The Singles


Beginnen wir mit einer kleinen München-Anekdote, Berlin gibt’s dann später. Neulich in tiefster Nacht auf halbtrunkenem Heimweg unten „Im Tal“ im amerikanischen Schnellrestaurant. Ich lerne Carolin kennen, die vor mir in der Schlange steht. Sie liest immer „The Singles“, sagt sie. Vor allem das, was ich über Iggy Pop geschrieben habe, hat sie sehr zum Lachen gebracht. Ich kann mich zwar nicht daran erinnern, was ich über Iggy Pop geschrieben habe, widme diese Ausgabe aber von ganzem Herzen Carolin, die darauf verzichtet hat, eine Mahlzeit beim amerikanischen Schnellrestaurant zu erwerben, weil sie sich den Satz,, Es gebt nichts über eine ausgewogene Ernährung“ ins Stammbuch hat schreiben lassen.

Da ist mal wieder die Idee viel besser als die Ausführung. Allä, mexikanisch-amerikanische Band aus Chicago, hat sich auf „Digs“ (Crammed Discs/Indigo) fünf Fremdkompositionen vorgenommen. Und was für welche: „Love Lockdown“ von Kanye West, „It’s A Rainy Day, Sunshine Girl“ von Faust, Sachen von den Residents von Terry Riley & John Cale und Los Dugs Dugs. Aber dieser Kraut-Pop, mal psychedelisierend, mal ausufernd jammend, geht einem beizeiten auf den Wecker. Nach dem ebenso komplexen wie verspielten SOOL-Album kommt Ellen Allien auf „Lover“ (BPitch Comrol/K-ompakt) wieder zur Tagesordnung zurück. Auf der A-Seite, die mit einer bouncenden Bassline ausgestattet ist, kriegt die „Fee des Berliner Techno“ (O-Ton Presseinfo) mit Leichtigkeit die an und für sich schwer zu nehmende Kurve zwischen housigem Minimalismus und weirden Soundeffekten. „You Are“ auf der B-Seite kickt dann stoisch drauflos mitten auf die Tanzflache.

Wo wir gerade in Berlin sind (man beachte die Symbolik!), ist Gavin Russom nicht weit – der eine Teil des Psychedelic-Weirdo-Duos Gavin Russom & Delia Gonzalez hat sich unter dem Namen Black Meteoric Star selbstständig gemacht. Bei einer Gesamtspielzeit von 30 Minuten für die zwei Tracks „Dreamcatcher / Dawn“ (DFA) von einer „Single“ zu sprechen, ist eine maßlose Untertreibung. Eine episch in die Länge gezogene Mischung aus Detroit Techno, Früh-70er-Experimentalelektronik aus Deutschland und Euro Disco. Schön hypnotischer late night/early mormng Techno, kompromissbereiter als alles, was wir von Russom bisher zu hören bekamen.

Auch wieder ein mächtiger „Grower“, den sich Bloc Party da mit ihrer Non-Album-Single „One More Chance“ (Wichita/Cooperative Music/Universal) ausgedacht haben. Ein Indie-EIectro-Bastard mit einer wahnsinnigen Piano-Hookline und allerlei Flirre-flitzeblubber-Sounds, der zunächst kritisch betrachtet wird, um später umso mehr geliebt zu werden. Aber wem sage ich das? Wer das hier liest, sollte rechtmäßiger Besitzer der 7-Inch-Version dieser Single sein.

Diplo und die Crookers f lippen schon mal aus wegen Boy 8-Bit, dem Projekt von Dave Morris aus South London. Die EP „Baltic Pinc“ (This Is Music) enthält einen niedlichen Mix aus Minimal-Music auf elektronisch, kristallklaren Bleeps und Blongs, 80er-Jahre-Horrorfilmsoundtrackmusik, Dancefloorgrooves, tiebertraumigem Minimal-Techno, 8-Bit-Music, und einmal darf ein Akkordeonsample für Aufruhr auf dem Tanzboden sorgen.

Die nächste Single aus dem Hell-Album TEIFELSSERK. Trevor Jackson verwandelt den ultradüsteren Avant-Techno-Track „Hell’s Kitchen“ (Gigolo/Rough Trade) im über 18-minütigen „Playgroup Remix“ in ein in allen Farben des Disco-Punk schillerndes, groovendes und leicht psychedelisches Ungetüm von Remix. Wir unterbrechen die Rubrik für eine Eilmeldung aus Berlin. TheeS Lhlmann schickt per E-Mail einen Cartoon. In einem Konferenzraum im Schatten des Fernsehturms brüten neun Anzug-/Kostüm-Trägerlnnen über einen Slogan für die geilste Stadt der Welt: „Alle Arschlöcher sind schon hier, DU fehlst noch.“ Danke, Thees.

Es könnte ja sein, dass Sie langsam genug haben von langhaarigen, vollbärtigen Zausein und schiachen Grattlern (dt.: unhübschen Pennern), die ungefragt ihre Gefühle zur Begleitung von Musikinstrumenten, die aus Bäumen hergestellt werden, in die Welt tragen. ABER: Wenn in dieser Rubrik Sternchen vergeben werden würden, bekäme “ Among The Gold“ (Karate Body Records – US-Import), die 10-Inch von Cheyenne Mize And Bonnie „Prince“ Billy, glatte ******. Der Prince hat mit der Singer/Songwriterin aus Louisville, Kentucky, sechs amerikanische Traditionals aus den Jahren 1874 bis 1913 aufgenommen. Simpler, anrührender, umwerfender und wunderbarer Ur-Folk.

Da hat Marcus Lambkin aka Shit Robot, ein Ire im Stuttgarter Exil, erst seine dritte 12-Inch draußen und claimt zu Recht den Farne als discopunkigerTanzbodenzauberer. „SimpleThings (Work It Out)“ (DFA) ist ein midtempo Acid-Disco-Schleicher mit der Stimme von Ian Svenonious (früher bei The Make-Up), der hier „Losing My Edge“-mäßig sprechsingt. Die „Todd Terje Version“ des norwegischen Nu-Disco-Magiers legt die Acid-Bassline zwei Etagen tiefer. Auf der europäischen Version und im digitalen Download-Paket gibt’s die exakt zehnminütige „Serge Santiago Version“, die den Track zunächst auf Bassdrum und-line reduziert, um zwischenzeitlich einen kleinen Acid-Wahnsinn zu veranstalten.