Rockmusik in Deutschland Teil 2


Nach Anfangserfolgen von Can und Kraftwerk in den inländischen Hitparaden setzte sich 1973 Udo Lindenberg als erster eigenständiger deutscher Rockact kommerziell durch. Damit hatte die neue Musik, die in den politisch wie kulturell unruhigen und kreativen Spätsechziger Jahren entstanden war, nach der künstlerischen auch die wirtschaftliche Emanzipation geschafft. Rock aus Deutschland, repräsentiert durch Bands wie Kraftwerk, Amon Düül, Can, Guru Guru, Tangerine Dream oder Lindenbergs Panik-Orchester, bildete nunmehr einen eigenen Ast am Stammbaum der Rockmusik, einen eigenen Ast nach all den langen Jahren, in denen immer nur Rock aus England und den USA kopiert worden war. Mitte der sechziger Jahre drang der Krautrock dann in Deutschland selbst, wie auch in etlichen europäischen und aussereuropäischen Ländern, auf breiter Front in die Hitparaden vor. Über diesen Höhenflug, über die damit einhergehende verblüffende Vielfalt der heimischen Szene und über deren spektakuläre Erneuerung in jüngster Zeit, berichten wir im zweiten Teil unserer Special-Story über Rockmusik in Deutschland. Der lange Marsch von Mensch und Maschine mündet in eine Konfrontation von reichen Rockern und Rebellen: die beständige Wellenbewegung der anglo-amerikanischen Rockszene hat auch auf unser Land übergegriffen.

Die im letzten Heft (ME 4/81, Seite 69) versprochene Überraschung ist nun wirklich eine geworden, wenn auch eine unliebsame: Wir wollten zu dieser Bilanz deutscher Rockmusik mit einem Doppel-Album auch musikalisch dokumentieren, was es an wichtigen Stationen gab/gibt Die Plattenfirmen zeigten großes Interesse, waren auch bereit, an diesem bisher einmaligen Projekt mitzuarbeiten. Bis auf eine Firma: die EMI Electrola. Da dieser Konzern Gruppen wie Kraftwerk Triumvirat, Scorpions, Eloy, Schoener, Fehlfarben u.a. unter Vertrag hat, ohne die eine seriöse Darstellung der Geschichte deutscher Rockmusik nicht möglich wäre, haben wir auf die LP verzichtet Schade!

Die Redaktion

Und wir fahr’n, fahr’n, fahr’n auf der Autobahn: eineinhalb Jahre nach Udo Linden-LP-Bestseller „Alles Klar Auf Der Andrea Doria“ erreichen Kraftwerk im Frühjahr 1975 die letzte Sprosse auf der internationalen Erfolgsleiter: ihre Single ‚Autobahn‘, ein faszinierend einfaches Meisterwerk des elektronischen Rocks, kletterte in den US-Charts bis Platz 25, das zugehörige Album steigt in den USA sogar bis in die Top 10. Spitzenplätze für Single und LP gab es ebenso in Großbritannien und in Deutschland. Mit .Autobahn“ war allerdings auch der kreative Aufstieg der deutschen Rockmusik an einem vorläufigen Endprodukt angelangt: die musikalisch führenden Bands brachten zwar weiterhin hervorragende LPs auf den Markt, doch an die Stelle des Innovationsschubs trat nun die Variation des künstlerisch wie kommerziell etablierten Sounds.

Kraftwerk produzierten in der ver änderten Besetzung Ralf Hütter, Flolrian Schneider, Karl Bartos und Wolfgang Flühr bis zum Frühjahr 1978 die drei Alben RADIO-AKTIVITÄT, TRANS EUROPA EXPRESS und MENSCH-MASCHINE, die zeigten, welch erstaunliche Spielbreite im Autobahn-Sound steckte. Neben roboterhaften Rhythmen und Melodien und dem stets leicht melancholischen Synthesizer-Klang arbeitete die Gruppe vor allem deutsches Kulturgut in stark stilisierter Form in ihre Songs ein. Volksempfänger und TEE-Zug, der Mythos des Rheins und in Neonlicht getauchte Großstädte geisterten durch die Kraftwerk-Platten, bei denen die Kommerzialität stets durch eine Prise Ironie entschärft wurde. Auf die Spitze getrieben wurde diese Mischung, als bei der Präsentation der MENSCH-MASCHINE in New York vier lebensecht gestaltete Puppen den Part der Kraftwerk-Musiker übernahmen und das Premierenpublikum eine ganze Zeit lang hinters Licht führten.

