Rückkehr der Blumenkinder


Enge Jeans waren gestern: MGMT machen mit Haarband und Psychedelia-Pop den Hippie- schick wieder salonfähig - und definieren damit Cool und Uncool im Indierock neu.

Auf einmal ist da das Blümchenkleid. Zwischen den vielen Indiekids in Lederjacken und engen Jeans stehen Mädchen in bodenlangen Gewändern und weiten Blusen in der Münchner Georg-Elser-Halle, Bänder und Blumen im Haar, ein paar Jungs haben sich bunte Tücher um die Hälse geschlungen. Ein Mädchen schiebt sich strahlend durch die Menge und verschenkt Rosen. „Weil heute so ein schöner Tag ist“, sagt sie. Die Hippies sind zurück. Nach Jahren der darkbluejeansfarbenen Coolness hält das Bunte wieder Einzug in die Konzerthallen und Indieclubs. Und wer ist schuld daran? Vier Buchstaben: MGMT.

„Das war ein tolles Konzert in München , sagt Sänger und Gitarrist Andrew Van Wyngarden am Telefon. „Diese Energie, Leute, die Rosen auf die Bühne werfen. Man hätte meinen können, wir sind The Grateful Dead.“ Eine der angesagtesten Bands des Jahres vergleicht sich mit Grateful Dead?! „Jahrelang ging es darum, too cool for school zu sein „, sagt Van Wyngarden. „Der große Unterschied ist: Uns ist das egal, wir wollen einfach Popsongs machen.“

Und diese Popsongs sind in diesem Sommer überall. In den Klamottenläden in der Innenstadt läuft das hymnische „Time To Pretend“, der größte Hit des Debüts oracular spectacular, ebenso wie im Club, die Blogs sind voll von schrägen Geschichten über Andrew und seinen Kollegen Ben Goldwasser. Die beiden sind dabei, zu einer Art Posterboys für einen neuen psychedelischen Sound zu werden. Mit ihren technicolorbunten Outfits und den unwiderstehlichen Hooks, die die Cheesiness-Grenze gerne mal mit beiden Füßen überschreiten, haben MGMT, so scheint’s, einen Nerv getroffen. Überraschend für alle Beteiligten. Ihre Familien, so erzählt man sich offenbar in New York, warten schon seit Monaten darauf, dass die Jungs mal wieder heimkommen. „Das stimmt“, sagt Van Wyngarden. „Aber jetzt habe ich’s gerade mal kurz geschafft, meine Eltern zu besuchen. Keiner hat damit gerechnet, dass unsere Tour immer weiter und weitergeht.“

Angefangen mit ihren Keyboard- und Gitarren-Tüfteleien haben die beiden im gemeinsamen Wohnheimzimmer am College in Connecticut, heute sind sie schon mit ihrem ersten Album so groß, dass es schwer ist, sie für 20 Minuten Interview an die Strippe zu bekommen. Die nächsten drei Alben sind schon vertraglich besiegelt.

Woher aber kommt dieser catchy-schräge Tonfall, den die beiden Collegefreunde mit soviel Erfolg auf ihr Album gebannt haben? Sind die Flaming Lips eine Referenzband, wie häufig vermutet wird? Schließlich hat deren Produzent Dave Friedman auch bei MGMT seine Finger am Regler gehabt. „Ich habe früher viel Flaming Lips gehört, besonders ihre frühen Sachen“, sagt Van Wyngarden. „Wir mögen ihren Spirit, ihren Drangzum Experiment und dieses fantastische visuelle Element ihrer Liveshows. Aber inwieweit sie uns musikalisch beeinflusst haben, weiß ich nicht. Ich glaube, dass wir und andere Bands, die heute psychedelisch genannt werden, eher von älterer experimenteller Musik inspiriert worden sind.“ Bei Van Wyngardens zu Hause lief jedenfalls viel Bob Dylan, Paul Simons graceland und Talking Heads auf Endlosschleife. „Ich glaube, die Talking Heads haben den größten Einfluss auf meine eigene musikalische Entwicklung gehabt“, sagt Van Wyngarden. „Ich mag David Byrne und diese Refl-ains, die Hooks. Man kann einfach super dazu tanzen.“ Heute drehen sich in seinem Player Neil Young, Love, die Rolling Stones und immer wieder Captain Beefheart. Der – wie auch die Talking Heads – ja weit davon entfernt ist, ein Hippie zu sein.

Aber auch MGMT singen ja nicht von Blumen und Bienen und wie schön es ist, auf der Welt zu sein. Im Hit „Time To Pretend“ heißt es etwa „Let’s make some music, make money, find some models for wives.“ Enden tut der Höhenflug im eigenen Erbrochenen in Paris. Alles nicht so ernst nehmen, könnte die clevere Unterzeile lauten. Gilt das auch für die ganze Band? Schließlich bezeichnen sich MGMT selbst ab und zu als musikalische Comedians und erzählen gerne Quatsch. „Manche Leute sehen unsere Videos und denken: Was für Freaks! Dann hören sie unsere Platte und sagen: Die machen doch ernsthafte Musik. Und irgendwie eben auch wieder nicht. Wir mögen das.“ Ähnliches gilt auch für die Outfits von MGMT. „Wir lieben schräge Klamotten, aber viele Shows spielen wir auch einfach in dem Zeug, das wir gerade anhaben „, sagt Andrew VanWyngarden. „Neuerdings trage ich gerne Kleider auf der Bühne, ich finde das lustig.“

Überhaupt legen Van Wyngarden und Goldwasser Wert darauf, ihr kreatives Gesamtkonzept weiterzuentwickeln. Erst mit dem Plattenvertrag haben sie sich Gedanken gemacht, welche künstlerische Idee sie mit MGMT verfolgen wollen, sagt VanWyngarden: „Wir mögen die grafischen Elemente, das psychedelische, auch in unseren Videos. Aber es entwickelt sich immer noch weiter.“ Ein Konzept, mit dem Majordeal entwickelt, das hat ja immer so einen gewissen Duft vom am Reißbrett entwickelten Erfolgsrezept.

Sind MGMT also so was wie die erfolgreichen Vorreiter einer Szene von Bands aus Brooklyn und Umgebung, die den Pop, das Psychedelische wieder cool machen? VanWyngarden: „Die Leute sagen, wir sind Teil einer Szene, doch wir lernen die anderen Bands gerade erst kennen. Mit Vampire Weekend haben wir gestern abend noch rumgehangen. Aber wir kennen uns eben erst kurz.“ Ob Szene oder nicht, MGMT haben diesem Sommer einen neuen Klang gegeben, der uns noch länger beschäftigen könnte. Vielleicht kommen sie gerade zur richtigen Zeit, denn Acts wie Sleepy Jackson und The Polyphonic Spree haben mit ihren Psychedelia-Experimenten den richtigen Durchbruch nie geschafft. Vielleicht hat der kleine Hype um den „Freak Folk“ um Devendra Banhart und Konsorten da Vorarbeit geleistet und die Indiekids bereit gemacht für bunte Schals. Aber wie ist das nun mit den Hippies: Schimpfwort oder cool? „Ich würde sagen, ich bin zu 75 Prozent Hippie“, sagt VanWyngarden. „Aber es wird immer weniger. Jetzt werden ja alle Hippies. Da wünsch’ich mir manchmal, ein Vampir zu sein.“

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