Kritik

„Better Call Saul“ Staffel 5 auf Netflix: Kein Eis für Kriminelle – Unser Zwischenfazit


Die Verwandlung vom sympathischen Antihelden Jimmy McGill in den skrupellosen Saul Goodman scheint fast vollzogen. Doch es gibt eine letzte, gefährlich schwankende moralische Instanz, die es spannend bleiben lässt. Ein Zwischenfazit zur ersten, großartigen Halbzeit der fünften Staffel von „Better Call Saul“ (mit Spoilern).

Wir wussten, worauf wir uns einlassen, als wir angefangen haben „Better Call Saul“, die Spin-off-Serie zu „Breaking Bad“, zu schauen. Aus Jimmy McGill (Bob Odenkirk), einem kleinen Gauner, der sich anfangs noch zum rechtschaffenen Anwalt mausern will, sollte Saul Goodman, ein hochunterhaltsamer und krimineller Strafverteidiger werden, der in „Breaking Bad“ Verbrechern wie Walter White (Bryan Cranston) beratend zur Seite steht. Sechs Jahre vor den Ereignissen von „Breaking Bad“ setzte die erste Staffel von „Better Call Saul“ ein und nahm sich damit überraschend viel Zeit für diese schrittweise Verwandlung.

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Und nun, gleich zu Beginn dieser fünften Staffel, scheint es soweit: Mit einem heuchlerischen Manöver hat Jimmy seine Zulassung als Anwalt zurückerhalten und legt sich fortan zu Kims Entsetzen das Pseudonym Saul Goodman zu. Diese erste, „Der Magier“ betitelte Episode der aktuellen Staffel demonstriert, wie sich Jimmy als Saul einen Namen bei seiner kleinkriminellen Klientel macht. In greller Montur und mit hochtoupiertem Haar empfängt er seine künftigen Klienten in einem kleinen Zirkuszelt, verschenkt Wegwerf-Handys, mit denen sie ihn jederzeit erreichen können und verspricht ihnen „blitzschnelle Gerechtigkeit“. Es ist schockierend und zugleich ungeheuer amüsant zu sehen, wie Jimmy, der sich in vorangegangenen Staffeln noch dagegen wehrte, als Anwalt für Schuldige zu gelten, diesem Ruf nun entgegenrennt.

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Der Mann für alle Fälle – auch die ungewollten

Doch etwas fehlt noch zur vollständigen Verwandlung in den Anwalt, der in „Breaking Bad“ die Kontakte zu Drogenbaronen herstellen und einem in Notsituationen eine völlig neue Identität beschaffen kann. Jimmy hat mit seinem Zirkuszelt-Auftritt bald 45 Klienten gewonnen, für die er lukrative Deals am Gericht aushandeln kann. Doch die Freude über seine kleinen Erfolge wird am Ende der zweiten Episode „50 Prozent Rabatt“ getrübt, was Showrunner Vince Gilligan und Peter Gould mit gewichtigem Symbolismus unterstreichen: Als er Eis essend, geschäftig und zufrieden durch die Straßen schlendert, wird Jimmy von Nacho (Michael Mando) aufgelesen. Dieser pendelt in der aktuellen Staffel weiterhin verzweifelt zwischen seiner Allianz mit Gus Fring (Giancarlo Esposito) und seiner gleichzeitigen Beschäftigung bei den mit Fring verfeindeten Salamancas. Jimmy soll dem dauergrinsenden Psychopathen Lalo Salamanca (Tony Dalton) dabei aushelfen, Gus Fring eine Falle zu stellen.

Bevor er genötigt wird, in Nachos Wagen zu steigen, muss das Eis weg. Es landet auf dem Asphalt und zu Beginn der dritten Episode „Der Mann dafür“ sehen wir in extremer Nahaufnahme, unterlegt mit einem volkstümlichen Jodellied, wie sich ein Schwarm Ameisen an diesem Eis zu schaffen macht. Dies ist der Beginn einer sehr dicht gewebten Episode, in der nicht nur Jimmy, sondern auch Kim (Rhea Seehorn) mit den Folgen ihrer Taten konfrontiert werden. Zudem kehrt zur Freude aller ein altbekanntes Gesicht zurück: Hank Schrader (Dean Norris). Zusammen mit seinem Partner Steven Gomez (Steven Michael Quezada) will er mit dem zu den Salamancas gehörenden Krazy-8 (Maximino Arciniega) einen Spitzel-Deal aushandeln. Auf Lalos Anweisung ist Jimmy ihnen dabei behilflich, will sich aber künftig aus Geschäften mit skrupellosen Großkriminellen raushalten. Doch daraus wird nichts. „Es geht nicht darum, was Du willst. Wer mal drin ist, ist drin.“, eröffnet ihm Nacho, der dies nur zu gut weiß. Und der Ekel und die Sorge, mit dem Jimmy anschließend das von Ameisen bedeckte Eis betrachtet, zeigen seine Erkenntnis, dass es nun keinen Weg zurück mehr gibt.