Tangerine Dream, weniger zu Spaßen aufgelegt, aber umso intensiver eingespannt in das Ausloten der endlosen Klangvariationen des Synthesizers, veröffentlichten 1975 mit RICO-CHET einen Meilenstein ihrer Karriere. Dieses Album wurde live eingespielt und bewies, daß die elektronisch außerordentlich komplexe und musikalisch hochsensible Musik des Berliner Trios ohne Qualitätsverlust auf der Bühne in Szene gesetzt v/erden konnte. Zwei Jahre später geriet die Gruppe durch den Ausstieg von Peter Baumann allerdings in kreative Turbulenzen, die erst in jüngster Zeit überwunden wurden.

Kraftwerk produzierten in der veränderten Besetzung Ralf Hütter, Florian Schneider, Karl Bartos und Woligang Flühr bis zum Frühjahr 1978 die drei Alben RADIO -AKTIVITÄT, TRANS EUROPA EXPRESS und MENSCH-MASCHINE, die zeigten, welch erstaunliche Spielbreite im Autobahn-Sound steckte. Neben roboterhaften Rhythmen und Melodien und dem stets leicht melancholischen Synthesizer-Klang arbeitete die Gruppe vor allem deutsches Kulturgut in stark stilisierter Form in ihre Songs ein. Volksempfänger und TEE-Zug, der Mythos des Rheins und in Neonlicht getauchte Großstädte geisterten durch die Kraftwerk-Platten, bei denen die Kommerzialität stets durch eine Prise Ironie entschärft wurde. Auf die Spitze getrieben wurde diese Mischung, als bei der Präsentation der MENSCH-MASCHINE in New York vier lebensecht gestaltete Puppen den Part der Kraftwerk-Musiker übernahmen und das Premierenpublikum eine ganze Zeit lang hinters Licht führten.

Tangerine Dream, weniger zu Spaßen aufgelegt, aber umso intensiver eingespannt in das Ausloten der endlosen Klangvariationen des Synthesizers, veröffentlichten 1975 mit RICOCHET einen Meilenstein ihrer Karriere. Dieses Album wurde live eingespielt und bewies, daß die elektronisch außerordentlich komplexe und musikalisch hochsensible Musik des Berliner Trios ohne Qualitätsverlust auf der Bühne in Szene gesetzt werden konnte. Zwei Jahre spater geriet die Gruppe durch den Ausstieg von Peter Baumann allerdings in kreative Turbulenzen, die erst in jüngster Zeit überwunden wurden.

Kreative Höhepunkte erreichten Mitte der siebziger Jahre – also parallel zum Autobahn-Erfolg von Kraftwerk – auch Udo Lindenberg mit den LPs BAU. POMPÖS und VOTAN WAHNWITZ, Klaus Doldinger mit seinen beiden „Jubilee“-Konzerten, bei denen er und die Passport-Musiker auf internationale Rock- und Jazz-Größen wie Johnny Griffin, Les McCann, Pete York, Brian Auger, Alexis Korner und Volker Kriegel trafen; ferner die Can mit den LPs LANDED und FLOW MOTION, Klaus Schulze mit BLACKDANCE und Guru Guru mit TANGO FANGO, einer umwerfenden Mischung aus Jodler, Calypso, Tango, Bossanova und Rock’n’Roll“ (so das Lexikon „Rock in Deutschland“).

