Kritik

„Barbaren” (Staffel 1) auf Netflix: Hübsches Binge-Material mit üblem Nachgeschmack


Die erste deutsche Historienserie auf Netflix widmet sich ausgerechnet der zum nationalen Mythos verklärten Varusschlacht. Anhand einer Dreiecksbeziehung taucht „Barbaren“ in den Teutoburger Wald ein. Gut gemacht, aber ohne Substanz.

Zugige Holzhütten voller Stroh, darin provisorische Betten, die direkt neben dem hauseigenen Vieh stehen. Vor dem mehr als bescheidenen Heim ein paar Gemüsebeete – wenn’s gut läuft. Alles umgeben von einem tiefen, düsteren Wald, in dem Wölfe und anderes gefährliches Getier lauern. Nein, das kleine cheruskische Dorf, das den Hauptschauplatz der neuen Netflix-Produktion „Barbaren“ bildet, scheint weder sehr gemütlich, noch strahlt es Luxus aus.

Und doch beginnt die Geschichte damit, dass Abgesandte des Römischen Reichs, das in unmittelbarer Nähe ein großes Lager mit mehreren Legionen unterhält, horrende Tributforderungen im Dorf verkünden. Es ist der Ausgangspunkt für die Ereignisse, die zur Varusschlacht führen. Jenem historischen Ereignis, das hierzulande zum nationalen Mythos verklärt worden ist.

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 Mythos statt Fakten

Auch der römische Geschichtsschreiber Cassius Dio nennt die enormen Forderungen als Auslöser dafür, dass sich die eigentlich zerstrittenen germanischen Stämme zusammentaten, um sich gegen den römischen Befehlshaber am Rhein, besagten Varus, aufzulehnen. Unter dem cheruskischen Germanen Arminius kämpften sie im Jahr neun nach Christus angeblich in bedeutender Unterzahl gegen die eigentlich viel besser trainierten 20.000 römischen Soldaten – und besiegten sie. Das ist allerdings bereits so gut wie alles, was über die Ereignisse bekannt ist.

Man fragt sich, warum sich die erste deutsche Historienserie auf Netflix ausgerechnet einem Stoff widmet, der bis heute eine wichtige Rolle im völkischen Nationalismus einnimmt. Das 1875 fertiggestellte Hermannsdenkmal bei Detmold, das besagten Arminius ehrt, wurde Ende des 19. Jahrhunderts/Anfang des 20. Jahrhunderts zur Wallfahrtsstätte für den Dunstkreis von Rassist*innen, Nationalist*innen, Antisemit*innen – und ist es bis heute.

Nun könnte sich ein Serienprojekt, das dem Mythos etwas entgegensetzt, als durchaus gute Idee, als gewinnbringend herausstellen. Doch für eine Versachlichung ist die historische Faktenlage zu dünn. Und so setzt die von Arne Nolting, Jan Martin Scharf und Andreas Heckmann geschriebene Produktion notgedrungen auf Emotionalisierung.

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 Sexappeal wichtiger als Authentizität

Ausgerechnet mithilfe einer Dreiecksbeziehung, zu der am Anfang nur die junge cheruskische Fürstentochter Thusnelda (Jeanne Goursaud) und der draufgängerische Krieger Folkwin (David Schütter) gehören, wird erzählt, wie es zur Schlacht kam. Ihr Techtelmechtel ist aufgrund der Standesunterschiede ein Geheimnis – eigentlich ist Thusnelda von ihrem durchtriebenen Vater Segestes (Bernhard Schütz), für den vor allem das eigene Ansehen von Bedeutung ist, längst einem anderen versprochen worden. Die Hochzeit gerät aufgrund sich überschlagender Ereignisse allerdings in den Hintergrund. Überflüssige Liebes- und Eifersuchtsszenen bleiben den Zuschauer*innen aber dennoch nicht erspart.

Um sich an den ebenso arroganten wie brutalen römischen Machthabern zu wehren, schleicht sich das Paar mit ein paar Verbündeten in den feindlichen Stützpunkt, um eine prächtige goldene Standarte mit Adlerfigur zu stehlen. Spätestens hier werden die Unterschiede in der Sorgfalt der Ausstattung sichtbar. Das Setting ist einfach, aber hochwertig. Doch während die Römer tatsächlich Latein sprechen und ihre Rüstungen zumindest historisch korrekt anmuten, ist die Mehrheit der German*innen zu sehr auf „verwegenen Sexappeal“ nach „Vikings“-Art getrimmt. Zu gewaschen, zu glattgebügelt – und wie mutig kann eine Serie schon sein, die ihren Protagonist*innen nicht mal Achselhaare zugesteht?

Die Aktion ruft Arminius (Laurence Rupp) auf den Plan, der in der Serie bereits als junges Mündel, als „Friedenspfand“, in die Obhut Varus‘ (Gaetano Aronica) gelangte und ihm nun als Offizier dient. Er ahnt, dass seine Freund*innen aus Kindertagen hinter der Aktion stecken und möchte ihre Trophäe zurückholen, um sie vor der drakonischen Strafe zu bewahren, die ihnen droht. Obwohl man ihn vor Ort zunächst als Feind wahrnimmt, stellt sich bald heraus, dass er die Stämme befrieden und vereint gegen die Römer ins Feld ziehen möchte.

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So schnell vergessen, wie gesehen

Diese Mission, das Taktieren auf beiden Seiten, nimmt den Großteil der Handlung ein. Sie hätte wesentlich komplexer ausfallen können, wenn man dem agierenden Dreiergespann mehr Tiefe zugestanden hätte. So kommen die Figuren zu eindimensional daher, um Empathie beim Zuschauenden zu erzeugen. Gerade Arminius‘ Motive bleiben unklar, sein innerer Zwiespalt ungreifbar. Die durchwachsenen schauspielerischen Leistungen tun ihr Übriges, wobei allerdings insbesondere Laurence Rupp und Bernhard Schütz positiv hervorstechen.

Am Ende wird die Schlacht im Teutoburger Wald von Regisseur Steve St. Leger (vorher führte Barbara Eder Regie) in aller Kürze und ohne große inszenatorische Finesse über die Bühne gebracht. Dabei sind die vorangegangenen sechs Folgen von jeweils fünfzig Minuten Laufzeit keinesfalls langweilig – allerdings zu mängelbehaftet, um wirklich genossen zu werden. Am Ende ist „Barbaren“ hübsches, leicht zu konsumierendes Binge-Material, das ebenso schnell vergessen wie geschaut ist.

Die Reaktionen, die allein der Trailer zur Serie hervorruft, hinterlassen dennoch einen unangenehmen Nachgeschmack. Neben Nutzer*innen, die sich in YouTube-Kommentaren über die Hochwertigkeit der Produktion freuen, tummeln sich dort vor allem jene, die sich über „deutsche Heldenhaftigkeit“ auslassen, sich über „politische Korrektheit“ echauffieren oder einfach direkt zu einer „erneuten Gegenwehr“ aufrufen. Eine solche Vereinnahmung hat die Serie nicht verdient, aber wohl durchaus in Kauf genommen.

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„Barbaren“ erscheint am 23. Oktober auf Netflix. Alle sechs Folgen sind mit einer Laufzeit von jeweils rund 50 Minuten gleichzeitig verfügbar.

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