Paul McCartney & Wings – Wings Over America
Daß Paul McCartney Mitschnitte seiner jüngsten Welttournee als Platte herausbringen würde, war so sicher wie das Amen in der Kirche. Zu groß war der Jubel in Amerika und in Europa über das Bündel von alten Beatles-Songs im Wings-Repertoire, als daß der alte Fuchs sich solch ein Geschäft hätte entgehen lassen. Der Ausverkauf der sechziger Jahre, den Plattenfirmen und leider auch allzu viele Musiker derzeit mit Macht betreiben, wild durch dieses Triple-Album mit seinen insgesamt 29 Titeln weiter angeheizt; Paul McCartney und Anhang können allerdings für sich in Anspruch nehmen, daß sie das musikalische Erbe kunstvoll geordnet und attraktiv verpackt an den Mann bringen.
„Wings Over America“ wurde, der Titel sagt es, in den USA aufgenommen; welche Konzerte für die LP-Zusammenstellung ausgewählt wurden, verschweigt die Plattenhülle leider. Populäre Wings-Titel sind fast vollständig auf den sechs Plattenseiten vertreten; wer die Band 1976 nicht live sehen konnte, wird spätestens hier merken, daß sich Weichmacher Paul zu einem flotten Rock-Entertainer gemausert und inzwischen – von Ehefrau Linda mal abgesehen – erstklassige Musiker hinter sich hat (Denny Laine, Gitarre und Piano; Jimmy McCulloch, Gitarre; Joe English, Drums; hinzu kommen noch vier Bläser), Nicht die überraschend elektrisierende Interpretation von Hits wie „Band On The Run“, „Live And Let Die“ oder „Silly Love Songs“ aber war die Sensation der Tournee; alle Welt sprach vielmehr von den fünf Lennon/McCartney-Kompositionen, die Paul, der Ex-Beatle, wieder auf die Bühnen brachte. Auf der LP sind sie nun alle vertreten: „Lady Madonna“, „Long And Winding Road“, „I’ve Just Seen A Face“, „Blackbird“ und „Yesterday“. Zwischen solche Höhepunkte eingeschmuggelt hat die Band noch zwei weitere Leckerbissen. So taucht auf der dritten Plattenseite, die den vorwiegend von akustischen Gitarren getragenen ruhigsten Teil des Konzertes enthält, die Paul Simon-Komposition „Richard Cory“ auf. Und als kleine Verbeugung vor ihrem Gitarristen Denny Laine, der früher zu den Moody Blues gehörte, spielten Wings „Go Now“, jenen ersten Tophit der Moody Blues, der im Januar 1965 in die britischen Charts sprang.
„Wings Over America“ ist ein Live-Album, aber keins mit zündender Konzertatmosphäre – dies ist wohl der größte Makel dieser Platte. Die Begeisterung des Publikums wurde ziemlich undifferenziert in den Hintergrund gemischt, und die gute Laune, die Paul durch seine witzigen, deutschsprachigen Ansagen in Wien verbreitete, fehlt auf dem US-Mitschnitt ohnehin. Dafür ist das – oben abgebildete – Innencover des Albums eine wahre Augenweide. Drei heroische Gestalten unter Laserstrahlen, daneben Linda, die Oberpriesterin, und Paul, der schöne und göttliche, dem nur eins noch fehlt – der Heiligenschein. That’s rock’n’roll, oder etwa doch nicht?