Neben der Kraut-Rockerie der ersten Stunde traten in der Mitte des Jahrzehnts etliche nachgewachsene Bands und Solisten mit ungewöhnlich guten und eigenwilligen Produktionen. Etwa La Düsseldorf, deren eingängige Instrumentalmusik mit dem Kraftwerk-Sound verwandt war, oder Harmonia, die fern vom Großstadtstreß in einem kleinen Dorf „hypnotischen Rhythmus, meditative Klangströme, dazwischen Passagen voll innerer Spannung“ (so „SOUNDS“) erschufen und damit eine der Schlüsselfiguren zeitgemäßer Musik auf sich aufmerksam machten: Brian Eno, zunächst bei Roxy Music am Synthesizer, dann für den Rest des Jahrzehnts graue Eminenz hinter vielen New Wave- und Elektronik-Produktionen. Mit Eno nahmen die Harmonia-Musiker Dieter Moebius und Hans-Joachim Roedelius unter ihrem bereits 1970 erstmals verwandtem Band-Namen „Cluster“ 1977 und 78 zwei LPs auf, während ihr Mitspieler Michael Rother zur gleichen Zeit in der Einsamkeit des Weserberglandes unter dem Motto FLAMMENDE HERZEN eine neue, von sanft fließenden Gitarrenklängen geprägte Deutschrock-Variante in die Welt setzte.

Auf dem Lande, in Wintrup, am Fuße des Teutoburger Waldes, arbeiteten auch Kraan in der Besetzung Hellbrandt und Johannes Pappert. Der amerikanische „Rolling Stone Record Guide“ vermerkte verblüfft: „Germern instrumental band mixes Seventies jazz, British progressive rock and German machine rock into a surprisingly listenable stew.“ Für weitere Lichtblicke jener ergiebigen Schlüsseljahre sorgten Hölderlin (HÖLDERLIN, CLOWNS & CLOUDS), Eberhard Schoener (MEDITATION, ein fernöstlich inspiriertes Solowerk; WINDOWS, eine Klassik-Rock-Kooperation mit Deep-Purple-Musikern und Kammerorchester; BALIAGUNG, die Begegnung von Elektronik und Rock mit einem balinesischen Gamelan-Orchester), Embryo (LIVE, eine Jazz-Rock-Platte mit dem Saxophonisten Charlie Mariano und der hervorrangenden Sängerin Maria Archer) oder Achim Reichel (DAT SHANTY ALB’M, eine Synthese von Rock, Rum und Seemannsliedern).

Zu diesem originellen deutschen Rock stießen um das Jahr 1975 herum auch zunehmend hörenswerte Varianten angloamerikanischer Rock-Spielarten. So übertrafen Triumvirat aus Köln mit ihrer 1974 veröffentlichten LP ILLUSIONS ON A DOUBLE DIMPLE sicherlich die gleichzeitig herausgebrachten Alben ihrer Vorbilder Emerson, Lake & Palmer. Inga Rumpf, bis Juli 1972 Sängerin von Frumpy, brachte nun mit der Gruppe Atlantis einen kräftigen Schuß Rhythm & Blues in die deutsche Szene. Allerdings schaffte die von ständigen inneren Reibereien und Besetzungswechseln geplagte Formation nie den ganz großen Wurf, ähnlich wie die stilistisch verwandte, aber ewig unreife Band der Dortmunder Sängerin Chris Braun. Zielstrebiger arbeiteten da schon die Scorpions, die mit aggressivem Hardrock und sexuell zweideutigen Plattenhüllen einer internationalen Karriere entgegensteuerten. Oder Randy Pie aus Hamburg, gebildet von ausgefuchsten Musikern, 1975 auf dem Höhepunkt angelangt mit der LP HIGHWAY DRIVER, spezialisiert auf schwarze amerikanische Musik und Spielweise des Keyboard-Könners Werner Becker, der fünf Jahre später unter dem Pseudonym Anthony Ventura bei Deutschlands Hausfrauen James Last den Rang als Weichspüler ablaufen sollte.

