Musik zum Lesen


Eine sogenannte Legende, schon zu Lebzeiten eher tot als lebendig, wurde ausgegraben und gebührend gefeiert: Elvis - das Becken - hätte das halbe Jahrhundert vollgemacht, wäre er nicht einige Jahre vorher seinem eigenen Mythos zum Opfer gefallen. Jubiläen dieser Größenordnung produzieren bekanntlich nicht nur peinliche TV-Abende -Höhepunkt diesmal: Millionen Hausfrauen schokkiert, Howard Carpendale gesteht: "Auch mich erregte Elvis' Hüftschwung... "-, sondern auch jede Menge bedrucktes Papier. Doch wer einen Buch-Boom befürchtete, kann aufatmen: Nur zwei Neuerscheinungen begleiten die Presley-Festivitäten.

Die allerdings heben sich wohltuend ab vom Gros der Jubiläums-Aktivitäten. „Elvis – King der verlorenen Herzen“ nannte Barry Graves, RIAS-Moderator und Co-Autor des Rowohlt-Rocklexikons, seine „Biographie der ungewöhnlichen Art“ (Klappentext).

Ungewöhnlich in der Tat: Graves zelebriert keinen unkritischen Kult, er nebelt keine verklärende Nostalgie herbei – und auch wer neue Enthüllungen erhofft, dürfte kaum auf seine Kosten kommen. Stattdessen sucht der Autor auf sicherem Faktenfundament eine sehr persönliche, oft schmerzliche Auseinandersetzung mit dem Südstaaten-Kid, das – heute nur schwer vorstellbar – mit eindeutiger Unterleibs-Motorik das Eisenhower’sche Amerika um den Verstand brachte und ganz scharfe Moralapostel gar den Vorboten der Weltrevolution (was sonst?) vermuten ließ.

Presley ist für Graves kein Spekulationsobjekt, das es zu denunzieren gilt, sondern eher eine tragische Figur, die – fernab von einer mythisierenden Oberflächlichkeit – Achtung und Sympathie verdient.

Eine Sympathie, die, so folgert Graves, seinem zwielichtigen Manager Colonel Tom Parker schon fast zwangsläufig abgehen mußte: Hätte er seinem Schützling sonst derart schlimme Drehbücher für seine unsäglichen Hollywood-Episoden zugemutet? Wäre er sonst regelmäßig mit allenfalls mittelmäßigen Songschreibern in den Plattenstudios aufgekreuzt?

Nein, denn „Parker verfuhr mit Elvis nicht anders als mit seinen grotesken Jahrmarkts-Attraktionen“, die dem illegalen Holland-Einwanderer das tägliche Brot in mageren Depressionszeiten brachten: gelb bepinselte Spatzen, die den Leuten als Kanarienvögel untergejubelt wurden; Wasser, mittels Zitronensäure zur „frischen Limonade“ frisiert; tanzende Hühner, die sich nur deshalb zum Foxtrott animiert sahen, weil eine unter dem Stroh versteckte Heizplatte nicht gerade zum Stillsitzen einlud.

Eine lohnende Lektüre, nicht zuletzt wegen der lebendigen, bildhaften Sprache. Presleys gewaltigen Medikamenten-Konsum beschreibt Graves z.b. als „chemische Surfbretter, die einen auf den drohend heranschwappenden Wogen des Unwohlseins und der Existenzangst sicher an entlegenste Traumufer trugen“-, und der guten Ausstattung: Ein ansehnliches Cover (von „Rock Dreams“-Autor Guy Peellaert), ganzseitige Fotos, ausführliche Disco- bzw. Filmographie und ein Personen- und Sachregister. (Albino-Verlag, 29,80 DM)

Von ähnlicher Güte, aber gänzlich anderer Machart ist dagegen „Elvis. Sein Roman“ von Robert Graham/Keith Baty, das im Original vom Vorjahr datiert und jetzt in einer schnörkellosen Übersetzung von Alexander Schmitz vorliegt.

