Willkommen im Paralleluniversum


Denn sie wissen nicht, was sie tun: Panic! At The Disco zitieren die New-Romantic-Welle der 80er, ohne sie zu kennen.

Es ist phänomenal: Da kommen ein paar Teenager aus Las Vegas daher, schmeißen sich in glamourösen Zwirn, und alle drehen durch. Die hyperventilierenden kleinen Mädchen in der ersten Reihe des Konzertes, weil die Boys so süüüß sind, die Jungs, weil erstens die Mädchen so durchdrehen und zweitens die Typen auf der Bühne zwar seltsam aussehen, aber amtlich rocken, und die Musikpresse, weil – ja, warum eigentlich?

New Romantic heißt das Stichwort. Von 1980 bis 1983 reichte diese kurze, aber heftige Modewelle, die viel prägender war, als heute zugegeben wird. Vivienne Westwood entwarf piratenartige Kostüme für Adam Ant, David Bowie packte noch einmal den Schminktopf aus, und alle tanzten zu Roxy Music. Und nun, 2006, kommen vier Jungs im Alter von 19 bis 21 Jahren daher und machen das alles einfach noch mal. Ein wenig rotziger, zugegeben. Aber wer nur einmal ein Video von Panic! At The Disco gesehen hat, fühlt sich unweigerlich wie in der Zeitmaschine. Nachdem die achtziger Jahre nun schon seit geraumer Zeit bis zum Erbrechen durchrecycelt worden sind, musste das ja auch irgendwann so kommen. Und wer ein richtiges Orakel ist, hat es selbstredend auch kommen sehen, und zwar meilenweit.

Dummerweise ist es ausgerechnet die Band selbst, die allen schönen herbeikonstruierten Vergleichen einen Strich durch die Rechnung macht, mit dem nicht einmal ihre Lidstriche konkurrieren können: Ryan Ross, Gitarrist und heimlicher Anführer von Panic! At The Disco, ist am Telefon. Er sei zu Hause in Vegas, erzählt er. Bei der Familie. „Endlich mal wieder. Seit Weihnachten haben wir keine Auszeit mehr gehabt, weil wir konstant auf Tour waren.“ Er ist freundlich, offen und ein wenig schüchtern, keineswegs die exaltierte Diva, die man erwartet hätte. Er freue sich wieder auf die nächste Tour, logisch. Und darauf, neue Songs zu schreiben. Inspiration gebe es schließlich überall. Klar gibt es die. Aber wo kommt das alles her? Wie sieht es mit New Romantic aus? Mit den Achtzigern, der Bewegung, der Ästhetik? Was ist der Masterplan hinter Rüschenhemden, Make-up, Gehstock und Schappoklapp? Das ist doch schlau geplant, um die fehlende Lücke zu schließen und dem Äffchen Zucker zu geben, und zwar wohldo siert. Oder? Pustekuchen: „Wir hören alle sehr unterschiedliche Musik“, bekleidet Ross einen entzückenden Allgemeinplatz. „Sicher, einige von uns sind mit der alten Musik aufgewachsen, die unsere Eltern gehört haben. Beatles „Stones, Pink Floyd und so.“, aber was ist mit Culture Club? Ja, die auch“, fügt er sonnig hinzu. Äpfel und Birnen sind eben auch bloß Obst.

Doch was ist mit dem Look? „ich Hebe Filme“, schwärmt er, „und Filmmusik.“ Doch anstatt die großen Komponisten und Klassiker auszupacken, erzählt er einfach ehrlich und unbedarft genau das, was er weiß und denkt: „Als ich noch jünger war und ins Kino gegangen bin“, so der Zwanzigjährige, „haben mich ein paar Filme sehr beeindruckt. Moulin Rouge‘, zum Beispiel. Oder,Das Phantom der Oper‘ und ,Titanic‘. Das waren Filme, bei denen mich die Kostüme magisch angezogen haben. Sie waren perfekt. Damals wusste ich genau, dass meine Band, sollte ich mal eine haben,genauso aussehen würde.“ Das ist für jemanden, der sich ein genaues Konzept hinter ebenjener Band ausgedacht hat, das eigentlich bitteschön nur noch zubestätigen ist, gleichermaßen verwirrend wie rührend. Ebenso verhält es sich mit der Tatsache, dass Panic! At The Disco mit ihrem Albumkonzept der Zweifaltigkeit („Einerseits elektronisch, andererseits Rockmusik“) tatsächlich glauben, das Rad erfunden zu haben. Der visuelle Aspekt, so Ross, habe tatsächlich auch eine Menge mit dem Herkunftsort Las Vegas zu tun: „Bei uns ist halt alles bunter und lauter. Hier geht es um die Show. Da kann man sich nicht einfach mit ein paar Gitarren auf die Bühne stellen. Wer hier aufgewachsen ist, fühlt sich automatisch zu etwas Größerem verpflichtet.“ So einfach ist das, und man hat plötzlich Angst, dass gleich Herbert Grönemeyer mit einem Chor in den Raum gepoltert kommt und „Kinder an die Macht!‘ skandiert. Und als Ross dann auch noch enthusiastisch erzählt, dass er für das nächste Album etwas plane, „was die Welt noch nie gehört hat“, muss man sich sehr fest auf die Zunge beißen, um nicht den ollen Oberlehrerstab zu schwingen, sondern stattdessen mit einem metallenen Geschmack im Mund die aufgebrachte Replik auf ein verhaltenes „Aber denkst du wirklich, dass das in der heutigen Zeit und im Rahmen der ganzen großen Musikgeschichte überhaupt noch möglich ist?“ herunterzudrosseln. Seine Antwort ist so unbedarft wie entwaffnend: „Dann machen wir einfach etwas, was wir noch nie gehört haben!“

Vergessen seien alle Referenzen. Dann wird die Geschichte eben einfach neu geschrieben. We fade to grey.