Van Morrison – Fremder in einem fremden Land


„Ihr mögt Euch vielleicht fragen, was jemand wie ich auf einer Rock’n’Roll-Veranstaltung wie dem Rockpalast verloren hat. Nun, um ehrlich zu sein, das frage ich mich selbst“

Die Zeichen standen auf Sturm. Der Versuch, den großen Eremiten der Rockmusik zu interviewen, wurde von den Kollegen aus der Journaille nur mit einem mitleidigen Lächeln bedacht. In bester Erinnerung sind Fälle, in denen sich Morrison zwar nach langem Zögern zum Interview bereit erklärte, dann aber jeder Fragen mit einem „Kein Kommentar, nächste Frage“ konterte. Einen englischen Journalisten, der ihm auf eine vage Interview-Zusage sieben Tage lang gefolgt war, ließ er nach einer Woche gar mit den Worten abblitzen – nein, er habe jetzt doch keine Lust.

Daß das folgende Interview dennoch zustande kam, ist zunächst einmal der Hilfestellung eines gemeinsamen Bekannten zu verdanken. Eine weitere Voraussetzung war die Unterzeichnung eines Vertrages, den plötzlich Morrisons Agent Paul Charles aus dem Zylinder zauberte.

Bedingung Nr. 1: Das Interview darf nur einmal in einer Zeitung, also dem Musik Express abgedruckt werden.

Vertrags-Punkt Nr. 2: Um möglichen Mißbrauch von aus dem Zusammenhang gerissenen Zitaten zu vermeiden, wandert das Copyright automatisch an Morrisons Produktionsfirma Caledonian Productions.

War es da noch ein Zufall, daß das Interview in der Nacht zum 1. April stattfand?

Das Gespräch begann erwartungsgemäß: Morrison mißmutig, genervt und offensichtlich deplaziert. Was er zwei Tage später über seinen Auftritt im „Rockpalast sagen sollte, hätte ohne Abstriche auch auf die Umstände des Interviews zugetroffen. Mehrmals stöhnte er demonstrativ auf oder murmelte, daß er doch schon alles in früheren Interviews gesagt habe. Nach einigen Minuten aber war das Eis gebrochen, der große Schweiger zeigte sich von einer erstaunlich kommunikativen Seite:

Warum überhaupt „Rockpalast“? Es ist doch offensichtlich, daß du dich in diesem ganzen Rummel nicht wohlfühlst.

„Meine Plattenfirma hat mich benachrichtigt, daß das neue Album in Europa vielversprechende Reaktionen bekommt. Sie fragten, ob ich die „Rocknacht“ machen wolle. Das war’s. Aber du hast doch nie viel Wert auf die Wünsche deiner Plattenfirma gelegt Gab oder gibt es einen Manager, der dir solche Wünsche ans Herz legt?

„Nein, ich manage mich selbst.“

Was vermutlich nicht zu deinen bevorzugten Beschäftigungen zählt?

„Ich glaube, jeder Künstler sollte sich selbst managen. In meinem Fall jedenfalls hat ein Manager keine Funktion. Vielleicht braucht man sie, wenn man eine Karriere startet. Ich brauche sie nicht. Letztlich ist es der Künstler, der seine eigenen Entscheidungen treffen muß, ein Manager kann nur Vorschläge machen.“

Versucht die Plattenfirma eigentlich noch in irgendeiner Form, in deine Musik hineinzureden?

„Nein, nein, nein. Ich habe in früheren Interviews alles gesagt, was dazu zu sagen ist. Vielleicht sollte ich dir eine Kopie davon geben. Jedenfalls … ich habe meine eigene Produktionsfirma, wir liefern das Band ab- und die Plattenfirma tut im Prinzip nichts anderes, als es zu vertreiben. Aber ich habe dieses Thema in früheren Interviews ausgiebig behandelt, ich muß darüber nicht mehr reden.“

Sprechen wir von was anderem. Du kommst regelmäßig auch privat – von Kalifornien nach Europa. Spürst du da eigentlich noch immer den berüchtigten culture-shock?

„Ich habe mich daran gewöhnt. Man gewöhnt sich an alles, wenn man es oft genug macht.“

Lösen denn die Besuche in Europa, speziell in Irland, bei dir ein kreatives Hoch aus?

