Sei lächerlich!


Vor einem knappen Vierteljahrhundert hatte ein Ex-Designer und -Sado-Maso-Punk aus Trotz eine Idee, die als eine der kuriosesten "Revolutionen" in die Musikgeschichte einging - und als eine der kurzlebigsten: die erstaunliche Story von Adam & The Ants.

braucht man einen Künstlernamen, wenn man Stuart Leslie Goddard getauft ist? Heute, wo Popstars Hans Wurst und Biedermann heißen, eine müßige Frage. Ende der 70er, als mit Glam und Punk jeder alles und sich selbst ständig neu definierte, hätte sich wohl auch ein James Dean Bradfield Gedanken gemacht.

Stuart Leslie Goddard, am 3. November 1954 im Londoner Stadtteil Maryleborne geboren, wuchs als einziges Kind einer Arbeiterfamilie in einer Zweizimmerwohnung ohne Bad und Warmwasser auf“arm „, wie er später sagte, „aber nicht armselig: Es war immer was zum Essen auf dem Tisch. „Sein Vater, Sohn einer Sinti-Familie, war Chauffeur, die Mutter Putzfrau; zu ihren Kunden gehörte Jung-Popstar Paul Mc-Carmey. Stuart folgte seinem Talent zum Malen und Zeichnen, besuchte Kurse von Peter Webb und Allen Jones, die sich erotisch-sexuellen Motiven widmeten -besonders Jones‘ sadomasochistisch angehauchte Bildwelten begeisterten den Spät-Teenager.

In einem dieser Kurse lernte er 1971 Danny Kleinman kennen, der in einer Band spielte, die sich (nach dem Helden eines Kaugummi-Comics) Bazooka Joe nannte. Als deren Bassist ausstieg (der später die Vibrators gründete), war Stuart dabei – und fing sofort an, sich wie alle Mitglieder der Glamrock- Klamauktruppe wechselnde Phantasienamen zu geben („Eddie Riff war einer der langlebigsten). Die Bazooka-Show passte sich dem exaltierten Zeitgeist an: Vorgetäuschte Herzanfälle, inszenierte Schlägereien und Kunstblut waren aber nicht genug, um gegenüber der etablierten Konkurrenz von Alice Cooper bis Mott The Hoople Land zu gewinnen, zumal die Gruppe in vier Jahren 25 Umbesetzungen durchmachte. 1975 bat eine neue Londoner Band darum, im Vorprogramm von Bazooka Joe in der St. Martin’s School of Art ihren ersten Auftritt absolvieren zu dürfen. Es wurde ein Erweckungserlebnis, nicht nur für Stuart: Die Band hieß Sex Pistols. Noch am selben Abend beschloss er, künftig als Sänger aufzutreten, gründete mit Gitarrist Thomas Hardy („Lester Square“) und Bassist Andy Warren The B-Sides. Die drei fanden jedoch keinen Drummer und schafften es daher nie auf eine Bühne.

Mit dem Gefühl, einem abfahrenden Zug hinterherzulaufen, verfolgte Stuart im Sommer 1976 die Punk-Explosion, entwarf Logos, Kostüme, Covers für eine Band, die es gar nicht gab, und als es sie im März 1977 endlich doch gab, war der Sturm längst vorbei. Aber er war von seiner Idee, einer bizarren Mischung aus greller Punk-Härte und erotischer Romantik, so besessen, dass er nicht aufgab. Fasziniert von einer malerischen Darstellung des Gartens Eden nannte er sich Adam (und seine Frau Carol, die er 1975 geheiratet hatte, Eve), trug Bondage-Klamotten und belebte die B -Sides neu – unter dem Namen The Antz (vgl. „The Beatles„). Die visuell-musikalischen Ideen passten perfekt zum Post-Punk-Zeitgeist von Kollegen wie Siouxsie & The Banshees und Joy Division. Jordan, Geschäftsführerin des „Sex“-Ladens von Pistols-Manager Malcolm McLaren, war von dem Konzept so angetan, dass sie als Managerin (und manchmal Sängerin) einsprang. Am 10. Mai ’77 hatten Adam &.The Antz in der ICA-Cafeteria endlich ihren ersten Auftritt – der größte Teil des Publi kums reagierte mit Abscheu und Entsetzen (was als großer Erfolg galt). John Peel lud die Band zu zwei Radiosessions, Jordan verschaffte Adam eine Rolle in Derek Jarmans Punk-Film „Jubilee“ (mit den Antz-Songs „Plastic Surgery“ und „Deutscher Girls“ auf dem Soundtrack), bei der Queen-Jubilee-Party der Pistols auf der Themse rangelte auch Adam mit den Ordnungskräften, aber so recht wollte nichts vorangehen. Adams Ehe scheiterte; von Anorexie, Speed- und Tablettenkonsum zerrüttet, landete er in einer psychiatrischen Klinik, stürzte sich danach mit neuem Elan in die Karriere. Decca veröffentlichte die Single „Young Parisians“, schickte die Band auf Tour nach Belgien, Deutschland, Italien und kündigte dann den Vertrag; der Nachfolger „Zerox“/“Whip in my Valise“ beim Indie-Label Do It fand nur in Szene-Kreisen Gehör.