Unter dem Strich ergab dies alles eine außerordentlich vielseitige und lebendige Musikszene, die zunehmend Aufsehen im Ausland erregte, im Inland jedoch noch immer gegen eine nach der Deutsch-Rock-Euphorie der Gründerjahre weitverbreitete Ignoranz von Presse, Funk und Fernsehen zu kämpfen hatte. Dabei war doch offensichtlich, welch tiefgreifender Wandel sich in einem Land vollzogen hatte, dessen kreative Kraft zwei Jahrzehnte lang bei Freddy Quinn und Lolita ihre Grenzen erreicht hatte, von ein paar avantgardistischen Jazzern einmal abgesehen. Jetzt dagegen blühte die populäre, zeitgenössische Musik in allen Farbnuancen und fand auch außerhalb der geburtenstarken Nachkriegsjahre zunehmend ihr Publikum. Die Kraftwerk-Musiker bekundeten in einem Interview sinngemäß, mit ihrer Art von Rock sei endlich die Kluft geschlossen worden, die die Hitler-Diktatur nach den kreativen zwanziger Jahren in der Tonkunst aufgerissen hatte. Und in der Tat: auch wenn die „seriöse“ Kulturkritik solche Vergleiche seinerzeit entsetzt von sich wies, so waren die Übereinstimmungen zwischen beiden Jahrzehnten doch auffällig genug.

Anfang der zwanziger Jahre gab es in Deutschland einen Paul Hindemith, der sowohl Streichquartette komponierte wie auch Jazzmusik und Lieder für’s Berliner Cabaret. Es gab einen Arnold Schönberg, der sich langsam, aber beständig in die Atonalität, die Zwölftontechnik, vorwagte. Es gab die turbulente populäre Unterhaltungszene im künstlerischen Brennpunkt Berlin, die vom Tagesschlager bis zur modernen Oper von Kurt Weill reichte. Es gab den Charleston, den Shimmy und jede Menge Jazz, es gab die Auftritte von Josephine Baker, es gab Fusionen und Querverbindungen jeder Art, vorangetrieben von einer fiebrigen Endzeitstimmung. Auch wenn speziell diese Stimmungslage sich erst seit 1980 in der New-Wave-Hochburg Berlin wieder einstellte, so war doch schon in den mittleren Siebzigerjahren in deutschenS ound-Metropolen wie Düsseldorf, Hamburg oder München eine Musikszene von ähnlicher Vitalität entstanden. In der Württembergischen Staatsoper tanzte das Theaterballett nach monotonmagischen Melodien von Kraftwerk, und die „Zeit“ stellte fest, diese Band habe „der westdeutschen Arbeiterjugend die Luft von anderen Planeten in ihre Städte gebracht“. Eine passende Quintessenz dieser Nachkriegsentwicklung war schon 1971 Chris Kamer von Amon Düül eingefallen:

„In a crysta] clear atmosphere/With a burning smell in the air/Phoenix rise out ot the ash.“ („Syntelman’s March“ auf der LP TANZ DER LEMMINGE). Leicht fiel den Musikern diese Auferstehung aus der Asche allerdings nicht. Denn ganz im Gegensatz zum raschen kreativen Fortschritt, entwickelte sich die Infrastruktur der deutschen Rockszene geradezu im Schneckentempo. Auftrittsmöglichkeiten waren beschränkt, kaum ein Manager verstand sein Geschäft, öffentliche Gelder wurden zwar in Millionenhöhe in Opernhäuser gesteckt, doch für deutsche Rockmusik hatten Bundesländer und Kommunen kaum einen Pfennig über. Dies war natürlich verständlich, hatten doch biedere Kommunalbeamte eine ganz spezielle Meinung über langhaarige und womöglich von Haschdüften umwölkte Kraut-Rokker: „Wer diese Urwaldmusik spielt, vergewaltigt auch kleine Mädchen“, lautete ein damals gern gebrauchter Spruch. Merkwürdiger mutet demgegenüber jedoch an, mit welcher Unkenntnis und mit welchem Unverständnis deutsche Plattenfirmen an die Musik vor ihrerHaustür herangingen. Zwar witterte man eine Menge Gewinn angesichts der wachsenden Popularität dieser Musikrichtung, doch die Versuche, adäquate Marketingkonzepte zu finden oder die Gruppen firmenintern angemessen zu betreuen, endeten fast immer kläglich. Sehr beliebt bei der Branche waren zum Beispiel Deutsch-Rock-Labels, also extra Unterfirmen nur für deutschen Rock. Sie gingen meist ebenso schnell wieder ein wie sie auftauchten: „Pan“ bei Ariola, „Zebra“ bei Polydor, .Pilze“ bei Metronome. Ein kurzzeitiges Deutschrock-Experiment startete in den frühen siebziger Jahren sogar der Chemie-Multi BASF und nahm Bands gleich scharenweise unter Vertrag; noch heute erinnern sich Journalisten voller Schrecken an die Pakete mit zehn bis fünfzehn neuen Kraut-Platten auf einen Schlag, die BASF damals in die Redaktionen karrte.