Recherchen der beiden jungen Iren bei Presley-Zeigenossen förderten gar Wundersames zutage. Hören wir etwa, was Elvis‘ erste Freundin Dixie Locke (nachzulesen in ihrem Buch „Elvis und der Hamlet Komplex“) über den „Memphis Flash“ zu berichten weiß:

„Okeh, er war ehm n bißchen schüchtan und so, aba im Grund waran guta Kerl, der King, und er hat nie mein Busn angegrapscht, nicht mal, wie ich ihm den einmal so richtich in sein Gesicht reingedrückt hab und alles. Der King stand einfach nur so da und sagte bloß imma wieda: „Ab mit dia ins Klosta, ab mit dia ins Klosta …“

Und was haben Graham/Baty über den Mephisto der Presley-Tragödie herausgefunden? Nun, der „Cörnel“ lernte zunächst auf der „School Of Hard Knocks“ (Abschluß mit Auszeichnung), „wie man Scheiße als Diamanten verkauft“, hatte dann aber bei der praktischen Umsetzung doch einige Probleme: Eine Horde empörter Hausfrauen bombardierte Parkers Laster mit Eiern, Tomaten und Mehl (sah aus „wie son Amatör-Omlett auf Reeda“, erinnert sich eine Beteiligte im Standardwerk „Feminismus im Süden“), als sich herausstellte, daß das von ihm angepriesene Liebespulver für Männer nur gegen Kopfschmerzen etwas ausrichten konnte …

Und so geht es munter weiter: Auf rund 300 Seiten zerrupfen Graham/Baty den Elvis-Mythos und geben ihn der Lächerlickeit preis – witzig, zynisch, respektlos. Eine bitterböse Persiflage auf Showbiz-Rituale und Fans, die noch den letzten Furz ihres Helden käuflich erwerben würden – und eine amüsante Lektüre, die man nicht allzu ernst nehmen sollte. (Fischer Taschenbuch-Verlag, 9,80 DM).

Zu den wenigen hiesigen Verlagen, die sich – mehr oder weniger regelmäßig und fast durchweg auf höherem Niveau um populäre Musik/Kultur bemühen, gehörte bisher Rowohlt. Doch sind aus diesem Hause in letzter Zeit nicht nur fragwürdige Management-Wechsel und qualitative Einbrüche (siehe Nena-Buch, ME/Sounds 11/84) zu vermelden; Einzug gehalten hat dort anscheinend auch eine gewisse Ratlosigkeit, was die Veröffentlichungspolitik betrifft anders sind die vorliegenden Neuerscheinungen kaum zu erklären.

„Highlige Schritten“ ist eins jener Wortspiele, die fast zwangsläufig nur auf den einen Autor schließen lassen können – und richtig: Gleichnamiges Taschenbuch versammelt alle Songtexte von „the one and only“ Udo L., auch die englischen und einige bisher unveröffentlichte Werke unseres Platitüden-Spezialisten. Steve Peinemann führt mit einer kurzen „Ouvertüre“ in das Schaffen des Meisters ein. Schön und gut, nur: Wer braucht so etwas außer vielleicht 200%en Lindenberg-Fans? (Rowohlt-Verlag, 9,80 DM) Leider verschoben wurde „Rock Session 8“, das ursprünglich schon für Deztmber ’84 geplant war und jetzt endgültig irgendwann im Sommer dieses Jahres erscheinen soll: Unter dem Titel „Sound und Vision“ wird der Schwerpunkt auf Studios und Produzenten liegen.

Ende März, rechtzeitig zur 15. „Rockpalast-Nacht, erscheint „Das Rockpalast-Buch“, Teil 2. Herausgegeben

vom früheren „Sounds“-verleger Jürgen Legath und bebildert von Rockpalast-Fotograf Manfred Becker, soll der Bildband diesmal im Magazin-Format erscheinen und für 9,80 DM an jedem Kiosk erhältlich sein.

Herkömmlichen Pop-Kategorien entzieht sich die Amerikanerin Laurie Anderson, was gerade an der Veröffentlichung einer 5-er. LP-Cassette mit Ausschnitten aus ihre United States-Performance wieder recht deutlich wurde.

