The Residents – Meet The Residents Third Reich’n’Roll Ringerprince

..Zerstört, daß ihr bauen könnt. “ (Ludwig Kassak, Ungarischer DA-DA-Künstler, 1922.) Als die Sex Pistols Ende 74/ 75 anfingen, spotteten sie: „Wir machen keine Musik – wir machen Chaos.“ Es blieb aber Musik! Das richtige Chaos ließ weiter auf sich warten. Bis die Residents auftauchten. Nicht daß sie wirklich Chaos sind; ihre Platten sind alle in hohem Maße organisiert – aber so daß es chaotisch klingt. Mein Gott, dies ist die ungewöhnlichste/bizarrste Montage-Musik, die jemals in schwarze Rillen gepreßt wurde. Ihr habt sicherlich dutzende Platten zu Hause stehen, die, wenn Ihr sie laut spielt, Eure Eltern schreiend auf die Straße schicken. Die Residents machen Platten, die Euch hinter den Eltern herschicken, wenn nicht sogar vor ihnen her!

Die Residents sind Monteur-Dadas: sie zerstückeln traditionelle Musikarrangements und Kompositionen und montieren sie zu einem neuen, den kompositorischen Regeln zuwiderlaufenden heterogenen Material. Dieser künstlerische Akt, der die überlieferten Formen (und Werte) vernichtet, indem er ihre Regeln zerbricht, ist nicht nur ein zerstörerischer – sondern ein befreiender. Die Residents befassen sich mit Sound-Collagen und phonetischer Organisation, wobei der Gesang und die Gitarren-Riffs neu arrangiert werden zu einem disharmonischen Ganzen.

Die Gruppe kommt aus San Francisco; seit der Gründung vor acht Jahren sind die Residents nur zweimal in der Öffentlichkeit aufgetreten – als Mumien verkleidet. Und überhaupt umgibt sie ein Schleier von Obskurität/Anonymität: die Residents sind niemals ohne ihre Verkleidungen gesehen worden: auf den wenigen Publicity-Photos erscheinen sie in Raumanzügen oder eingeschlagen in Zeitungspapier.

Die Residents haben bisher vier LPs aufgenommen, von denen die zweite mit dem bezeichnenden Titel „Not Available“ nicht erschienen ist, weil sie „entsprechend der Unbekanntheitstheorie erst veröffentlicht werden kann, wenn ihre Macher sinngemäß vergessen haben, daß es sie gibt.“ (Text auf dem Cover) „Meet The Residents“. ihre erste 1974 veröffentlichte LP. basiert auf den Experimenten des bayerischen (ja! wirklich!) Avantgardisten N. Senada, mit dem die Gruppe über längere Zeit zusammengearbeitet hat. Die „Philosophie der phonetischen Organisation“ des 60jährigen Bayern: Laute/Töne, wie zum Beispiel Melodien, zerstören und die einzelnen Stücke neu arrangieren. Ähnlich gingen die DADA-Künstler der 20er Jahre vor. Die Sound-Collage besteht aus TV-Soundtracks/Muzak/Werbesprüchen gemixt mit Gesängen/ polterndem Klavier/verfremdeten Blasinstrumenten. Unlogische/beliebige Rhythmen. Ein synthetischer Schock!

Das dritte Album „Third Reich’n’Roll“, erschien 1976 und ist „ein delikater Balanceakt zwischen der Liebe zum Top 40 Pop und dem wirklichen Haß auf eine Zivilisation“, die uns umgibt. Die beiden Seiten „Swastikas On Parade“ und Hitler Was A Vegetarian“ verwüsten unsere gemeinsame Rock-Vergangenheit: bizarre/verfremdete/ zerrissene Interpretationen von Rock-Klassikern der 60er Jahre; „Pushin Too Hard’7“,“96 Tears“/ „Let’s Twist Again“/“Land Of 1000 Dances“/“Hanky Panky“/ „Light My Fire“. Instrumente sind vor allem elektronische Keyboards und Percussion, gemixt mit einem monotonen Gesang. Das alles fließt ineinander über, ohne daß Du einen Bezugspunkt findest; ein einziger Fiebertraum! Das fröhliche, unbeschwerte „Yummy Yummy“ endet als Höllenmusik. Jemand brüllt „In-a-Gadda-Da-Vida“ zu den Riffs von „Sunshine Of Your Love“. „Hey Jude“, auf verschiedenen Keyboards gleichzeitig gespielt, beginnt angenehm, wird dann aber plötzlich zum Geisterstück, als der Gesang von „Sympathy For The Devil“ einbricht – buuhhhh buuhhhhhh! Die Titel „Third Reich’n’Roll“. „Hitler Was A Vegetarian“ und „Swastikas On Parade“ und die Aufmachung des Albums sind Anspielungen auf die Zeit des Faschismus, seine Propaganda und Massenhypnose – jedoch nicht im schwärmenschen/naiven/dummen Sinn, wie wir es von so vielen Rock-Stars und -Gruppen kennen. Diese Platte ist eine Anspielung auf den unbekümmerten Gehorsam gegenüber dem Rock’n’Roll und seiner Kultur (die Peace & Love-Bewegung der 60er – aber heute erleben wir ähnliches beim Punk); sie deutet an, daß, so die Gruppe, „der Rock’n’Roll die Jugend in der ganzen Welt einer Gehirnwäsche unterzogen hat.“

„Fingerprince“ ist das vorerst letzte Album der Residents. Mit seinem mechanisierten Gesang und den versetzten Melodien zeigt es, was entstanden wäre, wenn Eno seine Platten nicht im schlafenden England, sondern unter Speed bei den Eskimos aufgenommen hätte. Seite eins bringt acht kurze, eigene Kompositionen; die Stimmen werden durch einen Filter gesprochen und mit Keyboards/Percussion überlegt. Seite zwei ist Ballettmusik, basierend auf der Rhythmus-Form dah dah dit dah/dit dit dah dit, die sich dreimal wiederholt. Die Handlung: Der Mensch, dargestellt als Naturmensch, wird von seiner selbstgeschaffenen Umwelt vernichtet mit dem Ziel, von einem neuen Geschöpf ersetzt zu werden, das ebenso primitiv und unvollkommen ist, aber dazu ausersehen, die Welt genauso unzulänglich zu regieren. Die Residents selbst bezeichnen das Stück als .progressive bunnyhop‘. Es klingt, als wär’s von den Marsmenschen gespielt.

Das Chaos der Residents ist schwer zu erfassen, doch wenn man’s erstmal hat, kommt man nicht mehr von ihm los. Ein Einblick in die Musik und Ideen der Gegenwart für eine Welt, die in der Vergangenheit lebt. After-Punk.

4 in Für alle, die sich die LPs direkt besorgen wollen: jede LP $ 4 plus Porto: bei einer LP $ 1.08, 2 LPs S 1.40, 3 LPs $ 2.48 fSeeweg), u. Airmail: $ 3.01, $ 5.04 u. $ 8.05. Anschrift: Ralph Records, 444 Grove St., San Francisco, CA 94102, USA.