Weit mehr Wirbel veranstaltete indes ein kleines Plattenlabel namens „Ohr“, das mit Tangerine Dream, Klaus Schulze und Ash Ra Tempel die Creme der Berliner Elektroniker unter Vertrag hatte. An der Spitze der Firma stand der neuen Musik gegenüber durchaus aufgeschlossene Produzent Rolf-Ulrich Kaiser. Durch Zufall schnappte er ein Statement seines Vertragskünstlers Edgar Froese von Tangerine Dream auf: von „kosmischer Musik“ war da die Rede, von Musik, die „Vorgänge hörbar machen“ sollte, „die am Rande der wahrscheinlichen Vorstellungskraft des Menschen liegen“. Aus esoterischem, philosophischem oder religiösem Blickwinkel gesehen, hat die Aussage von Froese ihren Wert. Kaiser jedoch baut um das Schlagwort von der .kosmischen Musik“ einen Marketingfeldzug, der dem Image des Kraut-Rocks beträchtlichen Schaden zufügte. Seine Gruppen waren fortan nur noch als „kosmische Kuriere“ unterwegs, seine Lebensgefährtin wurde als „Sternenmädchen“ kostümiert und mit überirdischem Augenaufschlag auf Deutschlands Journalisten losgelassen. Zwischen den Medien, allen voran das Rockmagazin „SOUNDS“, und Rolf-Ulrich Kaiser entwickelte sich rasch eine Intimfeindschaft, bei der die deutsche Rockmusik ins Hintertreffen geriet. Am Ende flüchteten Musiker wie Schulze und Froese mit gerichtlicher Hilfe aus dem Kaiser-Reich; depremiert vom Umgang mit deutschen Plattenfirmen unterschrieben Tangerine Dream einen Vertrag mit der englischen Frima Virgin Records, die später auch Peter Baumann, Ashra und – vor wenigen Wochen – die Deutsch-Amerikanische Freundschaft unter Vertrag nahm.

Ein Ergebnis des gespannten Verhältnisses zwischen deutschen Musikern und deutschen Plattenfinnen war auch die Gründung der Alternatv-Labels „April“ (spater umgetauft in „Schneeball“) durch Mitglieder der Bands Embryo, Missus Beastly, Ton Steine Scherben und Sparifankel im Frühjahr 1976 sowie „Sky“ durch den ehemaligen Metronome-Manager Günter Körber, der 1977 die von allen Firmen abgelehnte Produktion FLAMMENDE HERZEN von Michael Rother auf den Markt brachte und mittlerweile fast 100 000 Stück davon verkaufte.

