Read ’n‘ Roll


Musiker lesen Bücher, Autoren hören Musik, gemeinsam schreiben sie Rock-Geschichte. ME/ Sounds entwirrt die feinen Fäden der Inspiration, nennet Meilensteine und Kult-Schmöker.

Woody Guthrie

Bound For Glory (1943) Ohne Woody Guthne gäbe es den Begriff „Protest-Sänger“ nicht. „Diese Maschine lötet Faschisten“ hatte er auf seine Gitarre geschrieben, und mit ihr zog der überzeugte Erzkommunist durch Amerika, um Farmer und sonstige Machthaber zu bekämpfen. Guthrie suchte die Konfrontation, war ein erklärter Feind des Reichtums und ein Freund aller Unterdrückten. Er spielte oft mit schwarzen Blues-Musikern, zu einer Zeit, in der von Rassengleicheit nicht auch nur entfernt die Rede sein konnte. Seine Autobiographie ist, wie seine Musik, eine seltsame Mixtur aus radikalen Kampfparolen, unbeirrbarem Patriotismus und volkstümlicher Sentimentalität. Dylan war fasziniert von diesem Buch, als eres im Jahre 1960 las, und versuchte sofort, Woody nachzueifern. Er trug denselben Hut und sang mit derselben nasalen Stimme Protestlieder. Guthries Einfluß dauert an, jede nachfolgende Generation entdeckt ihn wieder neu. Springsteen, U2 und John Meilencamp etwa haben sich alle von Guthries Werk und dem Mythos, den er in seinen Texten gefeiert hat, inspirieren lassen — dem Mythos der machtvollen amerikanischen Landschaft.

Aldous Huxley

Die Pforten der Wahrnehmung (1954, Piper-Verlag) Diesem Buch, dessen Titel (eng!.: „The Doors Of Perception“) der englische

I. R. R. Tolkien

Der Herr der Ringe (1954-55, Klett-Cotta) In Südafrika geboren, verbrachte Tolkien die meiste Zeit seines Lebens als Professor der Anglistik. In Interviews schien er immer eher peinlich berührt, ob der kultischen Verehrung, die ihm seine Fantasy-Bücher über die „Hobbits“ (= kleine ländliche Gesellen mit haarigen Zehen, die unbeirrbar gegen die Macht des Bösen kämpfen), einbrachten. In den letzten Jahren hat sich der Kult ohnehin gelegt. Es fällt schwer, sich heute vorzustellen, daß Englands Kult-DJ John Peel Tolkien im Radioprogramm der BBC las und Marc Bolan ihn dabei auf der Akustik-Gitarre begleitete. Oder daß ein Redakteur des britischen Blatts „New Musical Express“ seinen Job schmiß, um ein „Handbuch zum Herr der Ringe“ zu schreiben — aber diese Dinge sind tatsächlich so passiert. Bands von Can bis Yes schwärmten in Interviews von Tolkien. Ein gewisser Bo Hansson versuchte den „Herr der Ringe“ zu vertonen (das Ergebnis war erwartungsgemäß grauenhaft) und eine Flowerpower-Band nannte sich die „Hobbits“. Jahrelang schrieben sich Tolkien-Fanatiker Botschaften in J. R. R.’s persönlicher Geheimschrift. Der norwegische Saxophonist Jan Garbarek schrieb seinen Vornamen in dieser Schrift auf das Cover seines 90er Albums „I Took Up The Runes“.

Allen Ginsberg

Geheul &andere Gedichte (1956, Kellner) Erstmals rezitiert in der „Six Gallery“ als Geburtsstunde dessen, was sieh später als „San Francisco Poetry Renaissance“ einen Namen machte, stellte „Geheul“ eine neue Form des Dichtens vor. Intellektuelle Reflektion war nebensächlich, Poesie sollte wirken wie ein „barbarischer Schrei“, in der Idealvorstellung der Beat-Poets mit derselben Kraft zelebriert, mit der ein Posaunist sich bei einer Jam-Session die Seele aus dem Leib bläst. Technik war nebensächlich, es zählte nur das Gefühl.

Verfaßt unter dem Einfluß eines wilden Cocktails aus Peyote und Amphetaminen, wurden die ersten Zeilen von „Geheul“—“Ich sah die besten Geister meiner Generation im Wahnsinn enden“ — damals viel bejubelt. Zeitgemäß in einer Ära, in der die systematische Selbstzerstörung als angesehene Alternative zur Anpassung an das System gesehen wurde. Ginsberg schrieb nie wieder etwas ähnlich Ausdrucksstarkes, es gelang ihm aber — wie vielen anderen überlebenden Beats — sich selbst als Ikon zu inszenieren. Er war der erste Dichter, der in einem Pop-Video (zu Dylans „Subterranean Homesick Blues“, 1965) auftrat, und er spielt eine herrausragende Rolle im Film „Renaldo und Clara“. Er machte sich öffentlich für Patti Smiths Ansehen als Dichterin stark. Er wirkt auf dem Clash-Album „Combat Rock“ mit. Und er hat einige eigene Alben aufgenommen, in der Regel mit einer beeindruckenden Riege an Begleitmusikern.

