Spin Doctors


Der Übernacht-Erfolg der Spin Doctors war einige Jahre in der Mache. Harte Zeiten, bevor sich die Band als Überraschung des Jahres 1993 etablierte. Mit ihrer nächsten CD wollen die vier New Yorker an „"Pocket Full Of Kryptonite" anknüpfen.

Eigentlich ist ja alles ganz normal: Chris Barron, Sänger der Spin Doctors, hängt an einem dicken Seil von der Decke, drei Rest-Doktoren tun, als sei nichts gewesen, der Fotograf liegt schreiend auf dem Boden, alle paar Sekunden verwandelt die Mammut-Blitzanlage des New Yorker Knipsers die Büroräume der Plattenfirma in das Zentrum eines Sonnenfleckens. Die auch sonst schon arg zerzausten roten Haare des SD-Sängers gehorchen zunehmend den Gesetzen der Schwerkraft, Barrons Augen treten langsam aber sicher aus den Höhlen. Die Spannung steigt, in jedem Sinn. Und all das, nur weil das neue Album „Turn It Upside Down“ heißt. „Nochmal!“, schreit der Fotograf. „Fotografen!“, schimpft Aaron Comess, Trommler der Band. Die Epic-Sekretärin, die sich die Fotosession nur mal ansehen wollte, verschwindet doch lieber.

Als Barron sich Hudini-artig windet, was dem riesigen Fleischerhaken in der Bürodecke wohl nicht gut tun kann. „Was macht man nicht alles für die Karriere!“, murmelt Aaron.

Der Druck ist um einiges höher geworden in der Praxis der Doctors, seit sie mit ihrem sensationellen Album „Pocket Füll Of Kryptonite“ nahe an die Sechsmillion-Grenze gestoßen waren. „Damals war die Welt für uns noch in Ordnung“, lächelt der Trommler mit einem gehörigen Schuß Ironie. Damals, das war „vor dem Erfolg!“, wie es heute innerhalb der Band fast ehrfürchtig heißt.

Monatelang war die Band im verrammelten Kleinbus durch die Staaten getingelt. „Chicken Little Tour! Wir spielten in Kneipen, deren Bühne mit Draht vor fliegenden Bierflaschen abgesichert war. Es gab Nächte, da saß ich in unserem Bus und fragte mich, warum ich das eigentlich durchmache.“ Das war bevor sie dann das ganze Glück des besagten Erfolgs über Nacht einholte. Aaron lacht schallend. „Naja, zumindestens kam unsere Plattenfirma auf die Idee, uns endlich mal ein wenig zu unterstützen.“ Das anfangs zögernde Backing der Plattenfirma („Um ’s mal etwas vorsichtig auszudrücken!“) hatte allerdings auch sein Gutes: „Wir wurden in Ruhe gelassen und bekamen diesen Anstoß zu sagen: Hey, wir sind die Spin Doctors und kommen nicht aus Seattle!“

Keine schlechte Lernkurve: Chris Barron mußte lernen, wie man mit einem Publikum von zwanzig-, dreißigtausend Leuten umzugehen hatte. „In ’nem Club stellste dich auf die Bühne und spielst. Auf ’ner Arena-Bühne mußt du organisierter sein und klare Aktionen zeigen. Du mußt beispielsweise von einer Bühnenseite zur anderen wechseln, dort irgendein kleines Ding machen, dann zurückkommen und vielleicht den Arm um Eric legen. Wichtiger ist

noch, du mußt die Menge in Schwung bringen wie einen Schneeball. Wenn der einmal rollt, brauchst du nur noch nebenherzurollen“, erklärt er seine Strategie. „Wir werden schließlich mit den Ikonen der Vergangenheit verglichen, mit Mick Jagger, Robert Plant, Keith Richards und Jim Morrison. Du mußt dich fragen, wie soll ich mich von dieser Generation unterscheiden? Andererseits haben die Kids Jimi Hendrix nie live gesehen. WIR sind ihre Band“, erklärt der Frontmann im Schmuddel-Look ganz selbstbewußt. Ein bißchen Arroganz hat in diesem Geschäft noch nie jemandem geschadet.

Dann kamen noch Erfahrungen hinzu wie der Auftritt bei Talkshow Superstar David Letterman, der die doch recht schrägen Vögel aus New York in seiner Show endgültig in den Rock-Olymp hievte, selbst wenn der dann auch nur fünfzehn Minuten haben sollte. „Das war ein sehr seltsames Erlebnis“, erzählt ein bartzupfender Chris Barron. „Wir mußten zusammen mit der Studio-Band spielen. Eine Bedingung, um bei Letterman auftreten zu dürfen. Selbst Bob Dylan wurde von Lettermans Hausband begleitet. Und wir hatten für’s Rehearsal nur eine Stunde Zeit! Aber danach kannte uns jedes Kind in Amerika. Ich wurde plötzlich von allen Leuten auf der Straße angesprochen.“ Was für den introvertierten Barron bald zur Quäl wurde. Der schlaksige Hüne in ausgebeulten Anzügen vom Flohmarkt paßt vom Aussehen und seiner Art eher in eine geschlossene Anstalt als auf eine Bühne vor Zwanzigtausend, ganz zu schweigen von der täglich praktizierten Anhimmelung schmachtender Teenager im Supermarkt. Aber das muß man laut Barrons Bandkollegen nicht so eng sehen. „Chris ist eigentlich am glücklichsten, wenn er daheim ein paar Pötte töpfern kann“, flüstert Gitarrist Eric Schenkman, wohl um die schlafenden Geister in Barron nicht zu wecken. Saitenmann Eric kennt sich da aus: „Sagen wir mal so, Chris ist für uns eine kreative Leitfigur. Deshalb geben wir ihm viel Freiraum. Sehr viel Freiraum.“