Als willkommene Ergänzung dazu ist jetzt das erste deutschsprachige Oeuvre über die Multimedia-Kulturschaffende erschienen, programmatisch schlicht „Laurie Anderson -United States I-IV“ betitelt. Ein gewisser Todomoto besuchte die Europa-Premiere dieser Performance im Februar ’83 in London und beschreibt seine Eindrücke, unterstützt von Fotos aus der Aufführung, biographischen Rückblicken und ausgewählten Originaltexten in deutscher Übersetzung. Eine Disco-/Biblio- und Cassettographie stehen für eventuelle Nachforschungen zur Verfügung. (Trikont-Verlag, 10,- DM) „Hinter der glitzernden Fassade der Rock ’n Roll-Szene klaffen Abgründe“, hat Gary Herman entdeckt und sich sogleich aufgemacht, diese etwas näher zu ergründen. Ergebnis seiner Bemühungen ist“Rock-’n’Roll Babylon“, das im Original bereits 1982 für Furore sorgte und nun als deutsche Erstveröffentlichung zu haben ist.

Welcher Art die Abgründe sind, dürfte klar sein: Drogen, Mismanagement, entfremdeter Sex, mysteriöse Todesfälle/-ursachen. Herman hat eifrig recherchiert, auch in der Tages-/ Boulevardpresse, die ja bei gewissen Themen mitunter recht ergiebig sein soll, und serviert‘ auf über 400 gut lesbaren Seiten eine gekonnte Mischung aus Klatsch und Business-Schelte.

Gut, daß das hervorragende, großenteils unveröffentlichte Fotomaterial vollständig übernommen wurde. (Heyne-Verlag, 12,80 DM) „Dread Beat And Blood“, der zweite Gedichtband von Linton Kwesi Johnson, enthält einige der schönsten/wichtigsten Poems des Mannes aus Brixton und ist nun auch als deutsche Ausgabe greifbar: Originale, meist im Jamaika-Dialekt Patois verfaßt, und Übersetzungen wurden jeweils gegenübergestellt. „Dread Beat And Blood“

diente Johnson als Textgrundlage für gleichnamige LP und die Vinyl-Nachfolger FORCES OF VICTORY und BASS CULTURE. Ulli Güldner führt kurz und präzise in Biographie und Werk ein. (Buchverlag Michael Schwinn).

„Album Cover Album -Vol. 3“ führt wieder eine sachkundige, thematisch untergliederte Cover-Auswahl vor; wie die Vorgänger wurde auch dieser Band von Roger Dean und David Howells zusammengestellt. Das dritte Buch der Schallplattenhülle deckt die Jahre 1982-84 ab und will insbesondere regelmäßig wiederkehrende Design-Elemente herausstellen und einordnen. Wegen der großen Nachfrage wurde jetzt auch Band 1 noch einmal neu aufgelegt. (Edition Olms, je 34,80 DM).

Der obligatorische Blick ins Vereinigte Königreich: Zunächst, aus der Abteilung für „feuchte Höschen“, zwei Bildbände, die vorrangig die Pulsfrequenz der weiblichen Leserschaft sprunghaft ansteigen lassen sollten. „Sing Blue Silver“, die offizielle Duran Duran-Fotobio: Denis O’Regan lichtete Le Bon, Hofstaat und Untertanen auf der letztjährigen World-Tour ab. (Tritec Publ., 28,80 DM).

Das bewährte Team Philip Kamin (Fotos)/Peter Goddard (Text) tat sich für eine gut gestylte Van Haien-Bildbiographie zusammen, Vorzeige-Macho David Lee Roth tritt zur Bühnen-Modenshow an. (Sidgwick & Jackson, ca. 38,-DM).

Viel Milch (=Substanz), wenig Kakao (= Fotos) dagegen bei einer neuen Clapton-Bio:

„Slowhand – The Story of Eric Clapton “ von Harry Shapiro ist das erste Werk über den Gitarristen seit 1976 und enthält eine der umfangreichsten Discographien (incl. Sessions, Raritäten etc.), die ich je gesehen habe. (Proteus, 24,80 DM).

Da nach dem letzten Artikel doch etliche Anfragen wg. Bezugsschwierigkeiten eingingen, hier abschließend Grundsätzliches: Veröffentlichungen hiesiger Verlage sind in jeder Buchhandlung, wenn nicht gleich vorhanden, so doch mindestens unter Titel-/Autoren- und Verlagsangabe bestellbar. Bei Publikationen aus GB/USA lieber gleich einen der (Versand-) händler in Anspruch nehmen, die direkt importieren. Zwei Bezugsquellen (mit neuer Adresse!): Groovers Paradise, Hermannsburger Str. 27, 3104 Unterlüss; Kulturbuch, Grindelallee 91,2 Hamburg 13. J.F.