Paul Bowies

Their Heads Are Green And Their Hands Are Blue (1957) Der vornehme Bowies verbrachte die letzten fünfzig Jahre in Marokko, um dort Kurzgeschichten und Romane zu schreiben. Und sein Blick dabei ist gnadenlos: Bowies ist ein vom Hasch unterkühlter Beobachter, der ein perverses Vergnügen am Zusammenbruch der Kommunikation zwischen westlicher und arabischer Welt findet — man findet nicht viel Liebe in seinen Erzählungen. Die Dokumentation „Their Heads Are Green“ überrascht dagegen mit seltenem Enthusiasmus. Bowies, der ursprünglich Komponist avantgardistischer Klänge war, zog durch den Nahen Osten, um ethnische Musik aufzunehmen. Die meisten der Erzählungen stammen von diesen Reisen. Für die Rockkultur ist Bowies auf verworrenen Wegen wichtig geworden. Er machte seinen Schreiberkollegen Brion Gysin mit den Klängen der Meister-Musiker von Jajouka bekannt. Gysin wiederum übermittelte diese Musik an Brian Jones von den Rolling Stones und an Omette Coleman. Marokko wurde daraufhin zum angesagten Fluchtpunkt für Free-Jazzer und Rock-Stars. Kürzlich schrieb Bowies einige Anmerkungen zu Bill Laswell’s Produktion der Meister Musiker „Apocalypse Across The Sky“.

Jack Kerouac

unterwegs (1957) Die Geschichte von Sal Paradise und seinem Kumpel Dean Moriarty (in Wahrheit Kerouac und Neal Cassady), die kreuz und quer durch Amerika trampen, Bebop hören, Mädchen treffen und nebenbei eine Diät aus Apfelkuchen und Eiscreme (unterbrochen von den üblichen Drogen und Drinks) überleben.

„Unterwegs“ lebt von seiner neugierig-unbeschwerten Energie: Das Ganze klingt nach Spaß. Und das war der Grund, warum Millionen von Teenagern nach ihren Rucksäcken griffen und versuchten, Jacks Abenteuer zu wiederholen. Tom Waits war einer von ihnen, daher seine zahlreichen Loblieder auf Kerouac. Van Morrison singt im Stück „Cleansing Windows“ von Jack. Canned Heats „On The Road Again“ und Willie Nelsons (anderer) Song gleichen Titels haben zwar nur ansatzweise mit dem Buch zu tun. teilen aber den gleichen Grundsatz: Man muß in Bewegung bleiben. Kerouac selber blieb übrigens lieber zu Hause bei seiner Mutter, trank Bier und schaute fern. Neal Cassady war der wahre Globetrotter. Aber davon später mehr.

William Borroughs

The Naked Lunch (1959) Die Horrorvisionen des drogenabhängigen Schriftstellers lieferten das Gerüst zu „The Naked Lunch“. Eine literarische Fahrt in die Hölle, geschrieben mit dem schwärzesten nur vorstellbaren Humor. Mehr noch als bei Ginsberg, gründet Borroughs Ruhm eher in der Tatsache, daß er all seine Exzesse tatsächlich überlebt hat, als in seinen Büchern.

1980 erlebte seine Ruhm einen mächtigen Wiederaufschwung, als er in Laune Andersons Film ,,Home Of The Brave“ auftrat und auf dem Album „Seven Souls“ 1 Material aus seinem Buch „The Westem Lands“ las. Trotz seines unnahbaren Auftretens (er sieht wie ein Leichenbestatter aus) ist er eigentlich ein geselliger Mensch, zu seinen Rockmusiker-Freunden gehören Bowie, Keith Richards, Lou Reed und Bob Mould. Und er hatte massiven Einfluß auf die Rock-Terminologie. Der Begriff „Heavy Metal“ stammt von Borroughs. Steely Dan benannte sich nach einem Vibrator, den einer von Borroughs Charakteren benutzt. Duran Durans „Wild Boys“ trug den Titel eines Borroughs Romans aus dem Jahr 1971. The Soft Machine wählten, mit des Autors Segen. Borroughs Buchtitel aus dem Jahr 1961 als Bandnamen — Band und Schriftsteller wohnten eine Weile im selben billigen Hotel in Paris, wo sie über die ,.cut-up technique“ Literatur und Musik diskutierten.

