Taylor Swift
THE LIFE OF A SHOWGIRL
Republic Records (VÖ: 3.10.)
Swift schreibt nach eigenen Angaben symbolisch mit „Füller, Glitzerkuli oder Federkiel“. Das hört man auch auf dem neuen Album wieder heraus.
Schon wieder? Schon gut!
Als Taylor Swift vor einigen Wochen in einem Podcast, in dem sie zusammen mit ihren Verlobten Travis Kelce zu Gast war, droppte, dass demnächst ein neues Album, nur ein Jahr nach THE TORTURED POETS DEPARTMENT erscheinen würde, wunderte das einerseits niemanden, war man doch bereits an eine gewisse Veröffentlichungsdichte des Megastars gewöhnt. Andererseits lag sofort Spannung in der Luft. Wann kommt das Album genau? Was jetzt? Wohin geht es thematisch? Welche Erzählperspektive wird sie diesmal einnehmen? LIFE OF A SHOWGIRL. Ja, zu diesem Thema, so mutmaßte man schnell, sollte die Vielgerühmte ja wohl ausreichend viel zu berichten haben. Denn: „Show“ und „Girl“, oder nicht? Soviel vorweg- so eindimensional ist das neue Album nicht.
Offensichtlich hatte Swift während ihrer Eras-Tour, die Zeit gefunden, über Zustände und Ereignisse im persönlichen Bereich zu reflektieren. Aber, dichten im Flieger, hinter Bühnen, in Hotelzimmern? So „klein“ sollte man sich die Situationen auf Tour wohl nicht zurecht denken, muss sich der bekannteste Mensch der Welt ja schon lange nicht mehr mit Normalitäten des Unterwegsseins auseinandersetzen. Nicht mit Kofferpacken, Kostümpflege oder Tour-Ridern. Diese Zeiträuber fallen weg, warum dann nicht die Lücken nutzen, um direkt und vor Ort Kreativenergie und Adrenalineinschüsse mitzunehmen?
Oder, in Taylors Fall, die „silberglitzernde Wolke“, die Idee also, die immer ganz plötzlich vor ihrem Kopf zu schweben pflegt, einzufangen? (Im Privatjet zum Beispiel, mit dem sie, oft kritisiert, auch zurecht, wie ich finde, selbst kürzeste Strecken zurückzulegt). Schöner, erhabener Ehrgeiz, eine solide Haltung zur Kunst, ergebnisoffenes aber doch konzentriertes Schreiben. Swift ist sortiert und gleichzeitig energetisch unterwegs. Schlendrian ist nicht. Warum auch? Es wird immer, immer weitergemacht mit ALLEM. Swift liebt nämlich das Geschäftsleben genauso sehr, wie ihre Kunst, verschwendet ihre Zeit nicht. Alle Felder werden bespielt. Es mag einigen vermutlich fremd sein, businessromantisch UND lyrisch veranlagt zu sein, respektieren sollten sie es trotzdem und gerade deshalb.
Cause if I was a man then I’d be the man
Als sich der Kulturwissenschaftler und Lehrende an der Universität Bamberg, Prof. Dr. Jörn Glasenapp, im letzten Jahr aus seiner persönlichen Fanperspektive heraus daran machte, in Form eines Vortrags („Taylor Swift und die alten weißen Männer“) den Blick älterer, männlicher Musiker das „Phänomen“ Swift zu analysieren, seufzten viele, auch ich, erleichtert auf.
In den Jahren zuvor hatte man, auch Nicht-Swifties übrigens, immer wieder den Eindruck gewonnen, dass die Fassungslosigkeit mancher ihrer männlichen Kollegen, mit der diese den Erfolg und den Ruhm Swifts hatten hinnehmen müssen, immer mal wieder in „vergiftetes Lob“, wie Glasenapp es nennt, umschlug. Aufzuhalten, „runterzuloben“ war sie ab einem gewissen Punkt eben ganz klar nicht mehr. Und als mit FOLKLORE während der Pandemie nun ausgerechnet auch noch ein echtes Kritikerlieblingsalbum erschienen war und im selben Jahr sogar noch ein zweites, EVERMORE nämlich, gingen viele von ihnen endgültig steil.
Nicht genug (fast hatte man es schon erfolgreich verdrängt), dass Kanye West sich einst erdreistete, darüber zu urteilen, wer einen VMA zu erhalten habe und wer nicht (Gewinner-Swift nämlich angeblich nicht, beinahe kam es, nach der heftigen Wegnahme ihres Mikros während ihrer Dankesrede, auch noch zur Trophäenentreißung auf offener Bühne) sondern auch andere alte (nicht nur weiße) Männer meinten, sich äußern zu müssen. Aggressive Neid-Erektion. Angst, vor dem eigenen Bedeutungsverlust, der sich bei manchen, von ihnen selbst unbemerkt, längst vollzogen hatte.
