Aus dem Stand zu gross für diese Stadt


Die Julians verlassen ihre Heimat. Weil sie alt genug sind. Und weil sie eine Band sind. Zuvor zeigen sie uns noch ihr Dinslaken. Auf dass wir die Kilians besser kennenlernen.

Nicht nur der Titel des dritten Songs des zweiten Albums von Kihans ist von schulbandrockiger Eindeutigkeit – er heißt „Hometown“. Auch sein Refrain hält sich nicht groß mit Metaphorik auf: „There is no way out/And again I shout/that I’m still so proud of my hometown.“ Ein Lied auf die Heimat, die Kleinstadt – Dinslaken. Sänger Simon den Hartog bestreitet zwar, dass „Hometown“ als direkte Hommage geschrieben wurde:

„Das ist ja eigentlich universell anwendbar.“ Klar. Aber im Fall von Simon und seiner Band ist es eben ganz konkret auf diese Stadt im Nordwesten des Ruhrgebiets anzuwenden: Dinslaken, 70.000 Einwohner. Kaum ein Bericht über Kihans kommt ohne diesen Hinweis aus: Dies sind die Jungs aus der Provinz, die kaum nach Provinz klingen und damit erfolgreich sind.

Die Story so far – ein kleines Märchen. Die gute Fee: Thees Uhlmann. Irgendwer drückt ihm Aufnahmen der Band in die Hand. Das passiert ihm andauernd: Sänger einer erfolgreichen Band (Tomte), der ein Label mitbetreibt (Grand Hotel van Cleef). Doch er hört sie sich tatsächlich an und ist begeistert. Im Frühjahr 2006 findet sich die junge Band – Simon hat noch nicht einmal sein Abitur in der Tasche – im Vorprogramm von Tomte wieder.

ber zurück zu Dinslaken. Genügt die provinzielle Herkunft noch als Topnachricht? Wo z.B. Weilheim oder Bad Salzuflen doch schon vor Jahren gezeigt haben, dass Rockmusik, interessante, innovative Rockmusik dort draußen entstehen kann. Allerdings zogen selbst die stoischen The Notwist eines Tages nach München um, zumindest teilweise. Und die jungen Wilden Jochen Distelmeyer, Frank Spilkerund Bernadette LaHengst aus Ostwestfalen verschlug es schon Anfang der 90er nach Hamburg. Fahren wir nach Dinslaken und schauen, wie lange es die Kilians noch halten kann. Uns scheint die Sonne ins Gesicht, als wir an einem Samstagnachmittag aus dem Hauptbahnhof ins Freie treten. Der Vorplatz steht der Hässlichkeit der meisten anderen Bahnhofsvorplätze in Nordrhein-Westfalen in nichts nach. Und siehe da: “ Hier ist alles schon in Auflösung begriffen“, wird uns Drummer Michael „Micka“ Schürmann gleich erzählen. Sängerund Songautor Simon ist bereits nach Köln gezogen, auch die anderen sind so gut wie weg. Wir fahren zum Proberaum, den sich die Band in einer Garage eingerichtet hat; hinter dem „Hotel zum Grunewald“, das Mickas Eltern betreiben. Aber den werden sie jetzt wohl aufgeben …“Auf keinen Fall!“ Geprobt wird weiterhin in Dinslaken. Überhaupt: „Das darfst du nicht falsch verstehen“, sagt Simon: „Es ist ja nicht so, dass wir unsere Jugend nicht gerne hier verbracht haben.“ Die Stadt ist nur einfach zu klein geworden. Es geht Kilians so wie den meisten Anfang 20: Schule und Zivildienst fertig, die Freunde ziehen weg. Es muss etwas Neues beginnen. Und dann sind Micka (Schlagzeug), Gordian Scholz (Bass), Arne Schult (Gitarre), Dominic Lorberg (Gitarre) und Simon eben auch noch eine Band, eine erfolgreicheBand. Das verändert sie. Die Kilians tourten durch die ganze Republik, spielten auf Festivals, im Vorprogramm der Babvshambles. „Mit der Zeit hat sich unser Selbstverständnis geändert“, sagt Simon. „Wenn wir jetzt nach Berlin kommen, kennen wir uns da ein bisschen aus. Der Bezug zu einzelnen Städten verstärkt sich, wenn man öfter da ist. Dadurch sehen wir uns nicht mehr nur im Kontext dieser kleinen Stadt. „Die Kilians ziehen in die große Stadt, zwei große Städte. Gordian nach Berlin, die anderen nach Köln. „Das ist der erste Schritt“, sagt Arne in seiner verbindlichen, ernsten Art, “ Köln ist nicht so weit, nicht so klein und eine schöne Stadt.“

