Supertramp


urei Jahre lang waren sie wie vom Erdboden verschluckt. Zwar mußte unser Gesprächspartner, Saxofonist John Helliweil, inzwischen seinen blonden Schopf opfern, doch die Musik kommt in der Traumfabrik noch immer vom gleichen Fließband: „Bei uns gib/’s keine drastischen Veränderungen.“

So etwas passiert doch immer nur Steve Lake (oder neuerdings auch Gabriele Meierding), kommt mir in den Sinn: Arger mit dem Recorder! Ich sitze also nach getaner Arbeit, einem Gespräch mit Supertramps Saxofonisten John Anthony Helliweil, in meinem Hotelzimmer und denke: Hör‘ mal rein, ob du sein Englisch auch gut verstehst. Und dann: Nichts, nur sattes Rauschen auf dem Band!

Scheiße! Menschliches Versagen! Solche Pannen hat es bei Supertramp noch nie gegeben das ist das einzige Resümee, das ich aus dem vorherigen Gespräch in Erinnerung habe. Und sonst? Die Erinnerung an eine gemütliche Plauderei, doch kein Satz des Künstlers technisch konserviert, kein Originalzitat. Sollte also der ganze Aufwand umsonst gewesen sein: der Flug nach Frankfurt, das tagelange Anhören aller Supertramp-Platten?

Ich nehme also meinen Mut zusammen, rufe John in seinem Hotel an und schildere ihm mein peinliches Malheur. Er meint, sehr freundlich, nochmals das gleiche Interview ginge nicht, denn er hätte bis in den späten Abend hinein weitere Termine, aber ich solle doch zum Dinner kommen.

Ja, so ist das: Sie haben wenig Zeit zur freien Verfügung, die Vertreter der Supergruppen, die Goldesel der MusikmuMs. John hatte mir erzahlt, daß seine Gruppe nach dem Erfolg des Albums CRISIS? WHAT CRISIS? Mitte der siebziger Jahre auch aus steuerlichen Gründen komplett in die USA übergesiedelt ist. (Die Band besteht aus drei Engländern, einem Schotten und einem Amerikaner.) Supertramp-Platten haben seit CRIME OF THE CENTURY international astronomische Verkaufserfolge erreicht. So waren von ihrem vorletzten Studio-Album BREAKFAST IN AMERICA nach einem Jahr weltweit über 11 Millionen abgesetzt. Erscheint nun ein neues Album, wie jetzt FA-MOUS LAST WORDS, wird es auch weltweit und simultan promotet. Die Bandmitglieder selbst werden dabei kräftig in den Werberummel eingespannt.

Bei Supertramp heißt das, daß jeder Einzelne nach und nach die konsumkräftigsten Nationen der Erde abklappert. Die Songschreiber Rick Davies und Roger Hodgson beackern den riesigen amerikanischen Markt, dem Bassisten Dougie Thomsen und dem Drummer Bob Siebenberg wurden Japan und Kanada zugeteilt und John A. Helliweil schließlich steht den europäischen Medien 14 Tage lang zur Verfügung. Nur zwei Tage davon sind für die Bundesrepublik vorgesehen, vollgestopft mit Presse- und Rundfunk-Interviews.

John ist auch hier ein Profi, er nimmt das ewig gleiche Spiel, die ewig gleichen Fragen – wie ich später feststellen kann – mit Gleichmut hin. Sicherlich wird er auch wissen, daß sich das Ergebnis solcher Aktionen irgendwann von seinem Kontoauszug ablesen läßt.

Helliweil hat sich ein gutes Leben angewöhnt. In der Nähe von Los Angeles hat er sich auf einem der schönsten (und wahrscheinlich auch teuersten) Fleckchen dieser Erde niedergelassen. Der heute 37-jährige wohnt dort mit Frau und siebenjährigem Sohn. Wenn ihn die Arbeit mit Supertramp nicht davon abhält, frönt er seinen Hobbies: dem Saxofon und seiner Moto Guzzi „Le Mans“. Außerdem strampelt er mit Begeisterung früh morgens auf dem Rad durch die herrliche Landschaft Kaliforniens.