Chris Barron lächelt still in sich hinein. Er kann aber auch ernst sein, wenn er mal aus seinen zwanzig-minütigen gedanklichen Freiflügen auf den Boden von Epic Records zurückkehrt, die er in monotonem Singsong ohne Pausen runterrasselt. „Was wir den Leuten bieten wollen, ist Fun für ihr Geld, obwohl mir die Kohle eigentlich gar nicht sooo wichtig ist.“ Das von einem Mann, der für den Konsum von Pharmazeutika und Kräutern aus der legalen Grauzone berühmt sein soll? Das läßt er so nicht auf sich sitzen. Die Spin Doctors gehen prinzipiell nie bedröhnt auf die Bühne, weil: „Die Eintrittskarte ist für uns ein kleiner Vertrag, den wir unterzeichnet haben. Die Fans zahlen diese Summe und wir sorgen dafür, daß wir ausgeschlafen, nüchtern und konzentriert sind. Mein Vorbild ist unser Bassist Mark White, er ist ein Muster an Gleichmäßigkeit. In all den Jahren hat er vielleicht eine schlechte Show gehabt. Wenn du vor den Leuten stehst, dann gibt es keine Entschuldigungen mehr. Dann zählt nur noch eins, die Menge muß zum Rocken gebracht werden!“

Was den musikalischen Sanitätern gut gelingen könnte, wenn die sechs Tracks vom neuen Album, die aus den Bürolautsprechern dröhnen, was zu sagen haben. Die neuen Stücke unterscheiden sich von den Kryptonite Trax vor allem durch ungewohnte Funk-Grooves, der den Spin Doctors nachgesagte Hippie-Stil findet auf der neuen Platte nicht mehr statt. Wo soll’s denn hingehen mit der neuen Scheibe? „Der Erfolg der Spin Doctors wurde weder auf dem Reißbrett ausgetüftelt, noch ist er Produkt des vielzitierten Zufalls. Er wurde vielmehr hart erarbeitet“ , erinnert Aaron Comess nochmals an die Wanderjahre der Band.

„Deshalb gingen wir an die neue Scheibe auch erstmal ohne richtiges Rezept ran.“

Kritiker hatten denn die Eingängigkeit der handwerklich ausgereiften Titel von „Kryptonite“ gelobt, stellten aber zugleich eine starke Nähe zum Schaffen von Größen wie Steve Miller, Grateful Dead und Lynyrd Skynyrd fest. Haben diese Vergleiche die Band in ihrem Debütanten-Stolz verletzt? „Nein“, wehrt Comess gleich ab, „alle drei genannten Größen sind doch wirklich Acts, die längst jenseits von Gut und Böse stehen. Ich bin mir absolut sicher, für das neue Album werden sich die Leute neue Vergleiche einfallen lassen müssen.“

War der Druck sehr groß, mit dem Nachfolger an den Erfolg von „Kryptonite“ anzuknüpfen? „Das kommt und das geht“, monologisiert Herr Barron in seinen Bart und in die damit verknüpfte Hand. „Die Plattenfirma erinnerte sich an uns, als wir schon erfolgreich waren. Und dann wollten sie gleich bei allem mitreden. Das ließ aus unerfindlichen Gründen wieder nach.“ Aaron muß schallend lachen bei dieser Bemerkung seines Sängers.

„Aber der eigentliche Druck, der viel stärkere, kommt von uns selber. Manchmal frage ich mich, ob mir morgen früh noch ein Lied einfällt, und wenn es mir einfällt, ob es den Leuten gefällt. “ Dann schweigt er ein Weilchen, läßt seinen Bart in Ruhe, und sagt: „Aber auch das geht irgendwann einmal vorbei.“ In solchen Fällen ist man sehr leicht versucht, den Commercial Appeal zu vergrößern, wie das so schön im Tonträgerbereich heißt.

Die wenigen Songs, die es schon zu hören gibt, deuten in eine solche Richtung. „Findest du?“, fragt Aaron Comess überrascht. „Wir finden den Unterschied zu ‚Kryptonite‘ gar nicht so kraß. Im Gegenteil, wir fragten uns eigentlich, ob wir wohl irgendwie mal was anderes machen sollten, wie mit der Ersten, aber dann meinte Chris, ,Laß uns doch nur mal ein bißchen Musik spielen und sehen, was am Ende dabei rauskommt‘.“ Einfach, oder nicht?

„Nochmal! Bitte!“ schreit der Fotograf zur Türe rein, aber Barron hat sich schon längst abgeseilt.