Pop & Piepen


Michael Jackson macht's, Tina Turner macht's, (fast) jeder macht's. Um aufwendige Tourneen zu finanzieren, halten die Stars gerne mal die Hand auf. Und an spendablen Geldgebern mangelt es nicht. Ob Sony, Levi's oder Pepsi - sie aller versprechen sich von der Popmusik neue Märkte und steigende Umsätze. Eine unheilige Allianz? Ein notwendiges Übel= Oder aber eine begrüßenswerte Entwicklung, da kostspielige Tourneen anderenfalls nicht mehr realisierbar wären...?

Wenn Michael Jackson am 19. Juni vor dem Reichstag in Berlin seinen berühmten „Moonwalk“ einlegt, dann steht ein potenter Partner mit auf der Bühne. Und wo immer Ex-Wham!-Strahlemann George Michael in diesem Jahr auftreten wird – ein enger Geschäftsfreund ist stets dabei. Die Popstars der ausgehenden 80er Jahre – sie spielen mit einer ungewöhnlichen Begleitband.

Mit der heißen Zeit der großen Open-airs im Frühsommer bricht auch die Saison der Werbestrategen an. „Sponsorship“ heißt das Zauberwort, das Jackson in Diensten von Pepsi Cola tanzen läßt und den schönen George zum reisenden Propagandisten für Sonys umstrittenes „Digital Audio Tape“ macht.

Ob am Nürburgring, auf der Berliner Waldbühne oder unter dem Zeltdach des Münchener Olympiastadions – mit Markennamen gespickte Tour-Plakate-, -Souvenirs und Tickets gehören mittlerweile bei allen wichtigen Freiluft-Veranstaltungen fest zum Bild. Was man vor wenigen Jahren allenfalls im Sport gewohnt war, feiert in den letzten Jahren auch anderweitig einen explosionsartigen Boom: Die Werbestrategen haben die Zugkraft der Popstars und ihrer Auftritte erkannt. Big Business mischt im Musikgeschäft kräftig mit.

Zum Beispiel Pepsi-Cola. Der Süßwasser-Multi begann vor fünf Jahren mit den großen Scheinen Richtung Popszene zu winken. Ein fünf Millionen-Dollar-Deal mit Michael Jackson und Familie machte den Anfang. Dicke Deals mit Lionel Richie, Tina Turner und David Bowie folgten. 1987 sponsorte die Firma u.a. Tina Turners Welttournee, für eine diskret behandelte Millionensumme. Im Rahmen dieser Tournee veranstaltete Pepsi Deutschland ein Telefongewinnspiel, an dem sich über 190.000 Anrufer beteiligten. Zahlen, bei denen PR-Experten warm ums Herz wird.

Wenn’s um Marktanteile geht, sind solche Erfolge nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Auf dem deutschen Cola-Markt beispielsweise ist Pepsi (mit sieben Prozent) gegenüber dem Konkurrenten Coca-Cola (75 Prozent) nur ein kleiner Fisch. Wer hier an den Prozentzahlen drehen will, muß schon mit schweren Geschützen auffahren, und so teilte denn die PR-Abteilung der Firma mit, man habe mit Michael Jackson „den sensationellsten und umfassendsten Sponsor- und Werbevertrag, der jemals zwischen einem Unternehmen und einem Künstler geschlossen wurde“, unter Dach und Fach gebracht. Während Jacksons Deutschlandkonzerten soll deshalb wieder „auf dem gesamten Klavier der Verkaufsförderung gespielt“ werden. Zumindest finanziell ist allerdings der Deal zwischen Sony und George Michael noch eine Schublade höher angesiedelt: Während sich Jackson mit sieben Millionen Dollar begnügen muß, streicht der Brite zehn Millionen ein.

Auch Pepsi-Rivale Coke schläft nicht. Gordon Link, Vice President bei der Coca-Cola-Agentur McCann Erickson: „Die Jugend ist die Hauptzielgruppe von Coca Cola. Und da sich die Jugend für Musik interessiert, favorisieren wir Sponsorships in diesem Bereich. Die Kombination hat sich als hervorragende Möglichkeit herausgestellt, Coca Cola der Öffentlichkeit zu präsentieren.“

Im vergangenen Jahr zahlte Coca Cola allein eine Million Dollar, um der weltweit exclusive Sponsor für die amerikanischen „World Music Video Awards“ zu werden. In den USA, der Hochburg der Sponsorships, hat der Bierfabrikant Miller nicht weniger als 26 Gruppen unter Vertrag. Pro Gruppe und Jahr zahlt er durchschnittlich 120.000 Dollar „Tour-Support“.

