Roger Daltrey – One Of The Boys

Durch die Liste der mitwirken-den Gitarristen (Hank Marvin, Jimmy McCulloch, Eric Clapton, Andy Fairweather-Low, Mick Ronson und Paul Keogh) gerät man leicht auf den Holzweg, anzunehmen, Daltrey’s dritte Solo-Scheibe fiele durch heißblütiges Saitenspiel auf. Bis auf den Titelsong „One Of The Boys“ konzentrierte er sich jedoch konsequent auf Balladen und leichtere Songs. Er braucht dies offenbar als gesunden Ausgleich für seine Arbeit mit den Who, aber brauchen seine Fans das auch? Es ist sehr schwer, sich in diese LP hineinzuhören. Ich mußte sie etwa fünfmal auflegen, um festzustellen, daß dies eigentlich eine Sammlung von ganz hübschen Songs ist, obwohl sich eine gewisse Zähflüssigkeit nicht leugnen läßt.

Qualitativ ist nichts auszusetzen, immerhin waren hier Profis am Werk, die mit Rücksicht auf das Gesamtkonzept auf persönliche Akzente verzichteten.

„Leon“, eine Ballade von Philip Goodhand-Tait, fand ich nicht nur wegen der warmen Gitarren-Akkorde von Hank Marvin auf Anhieb gut, sondern in erster Linie wegen der Story. Leon ist einer von denen, die es nicht geschafft haben, die man backstage freundlich begrüßt, ein wenig bedauert und zu ihrer Beerdigung vom Hotel aus telefonisch Blumem ordert. Völlig aus dem Rahmen fällt der Titelsong: „One Of The Boys“ (Von Steve Gibbons), ein aggressiver, fast ungeschliffener Rock-Titel über einen, der den Hammer fallen ließ und sogar noch weiter spuckt als jeder Punk. Auch die Mehrzahl der anderen Song-Texte ist erstaunlich gut. Diese Stories und Episoden überzeugen mich stärker als die musikalische Form.

Und wer im Plattengeschäft nur Gelegenheit hat, mal eben kurz in die LP reinzuhören, wird sie eventuell mit dem Kommentar „langweilig“ wieder ins Regal stellen. Wer bereitwillig und in aller Ruhe zuhören will und kann, wird sich aber vielleicht damit anfreunden.