A Design For Life“ schrieb. Monatelang hatte die Band gegrübelt, ob sie weitermachen sollte – auch wegen der fundamentalen Frage, was sie überhaupt noch zu sagen hätte, nachdemTHE holy bible grandios gefloppt war und die Britpop-Sturmflut das Land überschwemmte. In deren Titten-Fußball-Bier-Hedonismus fand er seinen Punkt: Eine neue Regierung, eine neue Partei (die auch so hieß:“.New“ Labour) war angetreten, um der britischen Arbeiterklasse den Rest von Partizipation und Würde zu nehmen, der ihr noch verblieben war. Und die? Grölte“.Cigarettes & Alcohol“, glotzte Pornos und kotzte in die eigenen Rabatten. „A Design For Life“ fasst dieses Elend in ein paar Zeilen – lakonisch, poetisch und paradoxerweise im Mantel einer Hymne, die zur nationalen taugen würde. Noel Gallagher holte die Manics ins Vorprogramm im Stadion an der Maine Road, wo dann zehntausende Bierbäuche in einer pervers-ironischen Posse sich selbst kommentierten: ,We don’t tatk obout love / We only wanna get drunk“ (und den Song für die erste Single einer neuen Band hielten]. Die dritte Seite: Richey Manics Hinterlassenschaft. Songs u.a. über den Fotografen Kevin Carter und den alzheimerkranken Maler Willem de Kooning. so tief empathisch, dass man glauben könnte, er habe versucht, sich in die beiden zu verwandeln – erfolgreich. Die Simplifizierung, die orkanartige Entladung sind hier ins Gegenteil verkehrt, mit gleichem Resultat: „Kevin Carter“ etwa sprüht vor Songwnting-Raffinesse, und wenn Drummer Sean Moore zur Trompete greift, lächelt im Hintergrund Burt Bacharach. Dennoch klingt das alles leicht, fast schwerelos, lichtdurchflutet. Was ist everything must go, zehn Jahre später? Ein Meisterwerk, geschlossen und monolithisch perfekt; dabei aber eine Fundgrube lyrischer und musikalischer Kleinigkeiten. Ein Allheilmittel für Seelenqualen. Eine vorbildliche“.Klassikerausgabe“ samt Liveaufnahmen, Demos, Videos, Interviews etc. etc. Und nach wie vor aktuell und „relevant“, zumal in Zeiten, da sich eine neue Generation entfremdeter „Hedonisten “ von Kirmeskapellen wie den Kaiser Chiefs die Zeit stehlen lässt.

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