Als das (sperrige und streckenweise düstere, aber höchst faszinierende) Album Dirk wears WHITE sox erschienen und mit Matthew Ashman (Gitarre), Leigh Gorman (Bass) und Drummer Dave Barbarossa ein solides Line-up gefunden war, gelang es Jordan im Herbst 1979, Malcolm McLaren zu überzeugen, sich um die Antz zu kümmern – Worte reichten dafür nicht aus: McLaren ließ sich von Adam 1.000 Pfund bezahlen, spielte ihm seine damalige Lieblingsplatte von Black Burundi vor, empfahl ihm, es in diesem Stil zu versuchen (eventuell sogar mit zwei Trommlern!), visionierte von Piraten, Indianern und einer wilden neuen Jugend, die sich im Großstadtdschungel anarchistischen Sexspielen hingeben würde. Nach zwei Wochen Proben begann McLaren sein gewohntes Ränkespiel: Die Band, beschloß er, war ideal, um das Burundi-Konzept umzusetzen – aber statt mit Adam (der, fand er, sei zu alt und könne nicht tanzen) mit der 14-jährigen Sängerin Annabella Lwin (die er in einem Waschsalon „entdeckt“ hatte). An Neujahr ’80 hatte die neue Band ihren ersten und letzten Auftritt, dann wurden aus den Antz Bow Wow Wow, und Adam stand wieder ohne Begleiter da.

Aber McLarens wirre Visionen waren auf fruchtbaren Boden gefallen; schon aus Trotz sponn Adam sie weiter: Im Februar hatte er mit Bassist Kevin Mooney, den zwei (!) Drummern Chris „Merrick“ Hughes und Terry Lee Miall sowie Gitarrist und Banshees-Mitgründer Marco Pirroni als kongenialem Songwriting- Partner eine neue Band komplett und ging daran, auch gleich eine neue Musikrichtung („Antmusic“) und ein neues Zeitalter zu proklamieren: Indianer-Romantik, Sex und Piratenabenteuer statt den bizarren Schattenseiten der industriell-deprimierenden Großstadt. Während Bow Wow Wow/McLaren daran wurstelten, ein ähnliches Konzept mit radikal neuen Methoden (Kassetten statt Platten zur „Vernichtung der Musikindustrie“, ein Porno-Magazin für Teenager als Begleitlektüre) umzusetzen, unterschrieben Adam &The Ants nach einer UK-Tournee im Juni bei CBS und lieferten mit der Single „Kings Of The Wild Frontier“ das Manifest der Welle. Pirronis Melodiegitarre – beeinflusst von Früh-6oer-Instrumentalbands wie Shadows und Tornados, Calypso und einem bunten Mischmasch dessen, was man später „World Music“ nannte – lieferte auf dem ruppig don nernden Fundament der Doppel-Drums den Hintergrund für Adams sehnsüchtig-aufrührerischen Heulgesang und seine bildmächtig überkandidelten Texte, die oft aus purem Nonsens und onomatopoetischem Kampfgejodel bestanden. Das Etikett „New Romantic“, geprägt für den biederen Kommunions-Disco-Pop geschniegelter Kapellen wie Spandau Ballet, erhielteine neue Variante. Und als Adam und seine bun ten Gesellen – gekleidet in eine wüste Mischung aus Ethno-Psychedelic, Kostümfilmfundus und Kriegsbemalung- mit „Dog Eat Dog“ bei „Top of the Pops“ auftraten, brach der Sturm los: Ohnmächtig musste McLaren zusehen, wie sein verschmähter Ex-Schützling (der ihn übrigens bis heute bewundert) mit KINGS OF THE WILD FRONTIER die UK-Charts auf Platz drei enterte.

