Santana – Ein Interview mit Carlos


Ende vergangenen Jahres reiste Carlos Santana durch die Bundesrepublik; der Erfolg seiner Tournee sprengte alle Erwartungen, zum Teil hörten bei Konzerten - so in München und Dortmund - mehr als 10.000 Leute zu. Im Januar-Heft hatte der Musik Express bereits ausführlich über die Tournee berichtet; als Nachtisch folgt nun noch ein Interview. Alan Bangs sprach in der Garderobe der Kölner Sporthalle mit Carlos über seine Musik, seine Band und über San Francisco, wo vor knapp zehn Jahren die Karriere von Santana begann.

ME: Was hast Du seit Deinem letzten Auftritt in Deutschland gemacht?

CS: Ich habe gearbeitet und gearbeitet und gearbeitet – aber das soll keine Klage sein! Siehst Du, ich habe lange und intensiv gesucht, um die richtigen Leute für die Bands zu bekommen, und ich glaube, daß ich sie nun endlich habe. Sie sind sehr jung und offen, sie fühlen sich als eine Gruppe, und wir sind eine Einheit; wir sehen die Dinge gleich, und zum ersten Mal seit langem haben wir ein gemeinsames Ziel: Wir möchten soviel Leute wie möglich glücklich machen, indem wir ihnen geben, was wir haben – und ich merke, daß wir Freude haben, daß wir unkompliziert und ehrlich sind.

ME: Wie hast Du die Leute Deiner jetzigen Band getroffen?

CS: Nun, wie ich schon sagte, war’s nicht einfach, die richtigen Leute zu finden. Noch drei Tage bevor diese Tournee losgehen sollte, überlegte ich mir, sie abzusagen, denn wir hatten keinen Drummer und keinen Sänger, der Bassist und der Conga-Spieler waren beide ganz neu, wir hatten nicht richtig zusammen geprobt. Aber in den nächsten zwei Tagen klappte alles, wir probten gut 7 oder 8 Stunden lang, und als wir England verliessen, war ich sehr überrascht festzustellen, daß die Band eine gute Chance hatte, eine richtig gute Band zu werden, verstehst Du? Viele der Leute, die schon auf dem letzten Album mitgespielt hatten, sind immer noch in der Band, aber ich war nicht sicher, ob ich sie behalten wollte. Der Drummer war auf dem letzten Album noch nicht dabei (Graham Lear, früher bei Gino Vannelli), aber mit ihm ergab es sich auch ganz plötzlich.

ME: Was ist heutzutage in und um San Francisco herum und um die Bay Area los?

CS: Nun, das Feeling, das ’67 und ’68 dort war, gibt’s offensichtlich nicht mehr; viele Leute reisen herum, weißt Du, und irrt Moment ruiniert das die Vibrations, die von dort ausgingen. Aber es passieren immer noch allerhand gute Sachen, und es gibt immer noch viele gute Bands dort, weißt Du, wie z.B. The Tubes. Ich mag deren Musik, ich mag diese Band – ihre Produktion, ihre Auftritte interessieren mich wenig, aber ich interessiere mich für ihre Musik, weil soviel Phantasie dahinter steckt. Viele gute Bands kommen immer noch aus San Francisco.

ME: Du sagtest, daß sich die Atmosphäre in San Francisco in den letzten Jahren ziemlich verändert hat. Wie hat sich das auf Dich und Deine Musik ausgewirkt?

CS: Überhaupt nicht denn ich habe mich nie richtig mit dem San Francisco Sound identifiziert, so wie Grateful Dead oder Jefferson Airplane oder Quicksilver Messenger Service. Ich war sehr jung, als diese Bands schon spielten, und obwohl ich aus San Francisco bin, habe ich mich nie richtig mit dem San Francisco Sound identifiziert. Weißt Du, ich habe das Gefühl, daß meine Band ihren eigenen Sound hat, der viel universeller ist – so gehen wir z.B. nach Brasilien, um von Brasilien zu lernen. Die Leute könnten sagen, wir machen einfach brasilianische Musik nach, aber was wir wirklich tun, ist aufnehmen und projizieren.