Colin Maclnnes Absolute Besinners (1959) Paul Weller hält dieses Buch für einen Meilenstein der Literaturgeschichte. Kann das eine Empfehlung sein? Es ist schwierig geworden, Maclnnes ernst zu nehmen, seit Julien Temples affektierter Kitschfilm (mit Patsy Kensits lausiger Schauspielkunst und Bowies jämmerlichem Titelsong) „Absolute Beginners“ den Todesstoß versetzt hat. Trotzdem, als Zeitdokument hat das Buch seine Werte. Eigentlich der zweite Teil einer Trilogie, schildert es das aufkommende Lebensgefühl des „Swinging-London“. Die Hauptstadt wurde damals langsam multikulturell, die Musik wurde wilder, Jazz- und Popelemente verbanden sich mit den neuen Klängen aus Jamaica. Das Buch ist ein (überaus romantisches) Loblied auf die Jugendkultur der Zeit, aber es hat auch seine ernsten Seiten und findet seinen Höhepunkt in einer Schilderung der Rassenunruhen in Notting Hill im Jahre 1958. Maclnnes Familie war davon sicher nicht begeistert: Denn der Autor von „Absolute Beginners“ war ein Abkömmling des erzkonservativen kolonialistischen Schriftstellers Rudyard „Dschungelbuch“ Kipling.

Anthony Burgess

Uhrwerk Orange (1962) Im Jahr 1959 teilten Arzte Anthony Burgess mit, daß er an Gehirntumor leide und nur noch ein Jahr zu leben habe. Burgess wollte seine Frau nichl mittellos zurücklassen und begann in Hochgeschwindigkeit zu schreiben. Die Diagnose stellte sich glücklicherweise als falsch heraus, doch Burgess konnte sein Tempo seither nicht mehr drosseln und veröffentlichte 30 Jahre lang ein Buch nach dem anderen.

„Uhrwerk Orange“ gehört zu seinen früheren Werken und ist eine (prophetische) Studie der Gewalt in Jugendbanden. In einem frühen Versuch, das Werk zu verfilmen, sollten die Rollings Stones die Schlägerbande spielen und Jagger ihren bösartigen Anführer. Burgess: Jagger sah aus wie das personifizierte Verbrechen.“ Doch es blieb nur bei dem Vorhaben. Als Stanley Kubrick das Buch später erfolgreich verfilmte, sah Burgess keinen Pfennig des Millionengewinns. In den späten Achtzigern wurden U2 darum gebeten, die Musik zu einer Bühnenfassung von „Uhrwerk Orange“ zu schreiben. Burgess haßte das Ergebnis. Und The Edge war erbost: „Burgess sollte bei dem bleiben, was er kann, nämlich Bücher schreiben!“Talsächlich ist Burgess ein besserer Musiker als jeder dieser Band und hat eine Menge wunderbarer Musik geschrieben, unter anderem für eine Gitarrengruppe namens Aighetta Quartet, die auf dem REM-Label (nein, nicht die REM) veröffentlicht wurden.

Ken Kesey

Einer flog übers Kuckucksnest (1962) In den Jahren 1959 und 1960 bezahlte die amerikanische Regierung den Schriftsteller Ken Kesey dafür, psychedelische Drogen für eine mögliche Verwendung durch den CIA zu testen. Und dachte wahrscheinlich

KENKESEY Bner flog über das Kuckucksnest kaum daran, daß sie damit die kalifornische Drogenkultur der Sechziger initiieren würde. In einer seiner hallucinogen-geschwängerten Visionen war Kesey ein Indianer erschienen, der sich selber als „Chief Broom“ vorstellte und später zum Erzähler des Buches werden sollte, das Kesey zum Durchbruch verhalf. Der Rest der Geschichte fügte sich zusammen, als Kesey einige Zeit als Nachtwache in einer Nervenheilanstalt arbeitete. Er betrieb seine Recherchen dabei sehr ernsthaft und meldete sich sogar freiwillig für eine Elektroschockbehandlung, um auch darüber schreiben zu können. Das „Kuckucksnest“ funktioniert auf mehreren Ebenen. Es erzählt eine phänomenal gute Geschichte, mi t Charakteren voll mitreißender Energie, aber es ist auch eine Allegorie vom Kampf des Individuums gegen das System, das ewige Thema des Rock ’n‘ Roll. Keseys Verbindung zu Musik war später deutlicher, als er so was wie der Privatphilosoph der Grateful Dead wurde. Eine Anthologie seiner Werke, „Keseys Garage Säle“ (1973) enthält außerdem Lobgesänge auf Dylan, die Beatles, Woody Guthrie und Joan Baez.