Edgar Froese sprach einmal davon, in Deutschland hätten ihn die Plattenfirmen wie einen „Karnevals-Idioten“ behandelt und begründet damit seine Flucht nach England. Aber es ging zwischen Flensburg und Berchtesgaden zuweilen auch anders zu. Jung-Manager wie Walter Holzbauer oder Robert Lesquerade bewiesen einen langen Atem und bauten Bands wie Kraan oder Guru Guru fachgerecht auf. Das „Brain“-Label der Firma Metronome sammelte eine ganze Schar von deutschen Rockbands, ohne nach ersten Mißerfolgen gleich wieder das Handtuch zu werfen. Die kommerziellen Erfolge, die die Firma schließlich mit Klaus Schulze oder der Hannoveraner Band Jane erzielte, rechtfertigten diese Politik. Noch glücklicher agierte die Kölner EMI, die als Tochter eines britischen Elektronik- und Unterhaltungskonzerns zwar keinerlei Voraussetzungen für einen Erfolg beim Umgang mit Kraut-Rockem mitbrachte, in der Person des Labelsmanagers Hans-Gerd Lütticke jedoch einen Idealisten in ihren Reihen hatte, der bereit war, jahrelang bis zur physischen und psychischen Erschöpfung zu arbeiten. Auf der Plattenmarke „Harvest“ und Unterlabels wie „Kling Klang“ brachten Lütticke und die EMI im Laufe einiger Jahre einen hochkarätigen Künstlerstamm unter: die Can und Kraftwerk, Triumvirat und Eloy, Eberhard Schoener und die Scorpions. In den spätsiebziger Jahren waren die meisten dieser Bands dann Stammgast in den deutschen Hitlisten – Anlaß für viele andere Firmen, ihren Standpunkt in Sachen Deutsch-Rock zu überdenken.

Den besten Schnitt machte bei diesem neuen Run auf deutsches Rockgut die in Frankfurt beheimatete Tochterfirma des amerikanischen Medienmultis CBS. Im Herbst 1976 veröffentlichte sie das Debüt-Album der Hamburger Gruppe Lake, das national und international ein großer Hit wurde. Zwei Jahre später griff die CBS erneut zu und hatte mit der ersten Platte der bizarren Sängerin Nina Hagen und ihrer Berliner Band einen ebenso spektakulären Erfolg. Nina Hagen erreichte unter anderem die Hitparaden in Holland und Frankreich, während Lake in den USA Fuß faßten und dort mehrere hunderttausend LPs verkauften. Nach Kraftwerk und Triumvirat schufen Lake so den dritten Brückenkopf deutscher Rockmusik auf dem größten Plattenmarkt der Welt. Eine Reihe weiterer Gruppen hinterließ nicht ganz so tiefe Spuren in den US-Charts: Tangerine Dream, Doldinger’s Passport und in jüngster Zeit die Scorpions. Andere, die den Sprung versuchten, scheiterten und kehrten desillusioniert zurück, wie etwa Inga Rumpf oder Epitaph.

DDie erfolgreichen Bands, die sogar zwischen New York und Los Angeles auf Tour gehen konnte – so Kraftwerk, Triumvirat, Lake, Tangerine Dream und die Scorpions – bekamen die Härte des US-Rockbusiness gleichwohl zu spüren: sie lernten, daß Tourneen jenseits des Atlantik meist einen finanziellen Verlust nach sich ziehen und daß es so gut wie unmöglich ist, von amerikanischen Plattenfirmen Geld zu bekommen, egal wieviele Platten dort auch verkauft werden. Leicht getrübt wurden die Erfolgsbilanzen auch durch die Tatsache, daß Platten wie ILLUSIONS ON A DOUBLE DIMPLE von Triumvirat oder die erste LP von Lake in den USA zu einem Zeitpunkt großer künstlerischer Stagnation des amerikanischen Marktes den Durchbruch schafften. Der jahrelange Mangel an musikalischer Innovation hatte die Hitlisten geöffnet für Nachkömmlinge aus dem Ausland, die mittlerweile anglo-amerikanischen Rock ebenso gut spielten wie die Amerikaner oder Engländer selbst – was vor allem auf Lake zutrifft, die brillanten Westcoast-Gesang boten und in deren Songs stets ein Hauch von Steely Dan zu finden war.