Ja, ich habe festgestellt, daß ich mehr Songs schreibe, wenn ich in Europa bin. Es scheint eine stimulierendem Atmosphäre zu sein.“

Im Vergleich zum entspannten Kalifornien.

„Ich finde Kalifornien überhaupt nicht entspannt. Das ist ein falscher Eindruck. Im Gegenteil. Ich halte es für hektisch und verkrampft, zumindest in meinem Beruf, innerhalb meines Horizontes.“

Wieso denn hektisch und verkrampft?

„Es gibt dort einfach zuviele Menschen.“

Du meinst, daß zuviele Rassen und Kulturen aufeinander prallen?

„Es gibt einfach zu viele Menschen. Punkt. Das ist alles. Zu viele Menschen.“

Du sagst, Songs zu schreiben fiele dir in Europa leichter. Wieviel Zeit nimmt das denn in Anspruch, wie läuft das überhaupt ab?

„Nun, das ist verschieden, es gibt da keinen festgelegten Ablauf. Es gab eine Zeit, in der ich zweieinhalb Jahre lang rein gar nichts geschrieben habe. Man muß schreiben, wenn man eine Inspiration hat. Ich kann nur mit einer Inspiration schreiben. Und wenn dich etwas inspiriert – sei es ein Bild, eine Landschaft, eine Platte, Menschen, Gespräche, ein Buch – dann muß man die Gelegenheit beim Schöpfe packen. Ich bin kein „Songschreiber“, kein Professioneller, der sich jeden Tag morgens um Neun ans Klavier setzt und einen Song schreibt. Ich kann das nicht, ich hab’s versucht, aber ich kann das nicht.“

Hat denn diese zweieinhalbjährige Durststrecke nicht die Angst ausgelöst, die Kreativität völlig verloren zu haben?

„Nein, nein, das hat mir keine Sorgen gemacht. Ich weiß ja, daß es nicht immer geht. Man muß Pausen haben, man kann nicht immer kreativ sein.“

Aber hast du keine Angst gehabt, das könne ein Dauerzustand werden?

„Nein, es hat mich nicht gestört.“

Ich kann mir vorstellen, daß andere Leute, die auf ihre Kreativität angewiesen sind, nach zweieinhalb Jahren ein wenig unruhig werden.

„Sagen wir’s so: Ich habe nie darüber nachgedacht. Als ich vor 20 Jahren anfing, war ich ja auch kein Songschreiber. Ich war ein Sänger – und wenn ich künftig keine Songs mehr schreiben könnte, würde ich eben wieder nur ausschließlich singen. Wo immer gute Songs sind, singe ich sie. Ich bin ein Sänger, unabhängig davon, ob ich darüber hinaus auch Songs schreibe.“

Du könntest dir also auch vorstellen, ein Album ausschließlich mit Cover-Versionen zu machen?

„Durchaus möglich, wenn sie gut sind. Das Problem ist, daß so viele gute Songs geschrieben wurden, die spurlos in der Versenkung verschwanden. Sie tauchen nur noch auf, wenn sie jemand zufällig ausgräbt. Es ist schwer, gute Songs zu finden. Aber wohlgemerkt: Das ist momentan für mich kein Problem, ich schreibe gegenwärtig ja Songs.“

Wenn du über die letzten 15, 20 Jahre zurückblickst: Gibt es da kreative Höhen und Tiefen, an die du dich erinnern kannst? Oder denkst du darüber nie nach?

„Nein, daran denke ich nicht. Das ist nicht meine Aufgabe, das kann ich nicht.“

Wie entstehen denn deine Songs?

„Nun, (stöhnt) es gibt die Möglichkeiten a, b und c. Ich sollte dir eine Kopie eines Interviews geben, in dem ich das alles behandelt habe. Bei der ersten Möglichkeit habe ich zuerst die Melodie und suche die Worte. Bei b ist es umgekehrt. Und bei c kommt, was selten passiert, beides zusammen. Das ist reine Inspiration, eine Stimmung, die aus dem Unterbewußtsein kommt. Etwas schreibt dich und nicht umgekehrt.“

Auf welchen Instrumenten schreibst du?