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Vom Risiko zur Zerstörung

Diese Begebenheiten allein machen die fünfte Staffel von „Better Call Saul“ absolut sehenswert. Doch was „Better Call Saul“ schon von Beginn an ausgezeichnet hat, waren die Jimmy in ihrer Komplexität ebenbürtigen Charaktere, die sich seiner Verwandlung in den Weg gestellt haben. Bis Staffel 4 war dies vor allem sein Bruder Chuck McGill. Nach Chucks Suizid bleibt aber nur noch seine Freundin Kim als letzte moralische Instanz. „Deswegen funktioniert’s zwischen uns. Ich gehe zu weit und du bremst mich“, sagt Jimmy noch zu ihr zu Beginn dieser Staffel. Kurz zuvor hat sie ihm davon abgeraten, seinen Neuklienten 50 Prozent Rabatt anzubieten (er tut es natürlich trotzdem). Kim ist entsetzt von Saul Goodman, akzeptiert aber Jimmys neue Karriere, sofern er sich von ihren Klienten fern hält. Wie in der vorangegangenen Staffel bemüht sie sich, für sich selbst einen rechtschaffenen Weg zu ebnen. Sie berät die Großbank Mesa Verde, zieht aber ihre Erfüllung aus ihrer Pro bono-Arbeit als engagierte Pflichtverteidigerin für Geringverdiener.

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Doch ebenso wie Jimmy macht sie in der dritten Episode die Erfahrung, dass ihre Arbeit mit gewissen Zwängen einhergeht. Ihr Vorgesetzter zieht sie aufgrund dringenden Handlungsbedarfs von ihren Pro-bono-Klienten ab. Sie soll stattdessen Mesa Verde dabei unterstützen, den Bau eines Call Centers durchzusetzen. Gegen dieses stellt sich der Rentner Everett Acker (Barry Corbin), der seit Jahrzehnten in dem Haus lebt, das Mesa Verde für seine Expansionspläne niederreißen will. Kim soll Überzeugungsarbeit leisten, stößt aber in der Diskussion mit dem störrischen Mr. Acker an ihre Grenzen. Ihre konstruktiven Vorschläge lehnt er brüsk ab und trifft sie zudem mit einer etwas gehässigen, aber nicht völlig abwegigen Charaktereinschätzung: „Sie sind von dem Schlag Mensch, der jeden Monat Geld für den guten Zweck spendet. Als Wiedergutmachung für all das Böse, was sie täglich tun.“ Diese Einschätzung und Kims anschließende Versuche, das Gegenteil zu beweisen, befördern sie bald in eine atemberaubende moralische Abwärtsspirale. Und auch hier eilt uns wieder Symbolik entgegen: War Kim zu Beginn dieser Folge noch genervt davon, dass Jimmy seine Bierflaschen unbekümmert auf die schmale Balkonbrüstung stellt, schmeißt sie sie nun selbst mutwillig herunter.

„I am what I am“ – In diesem Fall nichts Gutes

Balance, beziehungsweise die Unmöglichkeit, böse Taten mit guten ebenbürtig aufzuwiegen, scheint das vordergründige Thema dieser aktuellen Staffel von „Better Call Saul“ zu sein. Einige Figuren, die ihren Weg in moralische Abgründe schon beschritten haben, wissen von dieser nicht möglichen Ausgleichbarkeit. Sie wissen, dass keine gute Tat sie wieder auf den rechten Pfad bringen wird. Etwa Mike (Jonathan Banks), der am Ende der vergangenen Staffel den deutschen Ingenieur Werner Ziegler (Rainer Bock) hingerichtet hat und sich nun für diese Tat selbst bestrafen will. Und Drogenbaron Gus Fring macht sich ebenfalls keine Illusionen darüber, dass er Schreckliches getan hat. „Ich bin, was ich bin“, entgegnet er Mike, als dieser ihm einen ähnlichen Vorwurf macht, wie es Mr. Acker gegenüber Kim getan hat. Die Selbstakzeptanz, die Gus und Mike verkörpern, ist nichts Positives, sondern lediglich die neutrale Anerkennung der Verantwortung für die eigenen Missetaten. Sie geht mit Selbstverachtung einher, die letzten Endes dazu führt, dass man in moralischer Hinsicht nichts mehr zu verlieren hat.

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Jimmys Verwandlung in das grelle Großmaul Saul Goodman beruht ebenfalls auf dieser Verschränkung von Selbstverachtung und Selbstakzeptanz. Dies wird in seiner Interaktion mit Howard Hamlin (Patrick Fabian) deutlich, der Jimmy in der vierten Episode eine lukrative Position in der Anwaltskanzlei anbietet, die Chuck mitgegründet hat. Jimmy ist angewidert von Howards ausgestreckter Hand, von seiner jovialen Art und schließlich auch vom Nummernschild, das dessen Jaguar ziert: „Namaste“ blitzt einem entgegen – ein hinduistischer Gruß, der so viel heißt wie „Ich grüße das Göttliche in Dir.“ Es führt dazu, dass Jimmy diesen Wagen später demolieren wird. „Ich bin, was ich bin“ – diese traurige Einsicht, zu der Jimmy, Gus und Mike gelangt sind, schwebt am Ende dieser ersten Halbzeit gefährlich nah über Kim, die noch eine Wahl zu haben scheint. Es bleibt spannend, welchen Weg sie nun einschlagen wird. Er wird vermutlich unumkehrbar sein.

Die Episoden der fünften Staffel von „Better Call Saul“ werden seit dem 23. Februar 2020 dienstags auf Netflix veröffentlicht.

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