Sie wollen dort studieren – oder wie es Micka formuliert: „Wir sind jetzt alle Anfang 20 und brauchen ein zweites Standbein.“ Gordian ergänzt: „Man braucht noch etwas neben der Musik, das für einen auch eine Bedeutung hat. Nur auf Tour sein … Soundcheck und nachher ein Bierchen – da fehlt einem doch bald etwas.“

Ob diese erstaunlich erwachsene Sichtweise mit ihrer Herkunft zu tun hat? Die Kilians können das nicht beantworten. Wenn allerdings eine ausgewiesene Rotznasenkapelle wie lOOORobota aus Hamburg zur Vorstellung ihres Debütalbums großkotzig Pressetermine in London anberaumt, während sich die weitaus erfolgreicheren Kilians hingegen einen Nachmittag lang Zeit nehmen, die Presse durch Dinslaken zu führen, passt das zumindest wunderbar ins anvisierte Klischee. Von der Bodenständigkeit. Im Mercedes-Tourbus fahren wir eine Runde. Micka deutet und erzählt: “ Da drüben wohnt Simon … Auf dieser Wiese ist jedes Jahr das Schützenfest. Pflichttermin, wenn man hier ist! … Da sind wir gerade an meinem Anwalt vorbeigefahren, der mich letztens aus so einer blöden Sache rausgehauen hat… Da vorne wohnt Michael Wendler, der Schlagerstar. Manchmal mietet der die Arena in Oberhausen und verkauft die viermal hintereinander aus. Sollen wir mal klingeln und ein Foto mit ihm machen?“ Gelächter. Die Kilians: eine Rasselbande. Freunde weit über die Musik hinaus. Ob sie in Köln zusammenziehen, wissen sie noch nicht. Einen großen Unterschied macht es ohnehin nicht: „Am Ende werden wir eh immer bei einem in der Bude rumhängen“, sagt Simon, freundschaftlich sie miteinander umgehen, so professionell und lllusionsfrei ist ihre Einstellung gegenüber den Pflichten, die man als Band offenbar hat. Wie mit der Plattenfirma streiten: Auf „Said And Done“, der ersten Single von THEY ARE CALLING YOUR NAME, sind Streicher zu hören. Auf dem Album kommt der Song auch ohne gut klar. Die Idee mit den Streichern hatte die Plattenfirma. Drei Wochen lang habe man diskutiert, bis die Kihans zustimmten. „Mir als Künstler ist persönlich eh das Album als Ganzes wichtiger“, wägt Gordi ab, „und wenn die Single durch die Streicher öfter im Radio gespielt wird, freue ich mich.“

Und dann beteuern sie: Wenn sie am Ende nicht einstimmig dahintergestanden hätten, wären da ganz bestimmt keine Streicher zu hören. Gemeinsam hinter Entscheidungen stehen und sich an Lästigem abarbeiten, ist für sie mindestens so selbstverständlich wie der Erfolg, den sie haben. Der trug sie von Anfang an, vielleicht erklärt das das Selbstvertrauen, mit dem diese junge Band ausgestattet ist: Einen Monat nach der Gründung im Jahr 2005 (der eine Schulband in anderer Besetzung vorausging) spielte das Quintett in der Dinslakener Altstadt ihr erstes Konzert. Im gar nicht mal so kleinen, dennoch völlig überfüllten Pub „Dirty Old Town“. Von außen drückten sich sogar noch Leute an die Scheiben. Und das, obwohl, wie sie betonen, die Kilians nie so richtig zur recht agilen Musikszene ihrer Heimatstadt gehört haben. Für Dinslaken aus dem Stand eine Nummer zu groß, haben sie auch vier Jahre später Ziele, die sich nicht zuletzt in Zahlen bemessen lassen: „Es wäre ja irgendwie komisch, zu sagen: Gut, wir haben jetzt inzwischen mal vor 700 Menschen gespielt, das reicht uns“, sagt Simon. Die neue Platte sei eingängiger, um noch mehr Leute zu erreichen.

„Wobei: Wir sind ja von Anfang an große Freunde der einfachen Melodie gewesen, ne? Es sind ja bei uns im Grunde immer simple Strukturen. Schön verpackt, natürlich“, betont Simon. Obwohl er schon länger in Köln wohnt, sind nur zwei Songs dort entstanden. Den Rest schrieb er in Dinslaken. Und obwohl die Kilians schon den großen Rockzirkus von innen begutachten durften und dabei auf eine gewisse Art abgebrüht geworden sind, scheint es so, als würde ihnen der bevorstehende Umzug Respekt einjagen. Wie das eben ist, wenn man mit Anfang 20 die Heimat verlässt.

www.the-kilians.de

Albumkritik ME 4/09

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