„Klavier und Gitarre.“

Faßt du das Saxophon eigentlich nicht mehr an?

„Ich habe seit einigen Jahren nicht mehr gespielt. Ich habe einfach keine Zeit.“

Wieviele Monate im Jahr arbeitest du denn an einem Album?

„Ich arbeite das ganze Jahr. Nach Dingen zu suchen, die dich inspirieren, ist ein konstanter Prozeß, ein full-time job, das hält dich am Laufen.“

Wie groß ist der Unterschied zwischen erster Idee und dem Endprodukt?

„Das kann erheblich sein, sich sogar manchmal ins Gegenteil verkehren.. Auf dem neuen Album gibt’s Songs, die in der Urfassung reine Folksongs waren und im Laufe der Zeit B&B-Songs wurden.“

Hast du konkrete Beispiele für die Inspirationen, die du eben erwähnt hast?

„Laß mich sehen. „Cleaning Windows“ beispielsweise dreht sich um die Zeit, als ich Teenagerin Belfast war- um die Dinge, die ich damals gedacht und getan habe. Einige Songs wurden von einem Buch ausgelöst. Mein Toningenieur las darin, hatte eine Idee, ich fügte etwas hinzu – und schon hatten wir zwei Songs.“

Was liest du denn?

„Alles mögliche, Romane, aber vor allem viele Bücher philosophischer Natur. Europäische, aber hauptsächlich östliche Philosophie.“

Hat sich diese Lektüre im Laufe der Jahre spürbar in deiner Musik niedergeschlagen?

„Ja und Nein. Manchmal bedeutet das gleiche Buch nach einigen Jahren etwas ganz anderes. Du denkst, du hast gewisse Gesetzmäßigkeiten und Prinzipien entdeckt aber dann machst du konkrete Erfahrungen, die alles auf den Kopf stellen. Es gibt eben Phasen, die man durchläuft, ein ständiger Wechsel.“

Du hast einmal gesagt, populäre Musik sei bedeutungslos, weil sie nirgends hinführe …

„Diese ganze Rock’n’Roll-Kiste läßt einem Musiker überhaupt keinen Raum, um darin kreativ zu arbeiten. Einfach aufgrund der Betonung der Tatsache, ein Massen-Publikum erreichen zu müssen. Es läßt dir keinen Raum, um neue Ideen zu entwickeln. Es ist eben ein riesiges Geschäft geworden.“

In den USA sicher noch schlimmer als in Europa.

„Ja, wahrscheinlich.“

Gehst du eigentlich in Konzerte, wenn du auf Besuch in Europa bist?

„Nein, ich gehe sehr selten in Konzerte. Ich höre in letzter Zeit wieder viel irische und schottische Volksmusik, ich mag aber auch teilweise die neue Synthesizer-Musik. Vangelis zum Beispiel. Und natürlich klassische Musik, Debussy, Vivaldi.“

Ich wollte gerade schon fragen: Wenn du dich nicht als Teil der Rock’n’Roll-Tradition begreifst, gibt es denn andere Musik-Traditionen – Jazz, Klassik – in die du dich einordnen kannst?

„Ich komme im Prinzip aus einer Jazz-Tradition. Jazz und Folk. Das stand damals im Vordergrund als ich Jung war. Damit habe ich angefangen – und darauf kannst du meine Einflüsse zurückführen. Das Besondere am Jazz ist doch: Du spielst einen Titel nie zweimal, nie zweimal gleich. Und ich spiele auch keinen Song zweimal gleich.

Das ganze Konzept der Popmusik besteht aber gerade darin, eine Platte zu machen -und sie dann ad infinitum zu wiederholen. Ich habe nie nach diesen Regeln gelebt, aber das sind die Regeln, die die Rockmusik geschrieben hat.

Es gibt da halt auch diese typischen Charakteristika wie Drogen und ein ausgeflippter Lebensstil, die untrennbar mit Rock’n Roll verbunden sind. In den meisten Fällen mag das ja sogar zutreffen, nur habe ich dazu keinerlei Bezug.