R. Buckminster Füller

Operating Manual For Spaceship Earth (1963) In den frühen Sechzigern herrschte die Meinung, daß Technologie unseren Planeten eher retten als ruinieren würde. Zwei Namen, die mit der Kritik an dieser Position untrennbar verbunden sind, sind der Kommunikationstheoretiker Marshall McLuhan und der Ingenieur/Architekt/Philosoph/Erfinder und Dichter „Bucky“ Füller. McLuhan attackierte den alles durchdringenden Einfluß von Fernsehen und Computer, seine Bücher werden heute allerdings nicht mehr viel gelesen (vielleicht weil er auch das generelle Verschwinden des Buches prognostizierte).

Füller sah den Menschen als Reisenden in einem kosmischen Raumschiff, und sein Ziel war es „den Menschen im Universum zum Erfolg werden zu lassen.“ Dieses hoffnungsvolle Anliegen trieb ihn zu all seinen Erfindungen an. The Grateful Dead berieten sich mit Füller über den Bau eines „flying ballroom“ (dt. „fliegenden Konzertsaals“). Der Komponist John Cage und der Jazz-Revolutionär Ornette Coleman schrieben Musik, die unterschwellig von Füllers Ideen beeinflußt war.

LeroiJones

Black Music (1967) Radikale Kritik vom schwarzen Nationalisten, Dramatiker und Journalist Leroi Jones, der später seinen Namen in Amiri Baraka änderte. Das zornigste Kapitel des Buches konzentriert sich auf den „Diebstahl“ der weißen Musiker am Rhythm V Blues. Rock Musik ist nur die Neuauflage von Dixieland, — weiße Jungs mit albernen Hüten und Frisuren kopieren, was Schwarze erfunden haben. Allein die Namen der Bands sprechen seiner Meinung nach Bände: The Zombies! The Animals! und dagegen der viel edlere Anspruch, der in den Namen schwarzer Bands wie The Imperiales! The Supremes! zum Ausdruck kommt. Das Ganze ist unterhaltsame Polemik, die einen verärgern oder unterhalten kann. Es enthält aber außerdem sehr

wertvolle Passagen über die Pioniere des „New Jazz“: Ornette Coleman, Sun Ra, John Coltrane.

Norman Mailer

Heere aus der Nacht (1968) Mailer hatte 1957 mit seinem Essay „The White Negro“ die Geisteshaltung der Hipsters und Beatniks formuliert, doch in den Mitt-Sechzigern sahen ihn die neuen Radikalen und Hippies nur noch als konservativen Kulturvertreter. Er war gegen LSD. er trank Bourbon und neigte dazu, immer wieder in handgreifliche Auseinandersetzungen zu geraten — das paßte alles nicht besonders gut ins Weltbild der „Love Generation“. „Heere aus der Nacht“ jedoch brachte ihm den alten Ruf zurück. Mailer war einer der ersten amerikanischen Autoren, der sich gegen den Vietnam-Krieg aussprach. In „Heere…“ schließt er sich dem Marsch von 50.000 Demonstranten zum Pentagon an, wird verhaftet und lernt so den Mut kennen, der die Friedensbewegung antrieb. Das Buch ist ein bemerkenswertes Dokument des „New Journalism“, und um einiges lebendiger als ein strikter Tatsachenbericht. Trotz des ernsten Themas hat es auch komische Momente. Mailers Beschreibung der Rock-Band The Fugs (angeführt von den Dichtern Ed Sanders und Tuli Kupferberg), die versuchte mit ihrem Lied „Out, Demons, Out“ „die Teufel aus dem Pentagon auszutreiben“ ist großartig.

Tom Wolfe

The Electric Kool-AidAcid Test (1968) Der größte aller amerikanischen Journalisten in absoluter Hochform, von seinem Thema verführt zu strahlender, üppiger und glasklarer Schreibkunst. Das Buch hat tatsächlich nichts mehr mit Journalismus zu tun. Es erzählt die Geschichte von Ken Kesey und seinem Klüngel, den Merry Pranksters, von der Ankunft des LSD in Kalfornien und von der neuen psychedelischen Musik. The Grateful Dead und Country Joe and the Fish spielen darin eine Rolle, zusammen mit all den anderen Kunstlern, Intellektuellen, Hell’s Angels und Freaks, die sich von der charismatischen Persönlichkeit Keseys angezogen fühlten. Besonders scharfsinnig ist Wolfes literarisches Portrait von Neal Cassady. Hiebei übertrifft Wolfe sogar Kerouac. Sein Schreibstil läßt die euphorische, anarchische Experimentierlust dieser Zeit spüren, und schafft es sogar, subjektive LSD-Erfahrungen in geeignete Worte zu fassen — eine erstaunliche Leistung.

