The Singles

Vorab so viel: Erkältungen kommen selten im Winter, weil man sich in dieser Jahreszeit sowieso mit erkältungskontraproduktiven Kleidungsstücken ausstattet -Erkältungen kommen meistens im Frühjahr, in Zeiten, die wir als „Scheinhochsommer“ bezeichnen. Die Sonne scheint zu scheinen, die Leute laufen nackig herum, weil sie denken, es istschön warm draußen, ist es aber nicht. Dann bekommen sie die Quittung. In Form einer Erkältung, die erst dann langsam abklingt, wenn-als äußeres Zeichen – die Farbe der, ähem, Ausscheidungen von durchsichtig zu einem linden Frühlingsgrün wechselt. Das mag eklig sein, es ist aber so. Jetzt eine Überleitung zu Gentleman zu finden, ist schwer, also lassen wir’s und steigen gleich ein in die neue Single „Different Places“ (Four Music/Sony BMC), die der Kölner-Reggae-Künstler im erkältungsresistenten Jamaika aufgenommen hat Sonnenscheiniger Reggae ist das mit Anti-Rassismusbotschaft.

Ja. Sie haben es längst geahnt, der Autor verschleppt in diesem Moment, in dem die Bits sich ihren Weg in die Harddisk des PC fräsen, eine Erkältung, was als billige Ausrede für alle in dieser Rubrik unter Umständen sich einschleichenden Fehler, Dopplungen und Unsinnigkeiten gelten soll. I Like Trains und ihre monumentalen, ambienten Ton- und Dronegebirge (Hausnummer: Mogwai früher (war’n se besser), Godspeed! You Black Emperor) hatten wir schon einmal gewürdigt in dieser Rubrik. Während die Band aus Leeds an ihrem Debütalbum arbeitet, haut sie zwischendurch eine neue Single raus. Sie ist nach „Spencer Perceval“ (Beggars/Indigo) benannt, dem ehemaligen britischen Premierminister, der 1812 in London einem Attentat zum Opfer fiel. Der Titelsong schildert die Tat aus der Sicht des Mörders John Bellingham. „I Am Murdered“ aus der des Opfers.

Jetzt kann man sich schon darüberstreiten, ob Mexican Elvis der geeignete Bandname ist, um – ganz ohne einen Schimmer, was einen musikalisch dabei erwartet – den Konsumenten nach der Musik der Band mit diesem Namen gieren zu lassen. Aber jetzt in echt. Namen und Vorurteile beiseite. Mexican Elvis ist eine Band aus München. Und „Jeronimo“ (Resonanz Schallplatten/Hausmusik) ein schönes Stück folkinformierter Singer/Songwriter-Indie-Pop-Rock mit genau der richtigen Portion Melancholie versetzt, um nicht in die Larmoyanzfalle zu tappen. Kommt als schickes blaues Vinyl plus Download-Gutschein. Und dieses Piano – es ist ganz großartig.

Es gab mal in den 90er-Jahren eine Zeit, in der Musik von manchen Menschen nur als gut empfunden wurde, wenn sie laut und crazy war. Es war die große Zeit von Alec Empire und Atari Teenage Riot und ihrem Holterdipoltervollkrasshardcoreremmidemmi, der – Entschuldigung – nicht anzuhören war. Diese Zeiten, die ja auch die Zeiten waren, in denen am anderen Ende der Skala die Guano Apes deine Lieblingsband war, sind Gott sei dank vorbei. „Robot L.O.V.E.“(EatYourHeartOut/RoughTrade), die neue 12-Inch von Alec Empire, ist entspannte Semi-Weirdo-Elektronik, die dann bei „ICE (Dub Instrumental)“ eine schöne Wendung in Richtung 90er-Jahre-Cheesy-Listening nimmt-von einem künstlerischen Standpunkt aus, versteht sich.

Man muss sich diesen Namen auf der Zunge zergehen lassen: Jack Penate mit so einem Dingsbums auf dem „n“. Oder besser: Man muss sich diesen Namen an der Nase zerlaufen lassen: Jack Penate. Jetzt kann man nicht so genau sagen, ob auch ohne Erkältung (plus gerötete Nase und entsprechende Behandlung durch eine sich seit 100 Jahren im Dienst der Hautpflege bewährt habende legendäre Creme) der Autor beim Lesen des Namens Jack Penate an eine sich seit 100 Jahren im Dienst der Hautpflege bewährt habende legendäre Creme denken muss. Entschuldigung. „Spit All Stars (XL/Beggars/Indigo) von Jack Penate, einem jungen englischen Indie-Pop-Singer-Songwriter mit der üblichen MySpace-plus-erste-limitierte-Single-innerhalb-einer-Millisekunde-ausverkauft-Erfolgsgeschichte, klingt so, wie wenn Mike Skinner ein Singer/Songwriter wäre. Also: auch gut.

Ohne eine Grundsatzdiskussion über diverses süüüüßes Getier anzuzetteln, das in letzter Zeit verstärkt durch die Medien geistert beziehungsweise aus vermeintlichen Zielgruppenaffinitätsgründen verstärkt durch die Medien gegeistert wird: Pikku-Orava, „das Heavy Metal Eichhörnchen“, hat uns ja wohl gerade noch gefehlt in unserem Tierpark in der Post-Schnappi-Knuuuuut-Saison. Das Beste an „Taivas Lyö Tulto“(EMI) – inklusive einer Coverversion von „Tsingis Khan“ – man versteht den Text nicht Weil: Finnisch. Gott sei Dank.

Mundfusseligredenerklärungen bitte jetzt einschalten: „MakeSomeNoise“ ist ein Musikprojekt von Amnesty International. Und das geht so. Yoko Ono hat die Rechte aller Solosongs von John Lennon dafür freigegeben. Die Songs werden nach und nach von diversen Bands gecovert (bisher: R.E.M., The Cure, MIA. und, ähem, Tokio Hotel) und können dann zum Ich-werd-verrückt-Preis von 99 Cents downgeloadet werden. Der Erlös kommt ohne Punkt und Komma der Arbeit von Amnesty International zugute. Und jetzt sind Tomte dran, oder besser Thees Uhlmann, der zusammen mit Sir Simon Battle „Oh Yoko“ (www.amnesty.de/noise) aus dem allgemein überschätzten Lennon-Album Imagine aufgenommen hat. Und das klingt wie ein akustisch arrangierter Tomte-Song.

Bekannt aus dem Mercedes-Spot, dem mit Formel-1-Weltmeister Fernando Alonso: „Make My Day“ (Dope Noir/Soulfood), mit dem der Wiener Produzent Waldeck zusammen mit der Sängerin Joy Malcolm (Incognito) eine Art 20er-Jahre-Lied in einen dope-noir-beatigen Popsong verwandelt. Ist ein Ohrwurm. Wird ein Hit. Weil: bekannt aus dem Mercedes-Spot plus auf-dem-Kopf-hängende Katze auf dem Coverbild.

Grime ist nicht tot, er riecht nur ein bisschen komisch. Nein, nur ein Witzchen, um WIEDER EINMAL eine Abwandlung des saualten Zappa-Spruchs bringen zu können. Die A-Seite von „50/50/Bow E3“ (Big Dada/Ninja Tune/Rough Trade) vom britischen Grime-Pionier Wiley mutet eher wie ein Oldschool-HipHop-Track an, die B-Seite grimet dann ein bisschen mehr mit subsonischen Magengrubenbässen und allem, was dazugehört. Wir wünschen – auch dem Grime – gute Besserung.