Nur John Lennons „Imagine“ gelang es, der programmarischen Single „Antmusic“ Platz eins zu verwehren. Im Januar ’81 thronte das Album an der Spitze, in seinem Windschatten tummelten sich alle bis dahin erschienenen Ants/Antz-Platten in den Top 40. Eine ganze Generation, die sich gerade noch distinguiert mit Fragen von Stil und urbaner Avantgarde befasst hatte, verfiel über Nacht in eine Art tribalen Rausch, plünderte Flohmärkte und kleidete sich wie die neuen Idole. Und obwohl die spitzen Federn der Zeitgeistpresse, die gehofft hatten, die Popmusik sei nach Punk endlich „erwachsen“ geworden, den Rummel geißelten, sprang der Funke in andere Länder über. Adam turtelte mit Celebrities wie Jamie Lee Curtis und ließ für „Bravo“ bereitwillig seine (selbstverständlich selbstentworfenen) Tätowierungen fotografieren. 1981 fand sich mit der Gründung von MTV das ideale Forum für die phantasievollen Kurzfilme, die die Ants zu ihren Singles drehten. In den USA ernteten sie einen „Grammy“ als beste neue Band, und als im selben Jahr das dritte Album prince charming zwei internationale Hits („Stand And Deliver“ und den Titelsong) abwarf, war ein Superstar geboren. Mochte seine Botschaft (der Spiegel ist die beste Waffe, Sex alles, Lächerlichkeit nichts, wovor man sich fürchten sollte, usf.) im Vergleich zu den Parolen anderer Post-Punks etwas dünn wirken – sie wurde begeistert aufgenommen. Selbst der Versuch, sich mit dem famos knallenden „Ant Rap“ an die Hip-Hop-Welle ranzuschmeißen, geriet zum Erfolg.

Was fehlte, waren gleichgesinnte Bands, um aus der Sensation einen „Trend“ zu machen. Bow Wow Wow kamen aufgrund ihrer anarchistischen Strategie nicht richtig aus den Startlöchern, und die restlichen New-Romantic-Bands gaben sich, obwohl manchmal exaltiert gekleidet, musikalisch eher zurückhaltend: Spandau Ballet bedienten brave Popper und Prä-Yuppies, Duran Duran schwelgten in Science-Fiction-Disco, und Mitläufer wie Classix Noveaux erregten nur herzliches Gelächter. Um nicht mit einer abebbenden Welle im Sand der Zeit zu versickern, zog Adam die Notbremse, entließ seine Band (mit der Begründung, sie zeige „zuwenig Enthusiasmus“) und machte alleine (mit Marco Pirroni) weiter. Die Singles „GoodyTwo Shoes“, „Place In The Country“, „Desperate But Not Serious“ und das Album friend or foe wurden seine größten Erfolge. Danach lief irgendwas falsch. Vielleicht hätte sich Adam ’83 auf strip nicht ganz so „seriös“ geben, vielleicht die Singles „Puss ’n Boots“ und „Strip“ nicht ausgerechnet von Phil Collins produzieren lassen sollen. Die Rückwendung zum knalligen Glamrock mit vive LE ROCK war dank Bands wie U2und Simple Minds unverkäuflich. Nach einem kläglichen Auftritt bei „Live Aid“ zog Adam den Stöpsel und begann eine neue Karriere als Schauspieler, die er nur gelegentlich unterbrach, um mal wieder ein Album zu wagen.

Aber irgendwas muss Stuart Leslie Goddard wohl auch richtig gemacht haben, denn Adam &. The Ants blieben verschont von den seit den 8oern periodisch durch die Popmusik schwappenden Revival-Wellen, die ansonsten noch den abseitigsten Unfug erfassen (und wenigstens zum „Kult“ küren). Nachfolgergab es nicht, auch als Einfluss wurde die Band kaum je genannt (wer mag, kann jedoch aus Johnny Marrs Gitarre auf Smiths-Alben sehr deutlich Marco Pirronis Spuren heraushören). Der Burundi-Piraten-Indianer-Pop blieb eine Einzelerscheinung, ein beispielloses Phänomen, dessen Wiederentdeckung (inklusive der Post- Punk- Früh werke) längst überfällig ist.