Nik Cohn

AwopbopaloobopAlopbamboom(1969) Vielleicht ist dieses Buch nur ein solcher Klassiker geworden, weil es zum Zeitpunkt seines Erscheinens — 1969 — eines der ersten aufsehenerregenden Rockbücher überhaupt war. Cohn, in England aufgewachsener Ire. Jahrgang 1946, hatte sich mit siebzehn entschlossen, sein Geld mit Schreiben zu verdienen. Mit 22 hämmerte er in knapp fünf Wochen das Buch in seine Schreibmaschine, das danach für Jahre als archetypische Geschichte des Rock n‘ Roll galt. Was Cohn liebte (James Brown, Little Richard, Elvis

Presley, Tin Pan Alley), vergötterte er, was er nicht mochte (praktisch alles, was mit dem Etikett Singer/ Songwriter behaftet war), stampfte er gekonnt in den Boden. Bekannt war seine Abneigung gegen Dylan („Mir hat eine Zeile aus ,Book OfLove‘ von den Monotones mehr bedeutet als das ganze ,Blonde On Blonde‘-Album“), aber auch andere Rock-Größen mußten bei ihm Federn lassen. Diese bewußte, mit einer gehörigen Portion Arroganz gepaarte Subjektivität wurde zwar einige Jahre später zum erklärten Rollenverständnis einer ganzen Schreiber-Generation („New Journalism“). jedoch zum damaligen Zeitpunkt mußte dieser Stil revolutionär wirken. Cohn arbeitete später u.a. für den Observer, Rolling Stone, Playboy, die New York Times und das New York Magazine, wo sein Artikel „Another Saturday Night“ die Grundlage für den Film „Saturday Night Fever“ lieferte. Im letzten Jahr veröffentlichte er den Roman „Heart Of The World“.

Michael Herr

Dbpatches (1971) In den späten Sechzigern schickte das amerikanische Monatsmagazin „Esquire“ Herr nach Vietnam, um von der Front zu berichten. Mit dem zeitlichen Luxus, nur alle vier Wochen einen Text liefern zu müssen, konnte Herr es sich leisten, den Krieg und auch dessen Reflektion in den Medien in Ruhe zu beobachten. Und mehr noch als die Schilderungen aller Grausamkeiten sind es Herrs Beschreibungen der Kriegsberichterstatter bei der Arbeit, die im Gedächtnis bleiben. Bilder von Reportern, die verwundete Soldaten fragen, ob Paris ein guter Ort für Friedensverhandlungen wäre. Bilder von neuen Rekruten, die hochgeputscht von Kriegsfilmen für die Fernsehkameras die Helden im besten John-Wayne-Stil markieren. Oder vom Presseclub bei Nacht, wo Amerikas Journalisten die Joints kreisen ließen, Mothers Of Inventions „Freak Out“ Album hörten und beim Text zu „Trouble Comin‘ Every Day“ leise vor sich hin grinsten.

Ed Sanders

The Family (1971) Charles Manson verbrachte die meiste Zeit der Sechziger im Gefängnis. Er vertrieb sich dort die Zeit mit Studien, las über Scientology, die Motivation des Unterbewußtseins, Magie, Hexenkunst — und Musik. Er schrieb Lieder, sang sie zur akustischen Gitarre und erzählte seinen Mithäftlingen, daß er, sobald er entlassen würde, seine Erkenntnisse über die Kontrolle des Geistes auf das Musikgeschäft anwenden würde und „so berühmt werde wie die Bealles“. Das alles geschah nicht, doch seine Überzeugungskraft brachte ihn an außergewöhnliche Orte. 1969 lebte Manson mit seiner drogenabhängigen Gefolgschaft im luxuriösen Heim des Beach Boys-Drummers Dennis Wilson. Die Beach Boys nahmen einige von Mansons Liedern auf und planten ein Solo-Album mit Charlie, den sie „The Wizard“ nannten. Doch Charlies Blutgier kam dazwischen. Ed Sanders, Begründer der Rock-Band The Fugs, verfolgt Mansons „Aufstieg“ vom Teilzeit-Ganoven zum selbsternannten Messias und schließlich zum Mörder in einer präzise recherchierten Reportage. Die Tatsachen sind verrückt (und ekelerregend) genug. Zum Lesen und sich wundern, warum Axl Rose heutzutage ein Manson T-Shirt auf der Bühne trägt.