Als ich ihm hinsichtlich einiger Texte auch mal politisch auf den Zahn fühlen will, gibt er sich jedoch sehr zurückhaltend. Das seien die Worte von Rick und Roger – er selbst wisse nicht immer, was die sich dabei gedacht hätten. Auch sei er grundsätzlich k kein politischer Mensch: „Bei unserer abgehobenen Stellung bekommt man von diesen Dingen nicht mehr soviel mit.“ Jedenfalls nimmt er die Dinge, die ihn selbst, seine Band und seine Musik betreffen, ungemein ernst. Fragen danach beantwortet er mit sorgfältigen Formulierungen, zu spontanen Äußerungen provozieren läßt er sich nicht Einer seiner Lieblingsausdrücke lautet: “ Wir taten unser Bestes, daß …“

Darin liegt wohl auch der Schlüssel zum Begreifen des Erfolgsgeheimnisses von Supertramp. Seit ihrer Neuformierung 1973 (davor gab es zwei wenig beachtete Alben), also seit CRIME, ist die Gruppe an jedes Detail der Musik und ihrer Präsentation mit äußerster Sorgfalt herangegangen. An sich selbst legt man den Anspruch virtuoser Spielkunst, aber auch von den Mitarbeitern und der Technik verlangt man größtmögliche Perfektion. Bei Supertramp wird die Perfektion zur Weltanschauung, zum Perfektionalismus.

Daß die Spontaneität dabei auf der Strecke bleibt, gesteht auch John Helliwell ein. “ Was auf der Bühne wie eine Improvisation aussieht, haben wir vorher lange geprobt.“

Mir fallt das Stichwort „Hollywood“ ein, das Sinnbild für die größte Unterhaltungsmaschine, die die Menschheit je gebaut hat, die Traumfabrik. Kommt meine Assoziation daher, daß die Gruppe nach und nach immer unverbindlicher geworden ist selbst nur noch Traummusik produziert, so daß sogar die Disney-Productions die Gruppe liebend gern für einen Soundtrack gewonnen hätte? Wer redet da noch von Krise. Welcher Krise?

Ich kam dann doch noch zu einem zweiten Interview. Beim Essen im Hotel war auch ein echter Supertramp-Kenner anwesend, der Brite Mick Kiss, der für den Armee-Sender BFBS ein Feature über die Band machen sollte. Mick zeigte Verständnis für mein Problem – und da die Konkurrenz zwischen Presse und Rundfunk nicht so hart ist, erlaubte er mir, mich an seinem Interview zu beteiligen. Thank you, Mick.

Beim Tischgespräch fragen wir Helliwell, der sich als Gourmet und Weinkenner erweist, was an dem Gerücht sei, daß er sich gleich ein ganzes kalifornisches Weingut zugelegt habe. Leider bleibt er uns die Antwort schuldig, weil er sich schnell vom Koch die Speisekarte signieren lassen muß. John sammelt signierte Speisekarten aus aller Welt und ich denke im geheimen: Jeder Engländer behalt wohl seinen Spleen, auch wenn er in Amerika lebt.

Doch ehe ich noch weiter über die Feinheiten der britischen Mentalität sinnieren kann, beginnt die zweite Interview-Runde.

John, du bist erst seit dem dritten Album, CRIME… bei Supertramp. Wie bist du da überhaupt reingerutscht?

„Ich spielte damals mit Dougie Thomson bei der Allan Bown Band. Als Sänger hatten wir beispielsweise Leute wie Jess Roden und Robert Palm er. Als sich die Band auflöste, gingen Dougie und ich eigene Wege. Wir hielten uns als Begleitmusiker in Clubs über Wasser undm achten jeden Job, den wir kriegen konnten. Dougie schloß sich dann ’72 Supertramp an. Als sie noch einen Saxofonisten suchten, schlug er mich vor. Ich spielte zu der Zeit gerade in Armee-Clubs in Wiesbaden. Das war im August ’73“.

Wie war eure finanzielle Situation damals?

„Es gab keine finanzielle Situation. Wir waren völlig pleite.“

Aber es gab doch einen gewissen Sam, der euch finanziell unter die Arme gegriffen hat?

„Das war vor meiner Zeit. Sam ist ein holländischer Millionär, ein Exzentriker. Er sponserte seit etwa 1969 Rick, damit er die Gruppe überhaupt auf die Beine stellen konnte. Er ließ sie in seinem Haus in der Schweiz proben, kaufte Instrumente und ermöglichte die ersten A uftritte. Etwa zwei Jahre lang. Weil er aber wenig Ahnung von der Musikindustrie hatte, konnte er nicht mehr für die Gruppe tun. Man trennte sich gütlich.“

CRIME… war dein erstes Album mit Supertramp. Welcher Gedanke stand hinter dem Konzept des Albums?

“ Wir stellten damals fest, daß wir iünf uns blendend verstanden, wir lebten zusammen, wir probten zusammen. Und diesen Eindruck wollten wir auch auf derPlatte vermitteln. Diebeiden ersten Alben SURELY und IN -DEL1BLY STAMPED waren doch etwas schwach auf der Brust. Aber nun lief es so gut, daß wir wußten: Jetzt kann der Knoten platzen. Wir wollten unser Bestes geben, damit dieses Album nicht so untergehen würde wie die Platten zuvor. Wir strengten uns unglaublich an, nahmen unsere besten Songs und suchten uns ein Thema, das alles zusammenhalten sollte.