ME: Früher hast Du aber mit sehr professionellen Musikern gearbeitet, während die Band, die Du jetzt hast, eine sehr junge Band ist. Denkst Du, zukünftig wieder mit Leuten wie John McLaughlin oder Jan Hammer zu arbeiten?

CS: Ich arbeite gerne mit Jan Hammer, George Duke und mit dem Mahavishnu, aber ich habe das Bedürfnis, musikalisch zu wachsen. Und jetzt, auch wenn ich mich nicht gut genug fühle, um rumzuhängen, fühle ich mich doch gut genug, um mit der Band, die ich habe, beweglicher zu sein, weil ich mir einfach Zeit nehme, meine Musik eher zu vereinfachen als sie noch komplexer, kosmischer zu machen. Ich finde beides sehr gut, aber im Moment befriedigt mich die Einfachheit mehr.

ME: Welche Wirkung hat diese Band auf Dein eigenes Gitarrenspiel?

CS: Weißt Du, es ist sehr schwer, wirklich einfach zu sein, und diese Band ist unglaublich dynamisch – und das hat viel damit zu tun, daß sie keine Drogen nehmen. Wenn Du in den Ring gehst, und Du bist in guter Verfassung, kannst Du 5 Runden gegen Muhammad Ali durchstehen. Wenn Du aber kaputt bist, machst Du Dich selber KO. Diese Band inspiriert mich, weil sie so jung, unverdorben und so offen ist. Weißt Du, es gibt eine Menge Musiker, die, obwohl sie große Musiker sind, eine Einstellung haben, als schulde ihnen die ganze Welt irgend etwas. Und das ist unheimlich schlecht, denn ein Musiker ist vor allen Dingen ein Instrument, nicht mehr und nicht weniger. Darum bin ich sehr stolz auf die Musiker, die mich begleiten, weil sie sich dessen bewußt sind; sie sind sich bewußt, daß sie nur als Medium für die Musik dienen. Verstehst Du? Sie glauben nicht, daß sie unentbehrlich sind. Das ist nämlich genau das, was eine Band zum Untergang verdammt. Und darum inspirieren sie mich.

ME: Ich habe gemerkt, daß Bill Graham(der frühere „Fillmore“-Eigentümer) mit Euch reist.

CS: Er ist unser Betreuer und unser Manager. Er ist für uns, was Angelo Dundee für Muhammad Ali ist. Er trainiert uns, und er weiß besser als irgend jemand, was die Leute brauchen. Er setzt seinen ganzen Stolz daran, alles so hinzukriegen, daß die Leute sich wohl fühlen, und daß sie inspiriert nach Hause gehen, mit Energie gefüllt und mit dem Eindruck, mehr bekommen zu haben als sie erwartet hatten. Er ist stolz darauf, verstehst Du, und es gibt nur sehr wenige derartige Promoter. Die meisten von ihnen wollen nur Geld machen, und kümmern sich nicht richtig darum, ob die Leute eine schöne Zeit hatten oder nicht. Ihn interessieren Fortschritte, verstehst Du; während die meisten Promoter sich nur für den Erfolg interessieren; das sind aber zwei verschiedene Sachen!

ME: Wie schätzt Du heutzutage Tourneen ein?

CS: Als ich Tellerwäscher war, war’s für mich wirklich schwer, 5 Dollars zusammenzukratzen, um in ein Konzert zu gehen. Und als ich in ein Konzert ging, erwartete ich jemanden, der mir Freude und Dynamik gab. Wenn ich einen Musiker sehe, der auf seine Uhr schaut und sagt, „OK, ich werde eine halbe Stunde für Euch spielen, ich denke, das ist genug“, dann werde ich unheimlich böse. Genauso wenn ich jemanden sehe, der zu besoffen ist, um zu spielen. Darum erinnere ich meine Band immer daran, daß wir eine Aufgabe zu erfüllen haben. Je mehr Leute im Saal sind, desto mehr geben wir, denn ein Konzert ist wie ein Spiegel, der unsere Intensität steigert. Weißt Du, es gibt einige Musiker, die nur für andere Musiker spielen, und darum habe ich manchmal keine Lust, mit großen Musikern zu spielen. Manche dieser Leute sind irgendwie snobby, verstehst Du? Ich war auch so, aber die werden noch dazu lernen, genauso wie ich auch lerne.