Bedeutsam für den deutschen Rock waren auch Erfolge in anderen Ländern – etwa die enorme Resonanz, die Elektroniker wie Klaus Schulze oder Tangerine Dream in Frankreich fanden. Auf diesem Umweg wurde der Kraut-Rock im Heimatland weiter aufgewertet, speziell bei Funk und Fernsehen, wo man sich jahrelang nicht dazu durchringen konnte, die vielfältige Musikszene zwischen Alpen und Nordsee ernstzunehmen. Erst als so virtuose Techniker wie Lake in den Billboard-Charts Woche für Woche weiter nach oben rückten, setzte das große Umdenken ein. Am Ende schafften es deutsche Rockgruppen sogar, Engagements beim TV-Rockpalast des WDR oder einen Tourneevertrag von Lippmann + Rau zu bekommen.

Der in- und ausländische Erfolg von Lake zeigt sehr deutlich, was in der zweiten Hälfte der siebziger Jahre in der bundesdeutschen Rockszene gefragt war: handwerkliches Können bis hin zur Perfektion. Um die Bands, die in den Jahren der Expansion und der Experimente die Nase vorn gehabt hatten, wurde es dagegen stiller. Die Can-Musiker stürzten sich in Solo-Projekte, Amon Düül existieren nur noch sporadisch, Tangerine Dream gerieten stilistisch in eine Sackgasse (mit der LP CYCLONE), Kraftwerk ließen viel Zeit zwischen ihren LP-Veröffentlichungen vergehen. Vorrücken konnten stattdessen Eloy, die sich eine bombastische Bühnenschau einfielen ließen, die Scorpions, die Hardrock nach international gebräuchlichem Muster aus den Boxen donnern ließen und selbst in Japan populär wurden, oder Wallenstein, denen mit „Charline“ ein ebenso unauffälliger wie schöner Popsong einfiel. Ein großer Teil der Rockjournalisten klatschte dieser Musik begeistert Beifall: sie paßte nahtlos zwischen die Eagles und Fleetwood Mac und wurde deshalb auch besonders beim Funk groß gefeatured. Immerhin: Erstaunlich war schon, welch hohen Grad an Professionalität der Kraut-Rock nunmehr erreicht hatte. So manche ausländische Band fiel aus allen Wolken, als sie die Qualität ihrer deutschen Tournee-oder Festivalbegleiter registrierte. Wishbone Ash aus England zum Beispiel brachen entnervt eine Tour mit Lake ab, weil die Hamburger sie souverän an die Wand spielten. Und aus dem Schatten der angloamerikanischen Vorbilder und Marktführer traten auch die Verarbeiter von Musik: Studios wie Musicland in München, Hansa in Berlin oder Dierks in Köln, wurden immer häufiger von englischsprachigen Topstars bis hinauf zu den Rolling Stones gebucht, wahrend deutsche Plattenfirmen US-Untemehmen wie Casablanca oder Arista aufkauften und anglo-amerikanische Supergruppen mit ständig steigenden Verkaufszahlen beeindruckten.

Ende der siebziger Jahre war die Bundesrepublik ein gewaltiger Markt für Rockmusik geworden, nach den USA und nach England der drittgrößte der Welt. In den Hitlisten drängten sich in- und ausländische Bands mit dem vom Schlager zum Rock konvertierten Peter Maffay an der Spitze. Die Tourneepläne wurden immer üppiger. Selbst Bob Dylan kam, Big Business an Elbe, Main, Rhein und Isar, und einige Musiker, wie Werner Becker oder Klaus Doldinger, waren sogar schon richtig reich geworden. Wen wundert’s, daß da in Deutschland die gleiche Entwicklung einsetzte wie in den ebenfalls mächtigen und umsatzträchtigen Rockmärkten England und USA: Unter der fetten Oberfläche regten sich plötzlich Rebellen, die mit der etablierten Musik nichts mehr zu tun haben wollten, weil sie ihnen nichts mehr sagte und zu sehr nach Geld und Professionalität stank. Mit rund zweijähriger Verspätung zu England, aber zeitgleich mit den USA, wogte am Ende des Jahrzehnts in Deutschland die Neue Welle heran, bildete sich im Berliner Kant-Kino, in der Hamburger Markthalle und im Ratinger Hof in Düsseldorf eine neue Szene, traten Gruppen wie Mittagspause, Hans-a-plast, Deutsch-Amerikanische Freundschaft oder Abwärts auf den Plan.