Hunter S. Thompson

Fear And Loathing In Las Vegas (1972) Eigentlich eine Serie im amerikanischen Rolling Stone. in seiner wilden Verrücktheit nur übertroffen von Ralph Steadmans zugehörigen Cartoons, etablierte „Fear And Loathing in Las Vegas“ den Ausdruck „gonzo journalism“ im amerikanischen Wortschatz. Insider kannten Thompson damals schon länger. Er war der Journalist, der verrückt genug war, zwei Jahre mit den Hell’s Angels durch die Lande zu ziehen, um ein Buch über sie zu schreiben. Sein Drogenkonsum war legendär. Er hatte auch für einen

Sheriff-Posten in Aspen, Colorado kandidiert, mit dem Wahlversprechen, jedem, der es wollte, eine Runde Mescalin auszugeben. Überflüssig zu erwähnen, daß er die Wahl verlor. Das „Las Vegas“ Buch, im Grunde der Bericht eines fast übermenschlichen chemischen Drogenexzesses, hat die Prüfung der Zeit nicht so gut überstanden wie einige von Hunters politischen Werken, etwa „Fear And Loathing On The Campaign Trail 72“. Hinter seinen lauten und wütenden Worten verbirgt sich eigentlich ein rechtschaffener Kerl, mit einem sehr starken Sinn für Moral. Und das unterscheidet ihn von seinem Nachfolger im Polit-Sektor des Rolling Stone, dem rechtsgerichteten „Republikanischen Party-Löwen“ P. J. O’Rourke, dessen „Humor“ immer auf Kosten anderer geht. Aber das ist wohl ein Zeichen der Zeit.

Don Delillo

Great Jones Street (1973) Der beste Roman, der jemals über Rockmusik geschrieben wurde. Sein Held und Erzähler, ein gewisser Bucky Wunderlick, ist eine wundervolle Gestalt, irgendwo zwischen Dylan, Jim Morrison und lggy Pop. Ein Superstar, der die Schnauze voll hat — von allem. Er verläßt seine Band während einer Tour und verschwindet. Die Industrie will ihn zurück, andere wollen ihn für immer zum Schweigen bringen. Wechselweise trocken, derb oder lustig fängt Delilo viele Aspekte des Rock-Lebens perfekt ein. Bucky’s Zusammentreffen mit der Presse sind besonders unterhaltsam, und seine Songiexte sind so gut, das es ein Wunder ist, daß sie keiner bislang vertont hat.

Philip K. Dick

Confessions OfA Crap Artist (1975) Dick ist bekannt als Science Fiction-Autor und Vorreiter der sogenannten „Cyberpunk-Schule“. In Büchern mit wundervollen Titeln wie „Do Androids Dream Of Electric Sheep?“ erfindet er originelle künstliche Traumwelten. „Confessions Of A Crap Artist“ ist einer seiner wenigen Romane, die nichts mit Science-Fiction zu tun haben. Der Held im Kalifornien der 50er Jahre, Jack Isidore, ist ein einfaches Gemüt, wie eine Neufassung von Dostoevskijs Idiot kommt auch er mit der Welt nicht zurecht. Er ist verwirrt und verwundert über deren Komplexität, und wie ein Besucher von einem anderen Planeten kämpft er darum, seine Eindrücke sinnvoll zusammenzufügen. Die Querbezüge zum Rock ’n‘ Roll mögen spärlich sein (nun gut, Paul Williams, ein Musikkritiker, schrieb das Vorwort des Buches … und man könnte sagen, daß es in der Rockmusik nicht gerade einen Mangel an „crap artists“ gibt, doch Dicks Werk hat eine Menge Post-Punk Musiker beeinflußt. Wo sonst sollte sich Mark E. Smith von The Fall inspirieren lassen???

Michael Moorcock

The Time OfThe Hawklords (1976) Ein weiterer Science-Fiction-Freak („Eiszeit 4000“) und vielleicht der wichtigste von allen. Ein Vierteljahrhundert lang soll Moorcock jedes Jahr um die zehn Bücher veröffentlicht haben, die meisten von ihnen kamen unter Pseudonym auf den Markt. Er bewegte sich zwischen Lohnschreibertum und experimenteller Schriftstellerei. Der Roman „Time Of The Hawklords“ jedoch ist eine der reinen Ehrerbietung dienende interplanetare Geschichte von Schwertern und Hexen, in der Englands Prolo-Space-Rock-Band Hawkwind die Hauptrolle spielt. Die Band, geschmeichelt von diesem Kompliment, nannte sich darauf sofort Hawklords. Doch die Beziehung war damit noch nicht zu Ende. Moorcock schrieb Texte für die Band und veröffentlichte eigene Platten mit Hawkwind. Eine der eher bizarren Begegnungen zwischen Literat und Rock-Musikern.

loan Didion

Das weiße Album (1979, Goldmann) Die kalifornische Journalistin und Autorin Didion läßt ihr Leben in den Sechzigern Revue passieren, in dieser einfühlsamen Sammlung von Essays, die natürlich nach dem namenlosen Album der Beatles aus dem Jahr 1968 benannt ist. Es findet sich Wissenswertes über die Black Panther, über die Frauenbewegung, über Hollywood, doch die besten Passagen handeln von Rockmusik. Didion war niemals eine Musikjournalistin, und das ist ihr Vorteil. Denn sie versucht nicht, sich einzugliedern, sondern beobachtet mit kühler Verachtung und läßt daraus ausgesprochen gute Reportagen

entstehen. Wie etwa der außergewöhnliche Augenzeugenreport eines Studiotages der Doors, die verzweifelt versuchen, das Album „Waiting For The Sun“ fertigzustellen …Was nicht einfach war, denn Morrison war für gewöhnlich abwesend — auch wenn er anwesend war. Didion langweilte sich zu Tode und ging schließlich heim.

