Annie Lennox


Auf Mallorca hat sich der Glamour-Star der 8oer an ein neues Leben gewöhnt und macht nur noch gelegentliche Ausflüge ins Pop-Business.

Die Frau mit den halblangen, haselnußbraunen Haaren und der schlichten Goldrandbrille fällt keinem der unzähligen Mallorca-Touristen auf, die das beschauliche Dorf an der felsigen Steilküste täglich heimsuchen. Dabei haben viele die CDs der Dame mittleren Alters im Schrank stehen, die da ganz unscheinbar eine Tasse Tee in der Cantina schlürft. Die meisten kennen Annie Lennox nur von exotischen Fotos mit karottenroten Haaren und Kontaktlinsen. Ein wenig abseits des Trubels des Touristennests Deja lebt seit einigen Jahren einer der größten Popstars der 8oer Jahre in relativer Abgeschiedenheit. In Deja versuchte Annie Lennox Ruhe zwischen Studio- und Tourphasen zu finden. Heute ist das Dorf der Hauptwohnsitz für ihre Familie geworden: Ehemann Uri Fruchtmann und die beiden Töchtern Lola (4) und Tali (2). Die drei sind ihr wichtiger als alles andere: „Vor allem die Kinder haben mich völlig verändert. Da ist jemand, für den du Verantwortung trägst und der dich mit der Frage nach dem Sinn des Lebens konfrontiert.“ Um sich nicht zu sehr von ihrer Familie abschotten zu müssen, verzichtete die 40jährige Lennox darauf, für ‚Medusa‘, dem Nachfolgealbum ihres Fünf-Millionen-Sellers ‚Diva‘, neue Songs zu schreiben, sondern produzierte für das neue Album ausschließlich Cover-Versionen. Bei der Auswahl der Songs ließ sie sich von ihrer „..Intuition leiten. Bob Marleys ‚Waiting In Vain‘ lag nahe, weil Uri gerade einen Dokumentarfilm über Reggae drehte.“

Von Uri nimmt Annie gern Anregungen an: „Unsere Beziehung ist klar und ehrlich. Glücklicherweise kritisiert er mich, ist dabei aber immer konstruktiv. In meiner Position bist du sonst nur von lauter Ja-Sagern umgeben.“ Uri hatte Annie vor ein paar Jahren Neil Youngs CD ‚After The Gold Rush‘ vorgespielt. Danach gehörten Neil Youngs CD’s monatelang zu ihren Lieblingsplatten. Für ‚Medusa‘ suchte sie Youngs ‚Don’t Let It Bring You Down‘ aus. Eine persönliche Beziehung hat Annie auch zu ‚Whiter Shade Of Pale‘ von Procol Harum. Es war die erste Platte, die sie sich kaufte – mit 14 Jahren.

Die neuen Versionen der alten Songs sang Annie zuerst im spanischen Studio zu Drumbox und Keyboards auf’s Band. Später flog sie nach London, um mit dem Produzenten Stephen Lipson den Rest zu bearbeiten. Steve und Annie sind ein eingespieltes Team. Das war nicht immer so. „Steve wurde mir von meinem Manager für ‚Diva‘ vorgeschlagen“, sagt sie. „Ich spielte ihm die Roh-Fassungen der ersten Lieder vor, die ich ganz allein geschrieben hatte. Damals konnte ich seine Reaktion nicht deuten. Ich fühlte mich unsicher und deprimiert und dachte: ‚Der haßt dich und findet deine Arbeit schlecht.“ Aber nach dem zweiten Treffen kamen wir phantastisch miteinander aus.“ Auch Lipson half Annie bei der Auswahl der Songs, ‚Downtown Lights‘ von Blue Nile einzuspielen, war seine Idee. Die melancholischen Schotten, die Annie noch von den Aufnahmen zu ‚Diva‘ kennt, gehören zu ihren Lieblingsmusikern. Die Herkunft verbindet: „Engländer sind reservierter und haben mehr Schwierigkeiten, offen und warm zu sein als wir Schotten.“

Ein weiter Weg, seit Annie Schottland verließ, um in London Musik zu studieren, seit den extrovertierten Tagen der Eurythmics. „Seither veränderte ich mich dauernd. Bevor ich meine erste Solo-CD aufnahm und mich für Videos verkleidete, hatte ich zwei Jahre lang nichts anderes als T-Shirts und Jeans getragen, sehr zum Mißfallen meines Mannes. Ich wollte kein Make Up auflegen. Ich wollte mich unsichtbar machen.“

Seitdem ist sie anspruchsloser: „Ich hatte mich zu sehr ans Leben aus dem Koffer gewöhnt. Wenn ich nunheimkomme, muß ich Essen kaufen und Betten machen. Alles Dinge, die so viel Zeit in Anspruch zu nehmen scheinen, daß du dich fragst, wie du jemals noch etwas anderes schaffen kannst. Von meinen Reisen war ich die besten Hotels gewohnt, aber nach einiger Zeit wurde dieser ganze Luxus schal und eindimensional.“

Nicht nur deshalb wird es die Eurythmics in nächster Zeit wohl nicht mehr geben. „Dave Stewart und ich hatten eine so intensive Beziehung, im kreativen wie im persönlichen Bereich“, sagt Annie. „Wir haben unsere besten Seiten kennengelernt, aber auch die schlechtesten. Wir haben immer zehn Dinge gleichzeitig gemacht, bis zum Psycho-Kollaps. Am Ende fühlten wir uns wie ein Paar, das seit 100 Jahren zusammen ist.“

Für Annies Ex-Partner Dave kam die Trennung überraschend: „Wir hatten das Kapitel Eurythmics nie offiziell abgeschlossen“, resümiert Dave Stewart. „Ich hatte mich nur auf Soloprojekte wie die Spiritual Cowboys gestürzt, um die Pausen zwischen unseren gemeinsamen Arbeitsphasen zu füllen. Und dann kam Annie plötzlich mit diesem Album an und erklärte: ‚Das ist der Anfang meiner Solokarriere.‘ Das hat mich schockiert. Abgesehen davon klingt Annie solo etwas zu glatt für meinen Geschmack.“