Nick Cave & The Bad Seeds :: Tender Prey

Vom zerklüfteten Punkblues-Terrain ins selige Pop-Elysium: drei neu aufgelegte Alben des hohlwangigen Poeten und Crooners.

Wo hatte es geendet, damals vor knapp einem Jahr? Bei „sinistrem Liedgut zwischen Emotion und Eruption, Melodik und Melodramatik“ titels YOUR FUNERAL … MY TRIAL, Album Nummer vier von Nick Cave und den Bad Seeds und zusammen mit den drei Vorgängerwerken im Frühsommer 2009 als klanglich optimierte und mit neuen Liner Notes versehene CD/(Audio-)DVD-Kombi samt ein paar visuellen und akustischen Extras neu aufgelegt. Nun liegt in gleicher Ausstattung der zweite Teil der Werkschau vor – und der beginnt mit einem Paukenschlag. Denn der Opener des in Berlin und London entstandenen 1988er Albums TENDER PREY raubt einem immer noch und immer wieder den Atem. Wer „The Mercy Seat“ gehört hat, die später von Rick Rubin für Johnny Cash adaptierte Moritat eines zum Tod auf dem elektrischen Stuhl Verurteilten, das mantraartig repetierte „And I’m not afraid to die“, der wird das Stück nicht mehr aus dem Kopf kriegen. Leider vermag der Rest der Lieder dieses Level nicht durchgehend zu halten. Die Drogen? Der Stress in diversen Studios? Das mähliche Hinübergleiten vom Underground in den aufgeklärten Mainstream? Was auch immer. Auf THE GOOD SON, im Oktober 1989 in Brasilien aufgenommen, erscheint einem jedenfalls das Zerschossene, das Konfrontative, bisweilen Kakophonische, das frei Flottierende des Frühwerks endgültig nur noch als fernes Echo. Stattdessen geht’s hier ambitioniert, gravitätisch, ja pathetisch zu. Vier der neun Songs tragen den Begriff „Song“ im Titel, und alles nimmt sich so bedeutsam und dabei doch so gespenstisch niedlich aus wie die kleinen Ballerinas auf dem Cover. Fast forward: Kid Kongo Powers ist gekommen und gegangen, Mick Harvey, Blixa Bargeld und Thomas Wydler sind geblieben, Conway Savage und Martyn Casey heißen die Neuen – und HENRY’S DREAM (1992), ist ein Unterschied ums Ganze. Der düstere Sound der Straßenmusiker von Sao Paulo, die ihre „brutalen, atonalen Songs auf zerschrammten Akustikgitarren raushauen“, geisterte Cave seit seinem Brasilien-Aufenthalt durch den Kopf. Aber wie’s so geht: „We failed, but found something new instead.“ Eine zauberhafte, hymnische, nie zu dick auftragende Musik nämlich, großartige Songs, die es in ihren besten Momenten mit denen Scott Walkers aufnehmen können. Zwei Jahre sollten bis zu Caves nächstem Studioalbum vergehen – und vieles würde anders sein.