Smashing Pumpkins: Endspiel


Billy Corgan & Co. auf Abschieds-Tournee. Im Herbst kommen sie zum letzten Mal nach Deutschland.

Es konnte einem angst und bange werden um Billy Corgan. Wer den Vorsitzenden der Smashing Pumpkins im Clip zu „The Everlasting Gaze“ bei der Arbeit beobachtete, dem schwante möglicherweise: Bei dem Dreh hat Corgan mindestens drei Mikros zerbissen. Wenn nicht sogar eins verschluckt. So viel Energie. So viel schick stilisierte Wut. Die Smashing Pumpkins eben, die showintensivsten Rocker im Alternative-Bereich. Und dann, Mitte Mai, bei dem Pumpkins-Gig in der „Bronco Bowl“ zu Dallas, folgendes Szenario: Billy Corgan geht gen Bühnenrand und berührt seine Fans. Erzählt, dass er mit den Pumpkins 13 Jahre seines Lebens verbracht hat. Steigt auf Boxentürme und kann so die Hände der Fans auf dem Balkon schütteln. Ein ebenso heftiges wie ungewohntes Menschein von Billy Corgan – wenn auch ein nachvollziehbares. Denn:

Abschied ist ein scharfes Schwert, und die Smashing Pumpkins sind seit Monaten auf ihrer letzten Tour vor dem annoncierten Split der Band. Und vor dem letzten Vorhang gibt Corgan bei den Konzerten in Nordamerika noch mal den großen Mahner und Warner vor dem Herrn, mit dem er quasi die komplette Karriere der Pumpkins hindurch auf du und du stand: Gott höchstpersönlich. Zu dem hatte der Musiker aus Chicago, Illinois, schon immer einen heißen Draht – nicht zuletzt im Titel des aktuellen Pumpkins-Albums „MACHINA/the machines of God“. Und so lauschen die Konzertbesucher zwar de facto Corgan, aber irgendwie sprichtauch Gott zu ihnen.

Und Gott posaunt zum Beispiel Sachen wie „Lang lebe Britney Spears, lang leben die Backstreet Boys“ von der Bühne und ist fürderhin ganz und gar dafür, sich der hässlichen Fratze der Realität zu stellen. Und verkündet allerorten der Menge: „Seht der Tatsache ins Gesicht, die werden nicht einfach von allein verschwinden.“ So ist das wohl. Und ohne Frage ist Billy Corgan auf seiner finalen Missionstour auch rein äußerlich ganz er selbst: In der Wahl seiner Tapeten seit eh und je ein extravaganter Exzentriker, ist Schwarz mehr denn je eher Zustand als Farbe. Mal im hautengen Lederanzug, mal mit Wallemantel und obenrum wie immer kahl und glänzend, tut ein dezentes Make up sein übrigens, daß Billy Corgan wie ein gewagtes Crossover aussieht: einerseits der Onkel Fester aus der Addams Family, andererseits der Wiedergänger von Nosferatu.

Den Gegenpart dazu gibt auf der ultimativen Konzertreise der Pumpkins Melissa Auf Der Maur: optisch eher auf weiß und bleich getrimmt, ist die Kurzzeitbassistin (kein Album, eine Tour mitgespielt) die Reine, die Unberührte, wenn auch zuweilen Bauchnabelfreie. Wie schön. Aber auch: wie diskussionswürdig. Fix ein Bettlaken übergeworfen, zwei Gucklöchlein für die Augen reingeschnitten, und fertig ist die Laube: Nosferatu und Hui Buh auf einer Bühne. Und der Rest der Band? Ist da und macht seine Arbeit. Und das gut. Wie überhaupt die Setlist zum Kehraus gut und vor allem variabel gestaltet ist: Neben „The Everlasting Gaze“ in der bekannten, halsbrecherischen Haarschüttelversion sind es vor allem Songs vom „MACHINA“-Album wie „Heavy Metal Machine“ oder „I Of The Mourning“, mit denen man sich trefflich die Frisur durchpusten kann. Gleiches gilt allerdings auch für zwei der Coverversionen, die die Smashing Pumpkins in ihrem aktuellen Programm haben: zum einen „Rock On“ von David Essex, und zum anderen einen der bekanntesten Songs der Talking Heads:“Once In A Lifetime“.

Klar, dass in Sachen Wave bei den Pumpkins nichts geht – die Band bürstet den Song konsequent in Richtung Metal, und dafür schuften Billy und seine Gefolgschaft heftig. Die Stimme des Chef ist mal kehlig, mal krähend, immer schnarrend und stets gut beieinander – und auch Drogen-Rekonvaleszent Jimmy Chamberlin präsentiert sich in guter Verfassung. Muskelbepackt und kraftvoll war sein Schlagzeugspiel immer, nun ist es auch wieder künstlerisch wertvoll. Sogar dann, wenn Chamberlin sein angestammtes Instrument verlässt, dafür ein Rhythmusmaschinchen vor sich hin pluckert – und sich der Drummer sodann flugs eine akustische Gitarre schnappt und zusammen mit Billy Corgan und James lha „1979“ anstimmt. In einer Wanderversion und mit reichlich Pop-Appeal-wie generell die Songs des besten Pumpkins-Albums,“Mellon Collie And The Infinite Sadness“, die drei wichtigen Buchstaben P-O-P mit reichlich Inhalt füllen:

„Tonight, Tonight“ etwa. Euphorisch. Melodiös. Schön. Pop eben. Bleiben Rhythmusgitarrist James lha und Bassfrau Melissa Auf Der Maur. Ersterer, mit Corgan schon seit gemeinsamen College-Zeiten befreundet, macht seine Arbeit präzise und unspektakulär: ein mannschaftsdienlicher Spieler halt. Ein bisschen anders sieht die Sache bei Melissa Auf Der Maur aus: ein kleiner Fauxpas bei „Stand Inside Your Love“, und schon teilt Corgan dem Publikum mit, was er der Bassistin ob ihres Verspielers gerade ins Ohr geflüstert hat: „Ich hab‘ ihr gesagt, dass ich sie nach der Show feuern werde.“ Ein Schelm, ein Spaßvogel – aber auch in gewisser Weise ein väterlicher Freund: Spiel richtig, und Papa ist zufrieden, wird es dir lohnen. „Everybody needs somebody, even I need somebody“, hat Corgan die Konzertbesucher in Seattle wissen lassen. Was tröstlich und tragisch zugleich ist: Billy Corgan als einer unter Gleichen. Aber wer will das schon? Beziehungsweise: wollte. Die Smashing Pumpkins werden definitiv dahinscheiden. Was bleibt, sind etliche Textzeilen, die jedermann ewiglich auf seiner mentalen Festplatte abspeichern sollte. Vor allem jene aus „Disarm“:“The killer in me is the killer in you“ – kann man kaum besser singen. Abschied bleibt ein scharfes Schwert. Und Billy der König. Auch ohne die Smashing Pumpkins.