Rolling Stones


Ihre Tourneen produzieren inzwischen stets die gleichen, stereotypen Schlagzeilen: „Rockrentner auf letzter Gastspielreise“, „Incasso-Unternehmen on tour“. Was vom Thema ablenkt, ist das Alter der Herren. Ihnen fällt die undankbare Aufgabe zu, die Rock „n“ Roll-Altersgrenze ein ums andere Mal nach oben drücken zu müssen. Was beileibe nicht ihre eigentliche Leistung ist …

Rotterdam am 18. Mai 1990. Die Stones-Zunge prangt auf Autos. T-Shirts und Taschen, wohin man auch blickt. Schon am Vormittag bilden sich die ersten Staus in Richtung Feeyenoord-Stadion, in dem die Tour starten und in dem die Band an drei Abenden aufspielen wird.

Um Punkt 20.30 Uhr, die Vorgruppe Gun hat sich redlich abgestrampelt, zischen meterhohe Flammen aus dem düsteren „Urban Jungle“. Blitze zucken, „Start Me Up“ donnert aus den Boxen. Überfalltaktik nennt man das. Von Null auf Hundert in zwei Sekunden. Die Stones hauen rein, als wollten sie einen Nachwuchswettbewerb gewinnen. Doch so ungestüm es auch klingt, so methodisch ist es. Zum ersten Mal in ihrer Geschichte scheinen die Stones tatsächlich ausgiebig geprobt zu haben. War früher allerhand dem Zufall überlassen, sitzt jetzt jeder Akkord wie angegossen.

Die Show lebt optisch wie eh und je von Jagger. Abgesehen vom roten Frack, hat er auf weitere Kostümierungen verzichtet. Was er von der ersten bis zur letzten Minute liefert, ist eine souveräne, gleichermaßen kontrollierte wie spontane Inszenierung seiner selbst. Diesmal jedoch bar jeder aufgesetzter Spielereien, stattdessen cool, knapp, energetisch.

Auf den Auftakt folgt „Bitch“. kraftvoll, präzise, dann „Sad, Sad, Sad“, gleichfalls zügig und punktgenau. Es schließen sich einige Midtempo-Nummern an, doch auch „Harlem Shuffle“ etwa beweist ihre Klasse: War die Plattenversion relativ fad. so besitzt die Livefassung erstaunlichen Biß. Das überraschend junge Publikum, schon vor Konzertbeginn frenetisch, gröhlt, brüllt, flippt schier aus, als mit „Ruby Tuesday“ der erste „01die“ aus den 60er Jahren angestimmt wird. Die Stones offerieren einen Cocktail, der aus allen Epochen der 27jährigen Bandhistorie gemixt ist. Einerseits bringen sie mit sechs Titeln von STEEL WHEELS gleich die Hälfte ihrer 89er LP. andererseits greifen sie weit zurück im Repertoire, bis hin zu „Paint It Black“ und „2000 Light Years From Home“, wobei letzteres erstmals überhaupt live interpretiert wurde. Die Perfektion des gesamten Sets ist beinahe irritierend, erst Richards, der für zwei Stücke („Can’t B Seen“ und „Happy“) ans Mikro tritt, sorgt für die altbekannte Verwirrung, indem er mal den Vokaleinsatz verpaßt oder leicht aus dem Takt gerät.

Im Schluß-Drittel genügen bereits die Einstiegsriffs von „Honky Tonk Women“, „It’s Only Rock ’n‘ Roll“ oder „Brown Sugar“, um die Riesenparty vollends aus den Fugen geraten zu lassen. Die Tribünen wackeln, der Innenraum bebt, als schließlich noch „Satisfaction“. Nummer 25 der Playlist, abgeht.

Nach gut 2 1/2 Stunden wird als Zugabe „Jumpin’Jack Flash“ nachgereicht, und fürs Auge setzt ein Feuerwerk den endgültigen Schlußpunkt.

Fazit: Die Stones präsentierten sich als eine Live-Band. die vermutlich auch ein mit Stones-Hassern gefülltes Stadion letztlich zu standing ovations bekehren würde. Sie sind Anfang der 90er Jahre in bester Form, und es ist zu befürchten, daß sie auch weiterhin die dümmlichen Altersgrenzen verschieben und mit noch dämlicheren Schlagzeilen leben müssen.