Slut live auf „ALIENATION“-Tour 2014 – so war es im Berliner Lido


20 Jahre, acht Alben, unzählige Nebenprojekte im Theater und der Literatur: Slut zeigten in Berlin eine Werkschau ihres Schaffens.

Theaterprojekte, Lesungen, Performances – es gibt nur wenige deutsche Bands, denen der Spagat zwischen den verschiedenen Kunstformen gelingt. Von Kante etwa weiß man, dass sie seit Jahren ihre musikalischen Ambitionen in theatralen Experimenten an der Berliner Schaubühne ausleben. Die österreichischen Wahl-Berliner von Ja, Panik stellen ihre intellektuell-verdenglischten Überlegungen statt in der Musik gerne auch mal in „performativen Lesungen“ vor. Und Tocotronic planen derzeit eine Operette mit dem für seine theorielastigen Theatertexte bekannten Regisseur René Pollesch.

Auch die Ingolstädter von Slut widmeten sich in den letzten Jahren vermehrt künstlerischen Nebenprojekten – von einer Neuinterpretation der „Dreigroschenoper“ bis zu einer Lesereise mit Juli Zeh im Rahmen ihrer „Corpus Delicti“-Romanveröffentlichung. Auch am 12. Januar 2014 beließen es die fünf Ingolstädter nicht bei einem „reinen“ Konzert, sondern blickten in einer Art Werkschau zurück auf ihre 20-jährige Bandgeschichte, ausgehend vom Debüt EXERCISE AND AMUSEMENT bis hin zum aktuellen Werk ALIENATION.

Von noch recht rauen Gitarrenklängen der frühen Phase über elektronisch angehauchte Melodien der mittleren hin zu gitarrenlastigen Hit-Melodien ihrer Major-Label-Phasen bis zu den experimentierfreudig-vielschichtigen Klängen ihrer aktuellen Platte spürt man den Wandel einer Band, die sich im 20. Jahr ihres Bestehens musikalisch wieder mehr hin zu ihren Ursprüngen und weg von den Hit-Essentials bewegt.

Treibender Rhythmus und die Muse-artigen melodramatischen Melodien stehen weiterhin im Vordergrund, doch wenn die Ingolstädter zu jedem neuen Stück der aktuellen Platte ein, zwei alte Hits ihrer früheren Alben streuen, dann spürt man die Brüche zwischen Damals und Jetzt.

Das zerklüftete „Broke My Backbone“ trifft da auf den „ALL WE NEED SILENCE“-Hit „Why Pourquoi (I think I like you)“, das mit Christian Neuburgers entrückt-melancholischer Stimme unterlegte „Remote Controlled“ auf das musicalähnliche „Dreigroschenoper“-Stück „Das Moritat von Mackie Messer“.

Doch weil auch ALIENATION aus verschiedenen Strömungen beeinflusst wurde – ganze fünf Produzenten steuerten ihre Ideen bei – laufen dieselben merklich unbrüchig wieder ineinander über. Produzent und Klez.e-Gitarrist Tobias Siebert, der fünf Songs der Scheibe in seinem eigenen Studio eine Straßenecke vom Lido entfernt aufnahm, darf dabei aus Dank nicht nur als Ein-Mann-Vorgruppe mit Plattenspieler auftreten, sondern auch als sechstes Bandmitglied bei der Slut-Performance fungieren.

Die Bühne im Berliner Lido ist umrahmt von sechs leeren Rahmenbildern, die von sentimentalen, schwarz-weißen wie farbigen Videoprojektionen beleuchtet werden – mitsamt Fotos aus Ingolstadt zum Titelsong ihre neusten Babys. Denn, man will es glauben oder nicht, „Alienation“ ist nach 20 Jahren der erste Song, der sich um ihre Heimatstadt dreht. Da können wir nur sagen: Auf weitere 20 Jahre, liebe Slut-Band!