Swift: das größte Pop-Missverständnis seit Elton John?
Blurs Damon Albarn behauptete z.B., Swift würde nicht selber texten und schreiben (von ihr direkt darauf angesprochen, in Form eines Insta-Posts, musste er diese Aussage zurücknehmen). Blumfelds Jochen Distelmeyer schrieb im deutschen „Rolling Stone“ von Swifts „kometenhaftem Aufstieg“, der also sozusagen ohne Grund und aus dem Nichts heraus passiert sei (Glasenapp legte, nach Lektüre des Artikels, dar, dass vor der Eras-Tour bereits 18 erfolgreiche Jahre hinter der Künstlerin lagen. Der Komet musste also sehr, sehr langsam aufgestiegen sein …). Und von „unschönem Ehrgeiz“ der „unverfroren talentlosen“ Musikerinnen, die wohl eher inhaltsleere Worthülsen statt echter Gefühle zu transportieren in der Lage seien. Swift sei „das größte Pop-Missverständnis seit Elton John“.
Glasenapp bezeichnet Distelmeyer und alle ähnlich argumentierenden Kritiker, als „ardonitische Checker“. Ardonitisch unter anderem deswegen, weil ihnen, wie auch Theodor W. Adorno „der verächtliche Blick auf Musikliebhaber populärer Musik“ gemein sei. Hier wird halt Bubblegum und Oberfläche unterstellt, obwohl ein zweiter Blick auf diese Musik, ihre textliche Qualität und Dichte, sich auch dann lohnen würde, wenn man sich persönlich lieber schweres Vinyl mit etwas anderem drauf unter die Nadel legt.
Ryan Adams machte sich sogar daran, das Album 1989 durchzucovern, um hier und da etwas hinzuzufügen, gar zu „verbessern“. Das hatte er vorher auch schon getan, aber bei Swift bekam das Unterfangen dann doch ein Geschmäckle. „Sidewriting“ nannte Adams das und trieb dem Album sogleich alles Pophafte, Leichte aus, machte es zu einem öden Indie-Werk männlichen Zuschnitts. Wegen hoher Kunst und so. Ein väterlicher Zurichtungs-Move, der so gar nicht herbeigesehnt wurde, außer vielleicht von jenen, die die sexuellen Übergriffe, derer Adams immer wieder bezichtigt wurde, wegignorieren konnten …
Dave Grohl, Schlagwerker der Foo Fighters ließ sich sogar während eines Konzertes seiner Band zu Folgendem herab: „Wir nennen unsere Tour die ›Errors Tour‹, weil ich das Gefühl habe, dass wir mehr als nur ein paar Eras hatten und auch mehr als nur ein paar verdammte Fehler. Nur ein paar. Das liegt daran, dass wir tatsächlich live spielen“. Handgemachte Musik von kernigen Testosteronies dargeboten, ist halt immer noch der wahre Jakob. Denkt Dave. Swift äußert sich in der Folge am Schluss ihres nächsten Konzertes im Wembley Stadion folgendermaßen: „Danke an jedes einzelne Mitglied meiner Band, jedes einzelne Mitglied unserer Crew, meine Band, die heute Abend 3,5 Stunden lang live für euch spielen wird, sie haben das so sehr verdient.“
Cause it’s actually sweet all the time you’ve spent on me
Sie alle, und viele andere mehr, bedienten munter jenen misogynen Zungenschlag, der immer schon verhindern sollte, dass womöglich Überholspuren auf der weiblichen Seite der Autobahn genutzt werden. Dabei wird ja niemandem etwas weggenommen, wenn man selbst immer wieder Großartiges abliefert, sich selbst an den Start bringt. Aber vorher macht es Sinn, einzusehen, dass es mittlerweile cringe ist, junge Frauen als reine Dekoelemente in Videos auszustellen und sie dabei aussehen zu lassen, als hätten sie nichts besseres zu tun, als die Verschrumpelnden anzuhimmeln oder sie durch ihr Dabeisein beim Herumonkeln, alten und auch neuen Zielgruppen immer wieder schmackhaft zu machen. Frauen wollen und können ihre Schönheit, ihre Körper zeigen, entscheiden aber selber, wie und wann das geschehen soll. Und in welchem Zusammenhang. Nochmal: Niemand hindert die Papigeneration daran, aus sich selbst heraus fresh zu bleiben (dafür gibt es zahlreiche Beispiele), aber auf der Nebenspur passieren eben auch wichtige Sachen, wird nach eigenen Regeln gespielt.
