The Flaming Lips live in Berlin: Botschaften aus der Betterworld


Im Berliner „Huxleys“ fuhren die Neo-Psychedeliker aus den USA am Dienstagabend wieder ihre bekannte Überwältigungsstrategie. Kannte man alles schon. (Bis auf die Sache mit dem Einhorn.) War aber trotzdem großartig.

„Ob sie das wieder mit dem Ball machen… und das mit den Ballons?“ „Klar, aber hey, nicht so laut: Miriam und Maj haben die noch nie live gesehen!“ Tatsächlich ist dieses Ritual vor einem der hierzulande leider eher raren Konzerte der Flaming Lips immer wieder zu beobachten: Wer sich als Novize zu erkennen gibt, wird fortan von bereits eingeführten Mitgliedern der Glaubensgemeinschaft erwartungsvoll beäugt, als würde sich inmitten dieses Erwartungskreises gleich jemand zum Schmetterling entpuppen. Oder es passiert irgendetwas mit Einhörnern!

Doch vielleicht hätten all die professionscoolen Berliner Checker, die schon in den Neunzigern oder den frühen „Pink Robots“-Nullern zum Lipsianer-Orden übergetreten sind, im Vorfeld doch noch ein bisschen was davon verraten sollen, was für ein Glückshormon-Verschüttungs-Spektakel diese 34 Jahre alte Bande aus Oklahoma City live bietet. Dann hätte deren einziges Deutschlandgastspiel nicht von der „Columbiahalle“ in das deutlich kleinere „Huxleys“ verlegt werden müssen.

Wieder so ein Glückshormon-Verschüttungs-Spektakel: die Live-Show von Wayne Coyne in Berlin
Wieder so ein Glückshormon-Verschüttungs-Spektakel: die Live-Show von Wayne Coyne in Berlin

Egal, wer reingefunden hat, freut sich jetzt allein schon über diese ganze Vorfreude, die die hohe Hütte an der Hasenheide vibrieren lässt. „… Tschuldigt, was hattet ihr da gerade mit Bällen?“ Und dann kommen sie schon! Aus dem Nichts. Nach einem 1974er-Progrock-Gedächtnis-Intro zu „Race For The Prize“ zählt einer der beiden Drummer mit Wikingerbrautperücke den Brachialrumms dieses kleinen MTV-Hits von 1999 ein und plötzlich sind sie überall: auf den Händen tanzende, fliegende Riesenballons, allen Raum dazwischen füllt Glitzerkonfetti genug für ein ganzes Super-Bowl-Finale, wir werden mit Licht geflutet, und die beiden Wikingerbräute tuschen mit ganzer Kraft ihre Becken. Dazu zeigt der umtoste, wirrhaarige Wayne Coyne, an seiner Zweireiher-Fantasylord-Uniform zuverlässig als offizieller Botschafter von Betterworld zu erkennen, mit seinen Armen Richtung Himmel: Da komm ich her, da gehen wir hin, macht hoch die Tür, auf das Herz, holt die Sonne rein (die kommt dann gleich noch bei „Yoshimi Battles The Pink Robots, Pt. 1“ persönlich auf die Bühne getapst, ganz der dicke Smiley, und wird von Wayne umarmt), undsoweiter. Vermutlich könnte selbst ein einigermaßen lärmresistenter Primat die Botschaft dieser Band verstehen. Und er würde sich freuen.

Nebel für fünf Londoner Winter, Blitzlicht obendrauf

Heruntergebremst kann man aber auch sagen: Wer sein Konzert mit so einem Knall eröffnet wie ihn andere anerkannte Showrockbands nicht einmal zum Finale hinkriegen, und trotzdem in den folgenden knapp zwei Stunden nicht einknickt, der trägt die Erbprinz-Würde der hohen Häuser zu Prog und Psychedelia nicht von ungefähr. Was die Flaming Lips dabei aber auch noch liebenswert macht: Ihre Show will nicht perfekt sein. Auf- und Umbau, Wayne in Socken, Roadies, die diese ganzen Bälle wieder irgendwie in den Griff kriegen müssen und den aufgeblasenen Regenbogen und das Einhorn… Gehört alles dazu! Und vor allem: das Publikum, das der Band unablässig ins Gesicht strahlt.

Regenbogen, Einhorn und Konfetti… gehört alles dazu bei einem Flaming-Lips-Konzert.

Da merkt jemand, vermutlich von der anderen, dunklen Seite der Hasenheide, an: Aber kommt bei dem ganzen Spektakel die Musik nicht zu kurz? Nein, sie fährt einem trotzdem rein, nur ein wenig unbewusster vielleicht. Die flächig-synthetischen, hypnotischen und sehr melancholischen Stücke des aktuellen Albums OCZY MLODY sogar um so doller, weil einem die Bässe des analogen Synthesizers ungeahnte körperliche Erfahrungen verschaffen.

Weitere Höhepunkte: Die Lips widmen das gewaltige „Pompeii Am Götterdämmerung“ dem kürzlich verstorbenen Can-Drummer Jaki Liebezeit und pumpen dazu Nebel für fünf Londoner Winter in den Saal. Blitzlicht obendrauf – fertig ist das psychedelische Freak-out! Sie spielen „Space Oddity“, Wayne Coyne lässt sich dazu in seiner heißerwarteten großen Plastikkugel vom Auditorium herumkugeln und erklärt danach, warum sie nach ein paar Bowie-Tribute-Shows vom letzten Jahr einfach nicht mehr damit aufhören können, diesen Song zu spielen. Dann noch das Wahnsinns-Riff von „The W.A.N.D.“. Nur eine Zugabe: aber natürlich „Do You Realize??“  Ach so, und dann war da natürlich noch die Sache mit dem Einhorn! Alles leuchtet!

Hella Wittenberg
Hella Wittenberg