Der vehemente Aufbruch der einheimischen New Wave-Bands im Jahre 1980 markiert den tiefsten Einschnitt in der deutschen Musik seit den turbulenten Jahren 69/70, als sich erstmals eine eigenständige deutsche Rockszene herauskristallisiert hatte. Nachdem jahrelang in der musikalischen Entwicklung nahezu ein Stillstand eingetreten war – Ausnahmen wie die Multi-Media-Konzerte oder stilistischen Fusionen eines Eberhard Schoener oder die Jazz-Rock-Experimente des Release Music Orchestra oder von Munju bestätigen nur die Regel scheint der Deutsch-Rock sich nun von Grund auf zu erneuern und einer nachgewachsenen, ideenreichen Musikergeneration den Vortritt zu lassen. Der Wandel verläuft rasend schnell: kaum haben wir die Medien vom „Spiegel“ bis zum Fernsehen den neuen Sound registriert, erscheint mit der LP ALLES IST GUT von DAF in diesen Tagen bereits das Schlüsselwerk der neuen Musik. Beißend ironisch der Titel, düster und dynamisch die Musik – eine geniale Mischung aus britischer New Wave und deutscher Elektronik, ein Soundtrack für ein Zeitalter, in dem noch Häuser besetzt und Grüne Idealisten in Parlamente gewählt werden, obwohl der atomare Overkill täglich näherzurücken scheint und die Punk-Parole „No Future“ womöglich als letzte Wahrheit übrig bleibt.

Deutsche New-Wave-Bands, von denen vor einem Jahr kaum jemand sprach, verkaufen inzwischen schon zwischen 30000 und 50000 LPs. Dieser rasche Popularitätszuwachs wird verständlich vor dem Hintergrund der britischen Musikszene, die noch immer einen starken Einfluß auf den deutschen Markt ausübt. In England meldeten sich Punk- und New-Wave-Bands bereits Ende 1976, und seitdem gewöhnt sich das Rockpublikum auch hierzulande an die neuen Klänge. Zudem steckt in der englischen New Wave wie auch in der Musik etlicher neuer US-Gruppen ein kräftiger Schuß Kraut-Rock: Bands wie Ultravox oder Magazine haben immer betont, daß deutsche Elektroniker, und hier speziell Kraftwerk, Pate standen, als der neue Sound geboren wurde. Das Studio von Conny Plank im Bergischen Land ist zudem die Schmiede, in der seit Iahren nebeneinander wichtige deutsche Platten und bedeutende ausländische New-Wave-Produktionen entstehen. Bands wie Abwärts, Fehlfarben oder DAF bauen daher trotz ihrer rebellischen Klänge auf eine Tradition auf ein Jahrzehnt eigenständiger deutscher Rockmusik. Und ähnlich wie New-Wave-Musiker aus England oder den USA auf Iggy Pop und die Stooges oder die Velvet Underground verweisen, die bereits 1970 Elemente heutiger Musik vorweggenommen haben, steht hierzulande die Berliner Gruppe Ton Steine Scherben hoch im Kurs, die 1970 auf einer ziemlich punkigen Single in deutscher Sprache sang: .Macht kaputt was Euch kaputtmacht“. Zwar halten sich Instandbesetzer heute nicht unbedingt an diesen Grundsatz, doch eine der wichtigsten Parolen der aktuellen Punk- und Politszene stammt ebenfalls von Ton Steine Scherben: „KEINE MACHT FÜR NIEMAND“, Titel eines Doppelalbums aus dem Jahre 1972.