Multis wie Pepsi, Coke, oder Sony investieren ihre Millionen nicht ins Blaue. Hinter ihrem Appetit auf Popstars stecken gezieltes Kalkül und demoskopische Erkenntnisse. Gerhard Maurer von der PR-Firma CPR: „In Untersuchungen über das Freizeitverhalten der Jugendlichen zwischen 14 und 22 Jahren haben 45% der Befragten angegeben, daß sie sich in ihrer freien Zeit am liebsten mit Popmusik beschäftigen. Rockstars haben deshalb heute eine viel intensivere Leitbild-Funktion und wesentlich größeren Idolwert als etwa Sportstars.“

Die Industrie will die Jugend an ihre Marken binden, wie es im Wettbewerbsjargon heißt. Marktforscher und Marketing-Experten haben herausgefunden, daß die Vorlieben für bestimmte Produkte offensichtlich schon in jungen Jahren geprägt und dann für lange Jahre beibehalten werden.

Es geht den Werbestrategen also gar nicht um schnelle Verkaufserfolge, sondern um Imagewerbung mit langfristiger Wirkung. Sponsor-Werbung mit Popmusik und Popstars, das ist nicht zuletzt ein Ringen um die Käufer der Zukunft.

Die finanziellen Dimensionen sind gewaltig. Der Marktforscher Dr. Ingo Rößler etwa sagt über die 15 bis 25jährigen in der Bundesprepublik: „Diese Gruppe verfügt über das beachtliche Kaufkraftpotential von 30 Milliarden Mark pro Jahr.“

Die New Yorker Agentur Rockbill nimmt für sich in Anspruch, der Pionier in Sachen Pop-Sponsorship zu sein. Rockbill-Präsident Jay Coleman: “ Wir waren die erste Firma, die die großen Konzerne überzeugt hat, ihre Marketing-Konzepte mit Popmusik zu koppeln. Musik ist der gemeinsame Nenner aller Kids und außerdem extrem Imageorientiert; sie ist das ideale Medium.“

Die Überzeugungskraft von Coleman und seinen Mitarbeitern ist vor allem seit dem 13. Juli 1985 um einiges leichter geworden.

LIVE AID WAR DER GROSSE KATALYSATOR

Bob Geldofs gigantische Aktion mit den parallel laufenden Live-Konzerten in London und Philadelphia, mit Milliarden von Zuschauern, die an ihren Bildschirmen in aller Welt die 16-stündige Live-Übertragung verfolgten, war nicht nur ein enormer humanitärer Erfolg; Live Aid war auch eine gigantische und eindrucksvolle Demonstration dessen, was mit der Attraktivität und Zugkraft von Rockmusik weltweit bewegt werden kann. In den Agenturen und Konzernzentralen der internationalen Industriefirmen begann spätestens nach diesem Tag das große Planen mit der Werbewirksamkeit der Popmusik.

Dabei gibt es ganz unterschiedliche Gründe, warum in diesem Bereich gerade das Sponsoring als Werbeform so beliebt ist: Sponsoring gilt als subtiler, eleganter als die klassische Werbung, die von vielen Konsumenten als vordergründig und platt empfunden wird. Sponsoring wird vom Publikum als weniger aufdringlich eingeschätzt und hat zusätzlich den Vorteil, daß es den Sponsor als „großzügig, goovy und als Teil der Szene erscheinen“

läßt, wie US-Experten sagen.

Der finanzielle Einsatz ist dabei recht unterschiedlich. Markenartikler finanzieren als Sponsor Tourneen mit, in extremen Fällen übernehmen sie sogar die gesamte finanzielle Absicherung. Dafür dürfen sie dann ihr Markensignet auf Konzertplakaten, in Tourprogrammen oder auf T-Shirts plazieren, in der Halle Werbung betreiben, die Künstler in eigenen Pressekonferenzen präsentieren etc.