Dazu kam der hervorragende Produzent und Toningenieur Ken Scott, der viel dazu beitrug, unseren Sound zu finden. Wir haben das beste Album gemacht, das wir zum damaligen Zeitpunkt machen konnten.“

Wie würdest du denn den speziellen Supertramp-Sound beschreiben?

„Es ist eine einzigartige Korn bination von fünf individuellen Musikern: des Saxofons, das ja bis dahin noch relativ ungewöhnlich in der Rock-Musik war, des kräftigen, gradlinigen Schlagzeug- und Baß-Spiels, der Betonung der Keyboards, des Flügels und des elektrischen Pianos, wo wir nicht wie üblich ein Fender, sondern ein Wurlitzer benutzen. Und dann diese zwei sehr verschiedenen Stimmen und die high harmonies.

Wenn wir fünf spielen, paßt das alles zusammen. Ich halte diese Kombination für ziemlich einzigartig, wir haben damit unser eigenes kleines Gebiet innerhalb der Rock-Musik abgesteckt. Wir lehnen uns an keine Trends an, sondern verfolgen unseren Stil weiter.“

Klingt deshalb FAMOUS LAST WORDS so ähnlich wie seine Vorgänger? “ Wir haben nicht versucht, uns in einer vorherbestimmten Richtung zu verändern. Wir haben an unserem Sound weitergestrickt. Es gibt keine drastischen Veränderungen. Wirwollen nicht um desÄnderns willen verändern. Wenn Veränderungen kommen, dann kommen sie automatisch.“

Der neue Album-Titel läßt den Verdacht auf ein Ende von Supertramp aufkommen. Ist da was Wahres dran?

„Nein, nein. Es wird definitiv noch weitere Supertramp-Alben geben. Wie diese aussehen werden, wird sich erst herausstellen, wenn wir sie machen. Aber momentan ist es tatsächlich so, daß wir individuell aus dem Rahmen der Band ausbrechen und Sachen aus der Kiste packen, die wir mit Supertramp nicht realisieren können. Wenn es dich beruhigt: Wir werden 1983 auch auf Tournee gehen, in Europa etwa sechs Wochen im Juni und Juli. Danach nehmen wir dann voraussichtlich das neue Album in Angriff. Und vielleicht wird dann auch an ein, zwei oder drei Soloprojekten gebastelt. Es ist schließlich nicht einzusehen, warum diese nicht gleichzeitig mit einem Supertramp-Album laufen sollten.“

Es hat von BREAKFAST IN AMERICA bis zum neuen Studio-Album drei Jahre gedauert. Was habt ihr in dieser Zeit eigentlich getrieben?

, “ Wir haben bis 1979, als wir zuletzt auf Tournee waren, die ganze Zeit aufeinander gehockt. Wirbrauchten dringend eine Pause voneinander. Wir haben uns für fast 18 Monate getrennt und nur kurz getroffen, um das Live-Album PARIS abzumischen. Vor einem Jahr haben wir uns dann wieder zusammengesetzt, geprobt und dann das neue Album aufgenommen.“

Ihr geht ja mit äußerster Sorgfalt an eure Veröffentlichungen heran. Inwieweit behaltet ihr euch die Kontrolle über das endgültige Produkt vor? „In den Staaten gibt es große Probleme mit der Qualität von VTonträgern. Wir haben deshalb darauf bestanden, daß unsere {Alben in Vinyl der besseren ^Qualität gepreßt werden. Außerdem waren wir die erste Gruppe in den USA, die ihr Album auf Chromdioxyd-Cassetten veröffentlicht hat. Die Mehrkosten haben die Plattentirma und wir getragen. Wir versuchen auch hierbei, nur erste Qualität zu liefern. Wir machen anspruchsvolle Rock-Musik, die erst durch HiFi richtig klingt.“

John, noch eine persönliche Frage zum Schluß: Du trägst deine Haare jetzt viel kürzer als früher. Ein Zugeständnis an den Zeitgeist?

„Eigentlich wollte ich sie schon während der letzten Tournee abschneiden. Aber unser Lichttechniker meinte, sie würden im Bühnenlicht so schön glänzen. Also mußte ich warten. Als die Tour dann aber vorbei war, waren auch die siebziger Jahre zu Ende und meine Geduld ebenso. Der Zopf mußte ab.“