Stranglers – Live

Aufgrund der grassierenden Welle an Live-LPs ist wohl mal ein ernstes Wort fällig. Nun denn: Über die Hälfte dieser Produkte ist überflüssig. Denn eine Live-LP ist ja die Absurdität an sich, weil ein lebendiges Konzert mit all seinen akustischen, visuellen und sozialen Aspekten per Platte auf minimale Eindrücke reduziert wird – man hört einen Teil des Konzertes, aber sieht nichts und erlebt nichts. Live-Alben jener Bands, die optisch einiges bringen, sind daher problematisch: etwa Jethro Tull’s „Bursting Out“, wahrscheinlich auch die kommende Queen-Live-LP. Andererseits gibt’s Bands, bei denen Dabeisein alles ist: alle Status Quo-Platten sind ein Nichts gegen die mitreißende Atmosphäre der Auftritte dieser Band – eine Platte kann das nie ‚rüberbringen.

Berechtigung besitzen Live-Alben da, wo sie konkrete Zwecke erfüllen: Zum Beispiel als Quasi-Greatest-Hits-Platte nach Art von „Yessongs“; oder „One Live Badger“; oder als Momentaufnahme (und daher in einem Stück mitgeschnitten) eines gelungenen Abends, an dem Publikum und Musiker spontan reagieren (daher die technisch zwar durchweg schwache, aber inhaltlich oft glänzende Qualität von Bootlegs). Fast immer enstanden wirklich gute Live-LPs in kleineren Clubs – siehe Spontanität – und höchst selten in größeren Hallen. Die hier vorliegenden Live-Platten bestätigen alles bisher Geschriebene.

Da sind zunächst die Stranglers, einerseits die kommerziell erfolgreichste New Wave-Band, andererseits als Doors-Imitatoren und Salon-Punks verschrien. Drei wunderbare Studio-Alben haben sie bis jetzt abgeliefert (wenngleich mit fragwürdigen Texten), aber selbst eingefleischte Stranglers-Fans haben nach der dritten LP den Wunsch geäußert, die Jungs sollten mal allmählich etwas Neues bringen,nicht immer die Chose mit den Macho-Texten, der jammernden Orgel, dem einfältigen Schlagzeug und dem nach vorn abgemischten, agressiven Baß. „Das hier (die Live-Songs) war alles das Zeug von 1977, und ihr nächstes Album sollte wirklich sehr anders klingen“, schrieb Susan Hill im Melody Maker über „Live (X CERT)“ – womit Ms Hill den Nagel sehr milde auf den Kopf getroffen hat. Wem die drei Stranglers-Studioalben zu teuer sind, kann mit „Live (X CERT)“ einen Querschnitt billiger erwerben, ansonsten ist die LP zu nichts nutze.

Bei Cheap Trick liegt der Haken woanders: Die in Japan aufgenommene Platte entstand vor Veröffentlichung der zweiten Platte „In Color“ – also bekanntes Zeug, das angesichts der sehr frisch wirkenden Studio-Songs der Band live kaum lebendiger, sondern höchstens verwaschener klingt. Gegenüber den mitreißenden regulären Alben „In Color“ und ,,Heaven Tonight“ wirkt die Budokan-Platte echt müde, und das offenbar enthusiastische Publikum beweist haargenau, daß im Konzert wohl erheblich mehr losging als dies per Platte im Wohnzimmer reproduzierbar ist.

Lindisfarne schließlich bieten mit „Magic In The Air“ noch das annehmbarste Beispiel einer Live-Produktion: Per Doppel-LP zelebriert die reformierte Band ihre Zückerchen von „Meet Me On The Corner“ über „Lady Eleanor“ bis zu „Fog On The Tyne“. Warum aber live, wenn dieBand beinah studiogemäß nach vorn abgemixt und das Publikum völlig in den Hintergrund gedrängt wurde? Daß was los war in der City Hall von Newcastle, kann man an einigen kurzen Einschoben bemerken – wohl aber weniger aufgrund von Lindisfarne’s Leistung, sondern vielmehr wegen der Tatsache, daß die Aufnahmen zu Weihnachten 1977 (!) entstanden sind, und man weiß, daß die Engländer dieses Fest unkirchlich feucht-fröhlich zu feiern wissen. Die fünf Lindisfarnes wirken drei Plattenseiten lang durchweg ausgelaugt, in ihrer Blues-Sektion sogar inkompetent, und nur auf Seite 4 geht’s höher her: Ray Jackson bläst ein lustiges Mundharmonika-Solo (u.a. mit „Das Wandern ist des Müllers Lust“), und erst hier scheint die Band aufzuwachen, was dann immerhin eine starke Version von „Clear White Light“ abgibt. Nur: Muß man dafür eine ganzes Live-Doppelalbum veröffentlichen? 2 (alle)