Es kann ja nicht genug tolle Musik geben. Es kann sie gleichzeitig geben. Und alle sollen mitmachen dürfen. Schon seit Jahren werden neue, bisher underratete Segmente des Female-Empowerment bespielt, durchdringen und umspülen endlich storytellende Texte, die ihren Ursprung im Countrysongwriting haben, die Lebenswelten von FLINTA Personen und, ja, auch und gerade die der Queer-Community aufgreifen. Swift nahm und nimmt ALLE mit auf ihre eigene Entwicklungsreise und tut es so der großen Dolly Parton nach, die jahrzehntelang auf Busen und Perücke reduziert wurde und der erst seit einiger Zeit WIRKLICH zugestanden wird, eine der größten Musikerinnen und Texterinnen unserer Zeit zu sein. Und beide können beides: Country UND Pop. Don’t cry-work.
Dass die Damons, Daves, Jochens und Ryans dieser Welt sich da ausgeschlossen fühlen, ist nicht Taylor Swifts Schuld, sondern ihre eigene. Wer im Business mittuende Frauen lediglich mit dem Male-Gaze eines gekränkten Ex-Chartstürmers betrachtet und beschreibt, oder sie als läppische, lästige Konkurrenz betrachtet, ist halt irgendwann raus. Chance auf empathisches Hinhören und selbstkritische Reflexion verpasst – so einfach ist das. Und so traurig.
Und nun: THE LIFE OF A SHOWGIRL
Gleich der erste der zwölf Tracks liefert Swiftigkeit ohne Wenn und Aber. „The Fate Of Ophelia“ bietet einen poppigen Hamlet-Bezug, aber hier wird Ophelia gerettet, statt zu ertrinken. ER hat es getan. Wer ist das? Wir können nur mutmaßen …Das Stück ist extrem taylorhaft und bietet natürlich auch eine ihrer berühmten „Bridges“ an. Relatable! Mit „Elizabeth Taylor“ wird ein lustiges Namenswortspiel, das Swift schon einmal einsetzte, wieder aufgenommen. Elizabeth Taylor, oft der Vielmännerei bezichtigt, wollte evtl. nur den Einen, so die Geschichte. Dieses Lebensproblem wird hier musikalisch kraftvoll und mit Druck abgebildet.
Das tollste Stück des Albums ist „Opalite“. Leicht und luftig hat es etwas von den späten Fleetwood Mac. Auch was den empowernden Moment angeht: „Sleeplees in the onyx night but now the sky is opalite“. „Father Figure“ ist eine Hommage an George Michael, „Ruin The Friendship“ bedient sich der Mittel des Yacht-Rocks und gibt dem Bedauern, nicht „mehr“ aus einer reinen Freundschaft zu einem Jugendfreund gemacht zu haben, Raum. In „Actually Romantic“ nimmt sich Swift Runtermacher:innen vor (hier geht es vermutlich explizit um Charli XCX, die ja einen Song mit dem Titel „Everything is romantic“ im Gepäck hat und die zeitweise Beef mit Swift hatte…).
„Wood“ könnte ein weiterer Hit sein, Sixties-Vibes geben ihm Lockerheit. Der Anfang erinnert angenehm an „ABC“, den großartigen Song der Jackson Five. „Honey“ scheint ein Liebeslied für ihren Verlobten Travis Kelce zu sein und im Titelstück beschreibt Swift dann eben wirklich, was es heißt, berühmt zu sein. Unterstützt wird sie dabei von Sabrina Carpenter, die auf der letzten Tour ja teilweise für Swift eröffnet hat. Lässige Handclaps, Gitarren helfen dabei, den allzu romantisierenden Blick von Außen auf ein Leben auf Bühnen und im Scheinwerferlicht zu relativieren.
Mit diesem Album erfindet sich Taylor Swift nicht neu, aber sie nimmt, wie schon so oft, Bezug auf persönliche Erlebnisse, die ihren Fans nicht entgangen sind, weil sie der Privatsphäre der Künstlerin immer wieder entrissen wurden. Swift holt sich die Deutungshoheit über ihr Leben zurück, indem sie darüber schreibt, ihre Sicht auf die Dinge lyrisch fasst. Das ist vielleicht ihre wirklich große Stärke. Sie ist einfach eine brilliante Texterin. Mit Hilfe der Produzenten Max Martin und Shellback gelingt ihr wieder mal Einiges.
Wie geht es weiter?
Jetzt wird erstmal geheiratet. Ich gehe da von einer sehr traditionellen Zeremonie aus, zu der der ganze toxische Tross keine Einladung erhalten wird. Und dann bestimmt ein Kind. Sie kann es ernähren. Sie kann es fördern und Startrampen bauen. Was viele nämlich vergessen: Swift ist bereits 35 Jahre alt und ERWACHSEN. Sie will alles. Sie bekommt alles. Sie ist der größte Star der ganzen fucking Welt. Friss das, beleidigter Gitarrenkumpel. Und wer das nicht will oder kann, dem sei wenigstens gesagt: Diese Tatsache schmeckt süß und bitter, sauer und salzig. Alles gleichzeitig. Das muss man erstmal zusammenbacken, in einem einzigen Menschenleben.
Diese Review erschien zuerst im Musikexpress 12/2025.