Daß gerade Zigarettenhersteller und Bierbrauer beim Tour-Sponsoring kräftig mitmischen, hat einen besonderen Grund: Das gesteigerte Umwelt- und Gesundheitsbewußtsein hat im gesamten Westen zu heftigen Diskussionen über Verbote von Zigaretten- und Alkohol-Werbung in den Medien geführt. Für den (wahrscheinlichen) Fall eines Verbotes müssen Alternativen rechtzeitig erschlossen werden. Das Tour-Sponsoring bietet sich geradezu an, um auch künftig den jungen Käufer auf seine Marke einzuschwören.

Die Vorteile für die „Markenartikler“ liegen auf der Hand. Doch auch die Musikindustrie kann sich über den warmen Regen nicht beklagen. Schon zu Beginn der 80er Jahre, als die Tonträger-Absätze stagnierten und der CD-Boom noch nicht in Sicht war, bemühte man sich darum, Musiker und Sponsoren an einen Tisch zu bekommen.

Die eskalierenden Tournee-Kosten, die zum Teil auch von Plattenfirmen getragen werden, haben die Entwicklung nur noch beschleunigt. Das allgemeine Wettrüsten, das im vergangenen Sommer mit Bowies „Glass Spider“-Tour und dem High-Tech-Kreuzzug von Genesis neue Gipfel erreichte, hat die Erwartungen an Sound und Lightshow so

heraufgeschraubt, daß die Kosten durch Eintrittskarten nicht mehr gedeckt werden können. (Prince, der im vergangenen Jahr ohne Sponsor durch Europa tourte, setzte angeblich 1,5 Millionen Dollar in den Sand.) Fritz Rau, der Oldtimer unter den deutschen Rock-Impressarios, hat noch ein weiteres Argument für die Sponsor-Werbung parat.

Grollend weist er darauf hin, daß sich Oper und Operette als „förderungswürdige Kultur“ fetter Subventionen erfreuen, während Rock-Konzerte mit Vergnügungssteuern beträchtlich belastet werden.Wenn also schon nicht der Staat als Mäzen auftritt, sollte man das Engagement der Industrie nur begrüßen.

Dennoch kann Rau ein gewisses Unbehagen nicht verhehlen, wenn es um das Thema Tour-Sponsoring geht: „Das ist eine unheilige Allianz. Der Künstler ist schließlich eine Art Verzauberer des Publikums, er gibt dem Publikum Kraft und Mut – wenn da Konsumwerbung mit einfließt, muß das äußerst sensibel gehandhabt werden“, mahnte er schon vor Jahren.

Und doch: In den weitgehend ideologiefreien 80ern ist Rock längst nicht mehr die Musik einer systemkritischen Gegenbewegung, sondern fester Bestandteil des Establishments. Da schmelzen Berührungsängste wie Schnee in der Sonne. War es für einen progressiven Popstar der 60er Jahre noch ein Alptraum, mit „Big Brother“ zu paktieren, ist heute eine coole, professionelle Attitüde im Umgang mit der Industrie angesagt.

BRUCE SPRINGSTEEN LEHNTE ALLE ANGEBOTE AB

Dennoch: Aus Sicht der Musiker besteht natürlich die Gefahr, daß er mit dem beworbenen Produkt identifiziert wird – was sich nicht immer positiv auf das eigene Image auswirkt. Vorsicht ist also geboten, vor allem dann, wenn die PR-Strategen mit ihren Aktionen über die Stränge schlagen. Man muß ja auch nicht gleich so weit gehen wie die US-Brauerei Coors, die bei Konzerten im Golden Gate-Park von San Francisco eine überdimensionale Bierflasche direkt neben die Bühne stellte. Sicher plakativ, doch nicht übermäßig sensibel.

Mitunter lassen sich Produkt und Künstler aber auch ausgesprochen plausibel kombinieren. Die letzte Dire Straits-Weltreise war so ein Fall: Die Mannen um den erklärten CD-Fan Mark Knopfler sind die absoluten Topsellerauf dem CD-Markt – ein Umstand, den der Elektronik-Riese Philips nutzte, um die Tour in einen beispielhaften Feldzug für die neue Technologie umzumünzen.