Ishmael Reed The Terrible Twos 11982) “ Reeds Romane, “ schreibt das britische Magazin „The Face“, „sind,Rare Grooves‘ in geschriebener Form: laut, modern und fiinky.“ 1988 wurden diese Worte schließlich in Klänge übersetzt: Von Kip Hanrahan und der Band Conjure auf dem Album „Cab Calloway Stands In For The Moon“, auf dem Bobby Womack und Reed selber den Gesang über nahmen und von einer All-Star Jazz- und Funk-Band begleitet werden. Von der Wahington Post als „der zweifellos beste amerikanische Salitriker seit Mark Twain“ gefeiert, scheint Reed als Autor geradezu unfehlbar. „The Terrible Twos“ ist eine phantastische, surreale Satire auf die Korruption und Kommerzialisierung in der amerikanischen Gesellschaff der Gegenwart und Zukunft, in der letztlich ein Männer-Model hinter dem großen Schreibtisch im weißen Haus sitzt.

T. Coraghessan Boyle Budding Prospects (1984) Tom Boyle ist ein Schriftsteller, der so denkt und — mit langem Haar, Ohrring und Armreifen — aussieht wie ein Rockmusiker. Und tatsächlich hat er auch in Bands gespielt. „Schreiben hat viel mit einem Rock-Konzert gemeinsam, “ meint er. „Entweder du bringst das Publikum zum Tanzen oder sie werfen Flaschen nach dir. „Er schrieb möglicherweise bessere Bücher als diesen, seinen ersten Roman, doch „Budding Prospects“ „rockt“ am besten. Ea beschreibt die erfolglosen Versuche dreier Freunde, mit einer Marihuana-Plantage ans große Geld zu kommen, und ihren Kampf mit Regen. Hitze, Schlangen und der Polizei. Der Text ist üppig angereichert mit Rock-Zitaten von Grateful Dead bis hin zu den Ramones.

William Ford Gibson Neuromancer (1984) Der 1948 in Conway. South Carolina, geborene Gibson gilt als einer der aufregendsten und innovativsten SF-Autoren der 80er Jahre. Sein „Neuromancer“ gab einer postmodernen Bewegung innerhalb der Science Fiction ihren Namen: „Cyberpunks“.

Virtuelle Realitäten, der Computer als Bewußtseinserweiterung, die Gefühlsebene im Cyberspace, was Gibson in seinen Büchern zum anarchistischen Chaos werden läßt, wird heute schon als Droge der Neuzeit gehandelt. Kein Wunder also, daß sich der LSD-Papst der Sechziger, Timothy Leary, als Schlüsselfigur auf diesen neuen Trip eingeklinkt hat und Gibson als Cyber-Koryphäe lobt.

Die britische Elektrotruppe Cassandra Complex veröffentlichte 1989 ein Album mit dem Titel „Cyberpunx“, die Berliner Plan B. demonstrierten mit ihrem jüngsten Album „Cyberspace & Sushi Stories“, daß auch sie gerne am Bildschirm hantieren — großartige Novitäten brachte die elektronische Erleuchtung für beide nicht. Jüngstes Beispiel mißglückter Computerkunst: Auch Billy Idol versuchte den Sprung vom Street-Rocker zum „Cyberpunk“ — immerhin mit Sinn für Publicitity. Zum neuen Album ließ er sich fürs amerikanische Fernsehen von Timothy Leary interviewen.

Bret Easton Ellis Unter Null (1985) Ellis war gerade 20 Jahre alt, als er sich mit seinem ersten Roman, dessen Titel (engl. „Less Than Zero“) er einem Elvis Costello-Song entlehnt hatte, an die Spitze amerikanischer Jungautoren katapultierte. Er wurde gefeiert als der „neue Meister amerikanischer Entfremdung“. Sein zweites Buch .American Psycho“ wurde von denselben Kritikern, sie sein Debüt in den Himmel gelobt hatten, in Stücke gerissen. Dieser Sinneswandel ist nur schwer zu verstehen, denn auch „Unter Null“ ist ein schonungsloses und grausames Buch. In einer Schlüsselszene wird ein zwölfjähriges Mädchen nackt ans Bett gefesselt, mit Heroin vollgepumpt und von einer ganzen Gang oral vergewaltigt. Das ist die Art von Vergnügen, das L.A.-Kids lieben, scheint Ellis sagen zu wollen. Die Charaktere verbringen viel Zeit damit, ihre sonnengebräumten Gesichter in Spiegeln zu bewundern, wenn sie nicht gerade Kokain schnupfen oder über die Vorzüge von Human Legaue im Vergleich zu den Psychedelic Fürs diskutieren.

