Zeitweilig zäh, unterm Strich stabil: Bruce Springsteen jenseits der E-Street


STOCKHOLM. Geht’s ihm zu gut? Ist er zu glücklich oder gar zu alt? Ja. ist er überhaupt noch der Boss? Fragen, die durch den Blätterwald rauschten, seit Springsteen die E-Street gefeuert und auf zwei neuen Alben die Innerlichkeit entdeckt hat. In den Charts ließ die Antwort nicht auf sich warten: Gemessen an früheren Erfolgen fiel die Resonanz bescheiden aus. Bei der Welt-Premiere in Stockholm ging’s der Boss dennoch optimistisch an: Mit dem wuchtigen „Better Days“ stellte er klar, daß ein zufriedener Familienvater eigentlich keinen Grund zum Jammern hat.

15.500 Schweden in der ausverkauften Globe-Arena waren mit ihm einer Meinung. Und die größte Altlast wurde gleich entsorgt: Hendrix‘ „Star Spangled Banner“ zum Einstieg, dann „Born In The USA“ — Mitgrölen, Mitspringen. Fäuste recken.

Nachdem er die Pflichtübung vom Hals hatte, wurde er zunehmend lockerer, suchte und fand den Groove mit seiner neuen, zehnköpfigen Gruppe. Von der E-Street-Band. die an diesem Abend niemand vermißte, blieb nur Keyboarder Roy Bittan übrig. Die restlichen Posten wurden mit vorwiegend unbekannten farbigen Musikern besetzt. Eine gute Wahl. Die Rocknummern waren aggressiver, midtempo-Songs wie „Man’s Job“ hatten deutlich mehr Soul-Gehalt als bisher.

Daß der Abend dennoch einige Durststrecken hatte, lag keineswegs an der Band, sondern am Set: Gut zwei Drittel waren für die neuen Alben reserviert. Ein konsequenter Schritt nach vom, gewiß, nur manchmal stimmte ¿

die Dosierung nicht. Sechs neue Songs hintereinander sind immer ein Wagnis.

Dazwischen gab’s, wie immer, viel „Human Tbuch“ vom Geschichten-Onkel Bruce: Ein bißchen nervös, aber sehr volksnah plauderte und plauderte er und verlor auch mal den roten Faden („Was wollte ich noch sagen?“). Die Fans erfuhren, daß ihn die Rassenunruhen in L.A. schockiert haben und daß er und Patti sich über ihre beiden Babies freuen. Die Schweden freuten sich mit ihm. während Patti Scialfa samt Nachwuchs hinter der Bühne lauschte. Bei „Brilliant Disguise“ stand das Ehepaar dann auch vereint hinterm Mikro.

Doch die Blicke der beiden waren brav im Vergleich zu dem, was der Boss mit Cristal Caliefiro. seiner singenden Gitarristin, abzog. Statt an Clarence Clemons rieb er sich an ihrem attraktiven Hinterteil — der Ehemann auf Abwegen. Überhaupt lag das Euphorie-Potential eindeutig im zweiten Konzert-Teil. Da gab er der Masse, was sie wollte: „Hungry Hearts“, „Cover Me“ „Glory Days“ und nach drei Stunden den Schlußpunkt mit dem spartanischen „My Beautiful Reward“.

Springsteen war ein Stückchen weitergekommen, obgleich er sich ein wenig übernommen hatte. Die Wandlung vom Kraftmeier zum Mann mit inneren Werten hätte man ihm auch abgenommen, wenn er auf zwei, drei schwächere Songs der aktuellen Alben verzichtet hätte.