Warum sich die Brauerei Michelob ausgerechnet solch nüchterne Naturen wie die Herren Tony Banks, Phil Collins und Mike Rutherford als Werbeträger aussuchte, leuchtet allerdings nicht ein. Und die Rolling Stones als Litfaßsäulen für das Parfüm Jovans auf der US-Tour ’81 – das hatte fast schon humoristische Qualität. Die Europa-Tour im Jahr darauf, gesponsort vom Cassettenhersteller TDK, war da schon deutlich stimmiger.

Durchaus clever auch der Versuch der Bundesbahn, mit ihren „Rock & Rail“-Aktionen Imagewerbung bei der jungen Rock-Klientel zu betreiben. Die verbilligte Bahn- und Konzertticket-Kombination (zu Open-airs von Madonna oder Michael Jackson) findet jedenfalls regen Zuspruch. Hier sind die Bahn-Werber sicherlich auf den richtigen Zug gesprungen.

Doch nicht jede Sponsoring-Kooperation macht Sinn. Hans Scherer, Product Publicity Manager bei „adidas“, lehnte kürzlich das Angebot eines Konzertagenten ab, die kommende Bee Gees-Tournee zu sponsorn. Die fleißigen Franken ziehen ihre Treter lieber den Künstlern an, als auf Plakaten und Displays in den Hallen zu werben: Das ist billiger und gleichzeitig auch wirkungsvoller. Denn so haben wir unser Produkt direkt am besten Multiplikatoren, nämlich dem Künstler selbst. Wir halten es nicht für sinnvoll, Hunderlausende dafür auszugeben, unseren Namen auf der Rückseite von Eintrittskarten zu sehen.“

Statt Geld gibt „adidas“ Naturalien: Der Musiker kriegt seine Puschen – und alles weitere ergibt sich von selbst. Inzwischen können die Herzogenauracher auf einem hausinternen Video stolz vorführen, wen sie da schon alles ausgestattet haben: zum Beispiel Tina Turner, Falco, die sportlichen Schweden von Europe, Run DMC, Lou Gramm, Chris de Burgh und selbst den stilbewußten David Bowie.

Von blinder Euphorie beim Engagement in Tour-Sponsorships hält auch der Frankfurter Werbe-Profi Heinz Roth nicht viel. Vor allem dann nicht, wenn man die Besonderheiten des deutschen Marktes mißachtet. „Was in den USA funktioniert, muß noch lange nicht in Deutschland funktionieren. Oft würde man mit einem glaubwürdigen deutschen Musiker mehr erreichen als mit einem US-Star. Es reicht einfach nicht aus, spezifisch amerikanische Kooperationen unbesehen auf Deutschland übertragen zu wollen.“

In den Staaten jedenfalls blüht das Werbegeschäft mit den Popstars, auch in Anzeigen und TV-Spots. Mitunter kommt es dabei zu ausgesprochen makaberen Kombinationen, etwa wenn der ehemalige Alkoholiker Eric Clapton ausgerechnet für Michelob in die Saiten greift oder der blinde Ray Charles für Pioneer Video wirbt.

Da ist es schon harmloser, wenn Sting eine Levi’s überstreift oder Flower Power-Veteran Jerry Garcia zum Slogan „A Good Pair Of Levi’s Is Bound To Set Me Free“ sein stattliches Bäuchlein in das blaue Beinkleid zwängt.

Doch trotz aller Flirts zwischen Werbung und Popmusik – es sind nicht alle käuflich! Bruce Springsteen etwa hat es bisher abgelehnt, sich vor einen fremden Karren spannen zu lassen. Er will, so heißt es, seine Integrität bewahren.

Nicht zu Spaßen ist mit den lebenden Mitgliedern der Beatles: Auf stolze 15 Millionen Dollar Schadensersatz verklagten sie den Turnschuh-Hersteller Nike, die Plattenfirma EMI/Capitol und eine Werbeagentur. Ohne ihre Zustimmung war es zur Verwendung des Beatles-Klassikers „Revolution“ in einem Spot gekommen. Gegenüber der Presse erklärten George, Paul und Ringo: „Wir handeln weder mit Schuhen, noch mit Unterhosen, noch mit sonst irgendwas …“

Bei dieser Versicherung allerdings hat wohl der gute Ringo einen Gedächtnisausfall gehabt. Wirbt er doch fleißig für eine flüssige Substanz, die sich Sun Country Classic Wine Coolers nennt.