Ich sehe also nicht ein, warum ich versuchen sollte, mich da dranzuhängen und ein Image vor mir herzutragen, zu dem ich keinerlei Bezug habe. Ich bin nicht Teil dieser Szene, verstehst du? Ich denke nicht so, ich schreibe nicht so, ich gehöre nicht dazu.“

Glaubst du denn, daß diese Szene je wieder gesund wird und die Beschränkungen wegräumt, die sie sich selbst aufgebaut hat?

„Keine Ahnung, absolut keine Ahnung. Als es vor zwanzig Jahren oder wann immer mit dem Rock’n’Roll anfing, war es ein völlig anderes Spiel. Man mußte z.B. möglichst einige Instrumente spielen können. Es war ein Handwerk, man mußte lernen und Erfahrungen sammeln, um an gewisse Dinge überhaupt erst rangelassen zu werden. Traditionen, die längst über Bord geworfen wurden. Ich habe keine Ahnung, wohin die Entwicklung geht. Es ist big business.“

Eine Frage, die ich eben im Zusammenhang mit der Thematik von Songs stellen wollte: Betreffen dich eigentlich politische Zustände, beispielsweise die wachsende Konfrontation zwischen Europa und den USA.

„Nein, überhaupt nicht. Politische Umstände waren noch nie für mich von Bedeutung. Ich bin absolut unpolitisch. War es immer und werde es immer sein.“

Denkst du denn über die Zukunft, machst du Pläne – oder versuchst du, ohne Pläne zu leben?

„Nun, die Pläne für dieses Jahr bestehen darin, neue Songs zu finden und ein neues Album zu machen. Das ist im Prinzip alles. Das ist der Hauptbestandteil meines Lebens. So war es letztes Jahr, das Jahr davor und davor …“

Eine Veränderung und Ausweitung in andere kreative Ausdrucksformen kommt nicht in Frage?

„Nein, nein, ich würde meine Kreativität gerne in andere Bereiche ausweiten. Aber es gibt im Moment nichts Konkretes außer einem Filmprojekt, an dem ich mich möglicherweise beteilige. Ich würde gerne Soundtracks für Filme machen. Ich würde auch gern als Regisseur oder Drehbuchschreiber einen Film machen.“

Was für ein Film?

„Es wäre ein bißchen verfrüht, über Details zu sprechen. Es ist ein Projekt, über das ich mit dem Regisseur schon seit sieben Jahren rede. Nun sind vor einigen Wochen Dinge passiert, die das Projekt konkreter werden lassen. Es sieht so aus, als würden wir dieses Jahr endlich das Script schreiben. Sieben Jahre habe ich es schon im Kopf. Aber ich möchte noch nicht darüber reden.“

Fällt es dir eigentlich leicht, mit anderen Leuten gleichberechtigt zusammenzuarbeiten? Du hast ja nun mal den Ruf, ein kleiner Diktator zu sein und deinen Willen um jeden Preis durchzudrücken.

„Ich weiß, daß das mein Image ist. Tatsächlich ist es völlig unkompliziert, mit mir zu arbeiten. Das Image trifft nicht mit der Person zusammen. Was die Medien über mich schreiben, hat mit meiner Person nichts zu tun. Die meisten Leute glauben alles, was sie lesen. Was soll ich da machen?“

Ist es also ein wünschenswerter Zustand für dich, auf einer kreativen Ebene mit anderen Leuten zusammenzuarbeiten?

„Absolut. Danach suche ich. Klar, im Moment bin ich nun mal ein Solo-Künstler mit einer Begleitband. Deshalb gebe ich auch den Ton an. Ich engagiere Musiker, um meine Songs zu spielen. Ich muß die Entscheidungen treffen. Das wissen sie und das weiß ich. Wenn meine Musiker mich fragen würden, ob ich auf ihren Platten spielen würde, würde ich mich ja auch automatisch unterordnen. Aber das ist nun mal nicht meine momentane Situation. Ich würde liebend gern mit Leuten auf einem anderen Level zusammenarbeiten. Denn manchmal wird mir meine Situation ein wenig… eingeschränkt langweilig.“

Nach einer halben Stunde ist die Audienz beendet. Van Morrison steht auf, geht ein paar Schritte und bleibt dann stehen. Sollte er etwas vergessen haben?

Er dreht sich um, kommt zurück und schüttelt mir – als wolle er der Etikette Genüge tun – mit einem gezwungenen Lächeln die Hand.