Philippe Djian Bern Blue – 37,2 am Morgen (1986) Allein der Titel ist Musik. „Betty Blue“, so könnte auch eine schmerzhafte Liebes-Ballade heißen, und etwas anderes ist dieses Buch auch nicht. Betty und der Erzähler, ein verhinderter Schriftsteller mit einer natürlichen Vorliebe für Alkohol, durchleben in rasanter Geschwindigkeit eine „amour fous“, im wahrsten Sinne des Wortes und mit — natürlich — tragischem Ende. Betty Blue ist traumhaft, tragisch und mitreißend, von Kritikern in seiner Wirkung verglichen mit „flirrenden Jazz-Klängen in der Nacht“.

Sein musikalisches Alter Ego hat Djian vor ein paar Jahren im Schweizer Stephan Eicher gefunden. Djian schreibt alle französischen Texte des dreisprachigen Sängers.

Salman Rushdie Das Lächeln des Jaguars (1987, Piper) 1986 machte Daniel Ortegas sandinistische Regierung ein cleveren propagandistischen Schachzug, als sie ein weites Spektrum frei denkender Künstler auf ihre Kosten nach Nicaragua einlud. Eine Menge Rock-Musiker waren dort: Jackson Browne. Kris Kristofferson, Bruce Cockburn. Paul Kantner, Billy Bragg, und alle waren betört von der exotischen Romantik dieses kleinen Landes, das sich im Krieg mit Ronald Reagans Amerika befand. Rushdie reiste damals auch nach Nicaragua und war fasziniert von einem Land, in dem es schien, als seien alle Regierenden verhinderte Dichter. Rushdie wollte über die Revolution sprechen, die Nicaraguaner nur über Literatur. Und dazu spielte das Radio Springsteens „Born In the USA“. Das Buch heute zu lesen, weckt seltsame Gefühle, vor allem in Anbetracht der weiteren Geschichte der beteiligten Parteien: Die Sandinisten flogen bei der ersten freien Wahl aus dem Parlament und Rushdie wird heute von einem bösartigen Monster bedroht — den islamischen Fundamentalisten.

Oscar Hijuelos The Matnbo Kings Play Songs OfLove (1989) Willkommen in der Welt der afro-kubanischen Musik. Im Jahr 1949 reisen zwei Brüder, Nestor (Trompete) und Cesar (Gesang) von Havanna nach New York, um sich dort als die „Mambo Kings“ einen Namen in der lateinamerikanischen Musikszene zu machen. Die Clubs sind voll bis zum letzten Platz, wenn sie gegen die großen Stars dieser Zeit antreten: Tito Puente, Tito Rodriguez, Machito, Eddie Palmieri. Doch ihr schneller Aufstieg wird vom plötzlichen Tod Nestors jäh gestoppt. In diesem Buch zeichnet Oscar Hijuelos ein äußerst authentisches Bild des Ruhmes Afrokubanischer Musik im New York der Nachkriegszeit, obwohl die „Mambo Kings“ natürlich völlig fiktiv sind.

Douglas Coupland Generation X (1991) Es mußte wohl ein Kanadier kommen, um die sinnarme Perversion amerikanischer Pop- und Konsumkultur in eine Geschichte zu packen, die sofort zum Kultbuch der jungen Neunziger hochstilisiert wurde. Das Ende des Yuppie-Zeitalters ist Couplands Ausgangspunkt. Andy, Ciaire und Dag, drei Mittzwanziger und damit typische Vertreter der hoffnungslosen „Generation X“. haben sich aus dem warmen Erfolgsreigen in die kalifornische Wüste verabschiedet, wo sie ihr anspruchsloses Dasein verdienen, und sich die Zeit damit vertreiben, sich gegenseitig Geschichten zu erzählen. Und ihre Geschichten sind Spiegelbild der Zeit, amüsant, ironisch, scheinbar distanziert und emotionslos und doch voller Sehnsucht nach Liebe und unmittelbarem Lebensgefühl. „Generation X“ ist zum stehenden Begriff der amerikanischen Gegenwart geworden. Musikmagazine wie „Spin“ und „Rolling Stone“ versäumen nicht, in jedem dritten Interview Musiker nach dem Phänomen zu befragen.